In unseren christlichen Gemeinden wird viel über Nächstenliebe gesprochen – und das ist gut so. Sagt doch Jesus Christus, auf die Frage nach dem wichtigsten aller Gebote: Liebt! Liebt Gott und euch selbst und euren Mitmenschen. Was das konkret im Leben heißt? Da kann es Probleme geben. Und so begegnet mir immer wieder als Pfarrerin in persönlichen Gesprächen die Frage, die selten öffentlich gestellt wird: „Muss ich wirklich alle Menschen mögen?“
Meint Jesus das so? Dass wir Christen alle eine große, liebe Gemeinschaft sind, in der sich alle sympathisch finden und auf der gleichen Wellenlänge sind und die gleiche Meinung haben?
Ich lese die Geschichten von Jesus und stelle fest: Jesus hat sich mit allen möglichen Leuten abgetan, er hat sich jedem zugewandt: da waren Ausländer dabei und Soldaten, mächtige Glaubensgeschwister, der normale Mensch von nebenan, schwerarbeitende Bauern und Fischer, kranke Menschen und gesunde. Engstirnige und verbohrte waren genauso darunter wie gläubige Menschen, und nicht-glaubende Menschen, intelligente und einfache Leute, Betrüger und Rechtschaffende. Jesus hat einen Platz in seinem Herzen für alle Menschen gehabt. Aber ob sie alle auf seiner Wellenlänge waren? - wohl eher weniger!
Jesu Aufforderung ,die Menschen zu lieben, sehe ich als eine bewusste, aktive Haltung dem anderen gegenüber – unabhängig davon, ob ich ihn sympathisch finden.
Wenn ich einer der christlichen Grund-Botschaften folge, dass Gott die Menschen geschaffen hat und jeden Menschen liebt – dann möchte ich Gott meinen Respekt ihm gegenüber zeigen, indem ich die anderen Menschen, die er genauso liebt wie mich, auch lieben möchte. Zumindest es versuchen. Und damit das wichtigste Liebesgebot ernst nehmen und Gott und Mensch lieben!
Jemanden zu lieben bedeutet dabei für mich: Ich wünsche diesem Menschen da, dem da, den ich vielleicht (noch) gar nicht kenne, ein gutes, gelingendes Leben – und ich bin bereit, meinen Teil dazu beizutragen, dass das möglich wird. Egal, ob er neben mir wohnt, oder in einem anderen Winkel der Welt. Dazu müssen wir nicht derselben Meinung sein. Wir müssen nicht über dieselben Dinge lachen oder dieselben Interessen teilen.
Und doch kann ich diesen Menschen als Mensch sehen, ihn verstehen wollen – und das tun, was in meiner Kraft steht, damit es ihm gut geht.
„Muss ich wirklich alle Menschen mögen?“ – Nein, muss ich nicht. Aber achten, respektieren und lieben lernen sollte ich die Menschen in all ihrer Verschiedenheit.
Ich denke, ich kann es ein Stück weit lernen – wenn ich will - , auch wenn ich, zum Glück, nicht Gott bin!
Autorin: Pfarrerin Sonja von Aschen, Ev.-Luth. Kirchengemeinden Untermerzbach und Memmelsdorf.
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