Andi (Name von der Redaktion geändert) mag es am liebsten laut: laute Musik, laute Motorräder, laute Monstertrucks. Äußerlich sieht er aus wie jeder andere Jugendliche auch. Doch Andi ist 32 Jahre alt. Stillsitzen ist nichts für ihn. Seine Hände und Beine sind in Bewegung. Wenn das jemanden stört, stört es auch ihn. Dann wird auch er laut, und ihm ist alles zu viel. Teresa nimmt ihn mit nach draußen und sagt nichts. Später werden die beiden gemeinsam reflektieren.
Auf jede Situation bestmöglich zu reagieren und auf jeden Menschen individuell eingehen, ist die starke Leistung der Heilerziehungspfleger und Heilerziehungspflegerinnen wie Teresa Petterich, die in einer dezentralen Wohngemeinschaft von Regens Wagner Burgkunstadt tätig ist. Sie assistieren, beraten, begleiten, bilden und pflegen Menschen mit unterschiedlichem Grad der Behinderung. Gemeinsam ist ihnen allen das Ziel der größtmöglichen Selbstbestimmung und Teilhabe.
„Man ist Zuhörer, Lehrer, Pflegekraft, Koch, Handwerker und viele Rollen mehr. Das ist anstrengend, macht die Arbeit aber auch spannend.“
Lukas Panzer, Gruppenleiter in einem Wohnheim
Die täglichen Aufgaben der Heilerziehungspflegerinnen und Heilerziehungspfleger sind wohl so abwechslungsreich wie in kaum einem Beruf: Teresa Petterich etwa begleitet die Frauen und Männer bei Arztbesuchen oder Behördengängen sowie in schwierigen Situationen, die etwa auch in der Partnerschaft begründet liegen können.
Ihr Kollege Lukas Panzer dagegen, Gruppenleiter in einem Wohnheim für Menschen mit Autismus in Weismain, stellt mit seinem Team vor allem eine feste Tagesstruktur für die Bewohnerinnen und Bewohner her. Die Mitarbeitenden übernehmen auch stark pflegerische Tätigkeiten wie das Waschen oder die Versorgung von Inkontinenz. Gemeinsam ist allen eine abwechslungsreiche Freizeitgestaltung: Spaziergänge und Sport, Einkaufstouren und der Besuch kleinerer Feste in der Region, wie etwa dem Schützenfest oder dem Erntehelferfest Burgkunstadt, sind fester Bestandteil des pädagogischen Programms.
Aufmerksam und reflektierend

Doch von „Entspannung“ für die Fachkräfte kann keine Rede sein: „Man ist aufmerksam und immer zur Stelle“, verrät Lukas Panzer. „Man ist Zuhörer, Lehrer, Pflegekraft, Koch, Handwerker und viele Rollen mehr. Das ist anstrengend, macht die Arbeit aber auch spannend.“ Zudem schätze er die Kleinigkeiten, die er „zurückbekomme“: Wenn ein Klient beispielsweise keine Umarmungen mag, jedoch nach und nach die Nähe des Heilerziehungspflegers sucht. Auch Teresa Petterich resümiert: „Man lernt auch viel für sich selbst, zum Beispiel nicht mehr alles für selbstverständlich zu halten oder die eigene Umwelt etwas anders wahrzunehmen.“
Von Umwegen und „was Sozialem“
Das haben auch die „Umwege“ in ihrem Leben, wie sie die 32-Jährige selbst nennt, nicht geschafft: Zunächst hat sie eine Ausbildung als Verkäuferin gemacht, sich jedoch später umorientiert. Ein Praktikum in einer Wohngruppe für Menschen mit Behinderung habe sie auf den Beruf des Heilerziehungspflegers aufmerksam gemacht. Keine Frage, dass sie auch ihr Vorpraktikum in einer der Einrichtungen in Burgkunstadt abgeleistet hat, und heute ihren Traumberuf gefunden hat.
Lukas Panzer dagegen hat vor vielen Jahren in seiner Schule vom Beruf des Heilerziehungspflegers durch eine Vorstellung der Einrichtung erfahren. Der 27-Jährige wollte beruflich „schon immer was Soziales machen“. Nach Praktika in Kindertagesstätten und Seniorenwohnheimen entschied er sich für die Praxisphase der Ausbildung bei Regens Wagner Burgkunstadt. „Weil mich das weite Spektrum in meiner Arbeit anspricht. Kein Tag ist wie der andere. Es gibt immer neue Überraschungen und Herausforderungen.“
Diese können in seltenen Fällen auch Maßnahmen zur Deeskalation oder den Abschied von Klientinnen und Klienten beinhalten, weiß Pia Mahr, die im Fachdienst für Menschen mit Behinderung tätig und gemeinsam mit ihrem Kollegen Erkan Ari als Praxisbegleitung für die Schülerinnen, Schüler und Praktikanten zuständig ist. Der Austausch mit Kolleginnen und Kollegen sowie das Wissen aus einer Vielzahl an Weiterbildungen, basierend auf neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen und Erfahrungen aus der Praxis, unterstützen die Fachkräfte in solchen Situationen.
Fünf Jahre dauert die Ausbildung
„Unser Berufsfeld ist modern und fortschrittlich“, weiß Pia Mahr. „Auch in der Ausbildung bewegt sich etwas.“ Die duale Ausbildung zur Heilerziehungspflegerin und zum Heilerziehungspfleger dauert in der Regel drei Jahre. Ihr geht ein zweijähriges Vorpraktikum oder ein anerkannter sozialer Dienst, wie etwas das Freiwillige Soziale Jahr, voraus. Der Unterricht findet an einer Fachschule für Heilerziehungspflege statt und gliedert sich in Theorie- und Praxisphasen. Schülerinnen und Schüler erwerben dort Wissen in Pädagogik, Psychologie, Medizin, Psychiatrie und vielem mehr. Karrierechancen gibt es nach erfolgreichem Abschluss und Erfahrung beispielsweise als Gruppenleiter oder im Fachdienst, im Rahmen dessen die Fachkräfte Fortbildungen oder Beratungen anbieten. Andere Zugangsvoraussetzungen und Aufgaben bieten sich auch für den Beruf des Heilerziehungspflegehelfers und der Heilerziehungspflegehelferin.
Beiden ist gemeinsam: Die Berufe haben Zukunft. „Ich denke, das Denken in der Bevölkerung über Menschen mit Behinderung ist schon fortschrittlicher geworden“, resümiert Pia Mahr, unter anderem mit Blick auf gelebte Inklusion, wie sie etwa mit Hilfe von Schulbegleitungen für Menschen mit leichter Behinderung an Schulen Erfolg hat.

Das bemerkt auch Teresa Petterich, wenn sie mit Bewohnerinnen und Bewohnern unterwegs ist und nahezu überall Toleranz und Begeisterung empfindet. „Auch unseren Beruf kennt man scheinbar, aber irgendwie auch nicht.“ Denn der Wert und der Handlungsbedarf in der Heilerziehungspflege scheinen immer noch nicht in Politik und Gesellschaft angekommen, betont sie. Der Fachkräftemangel bei Regens Wagner Burgkunstadt dagegen schon.
Noch vor zehn Jahren seien in nahezu jeder der heute 30 Wohngruppen eine Praktikantin oder ein Praktikant und ebenso viele Schülerinnen und Schüler zu finden gewesen. Das stellt die Personalplanung derzeit vor Herausforderungen: „Aber wir sind ein starkes Team und schaffen es immer, den Menschen die bestmögliche Begleitung zukommen zu lassen“, so Pia Mahr. Sie hofft darauf, bald noch mehr engagierte Kolleginnen und Kollegen bei Regens Wagner Burgkunstadt begrüßen zu können.
Mehr Einblicke für Nachwuchskräfte
Die Behinderung eines Menschen kann angeboren sein oder etwa durch Krankheit oder einen Unfall verursacht werden. Klar ist: Dieser Schicksalsschlag unterscheidet nicht nach Alter, Geschlecht oder Berufsgruppen. Die Betroffenen und ihre Angehörigen schätzen es sehr, eine fachliche Begleitung erhalten.
Ebenso überraschend kann junge und ältere Menschen, die auf der Suche nach einer neuen beruflichen Zukunft sind, die Erkenntnis treffen, dass der Beruf des Heilerziehungspflegers oder der Heilerziehungspflegerin unerwartet doch zur Person passt. Von diesen Entwicklungen haben Pia Mahr Kollegen erzählt, viele von ihnen ehemalige Zivildienstleistende in der Einrichtung.

Sie fordert daher ein verpflichtendes soziales Jahr, wahlweise in verschiedenen Einsatzstellen in der Gesellschaft. „Auch Praktika, bei denen ausreichend Personal da ist, um die potenziellen Nachwuchskräfte zu begleiten, wären sinnvoll“, so Lukas Panzer. Zudem fordern die Fachkräfte eine Verkürzung der bisherigen fünfjährigen Ausbildungszeit in der Heilerziehungspflege, so wie in anderen Bundesländer praktiziert, außerdem bessere Rahmenbedingungen, etwa einen höheren Personalschlüssel.
„Auch wenn die Voraussetzungen für unsere Arbeit auf einen Wandel warten, ist die Heilerziehungspflege doch eine Aufgabe, die sinnvoll ist und vieles auf ehrliche Weise zurückgibt“, so Pia Mahr. „Denn es gibt wohl kaum Menschen, die einen direkter an ihren Emotionen teilhaben lassen, ehrlich sind und sich nicht verstellen. Die einen jeden Tag über das Leben und sich selbst lernen lassen.“
Weitere Informationen gibt's unter regens-wagner-burgkunstadt.de
Regens Wagner Regens Wagner Burgkunstadt begleitet rund 350 Menschen mit geistiger oder mehrfacher Behinderung an den Standorten Burgkunstadt, Altenkunstadt, Weismain und Redwitz. Abgestimmt auf den jeweiligen Unterstützungsbedarf finden Kinder, Jugendliche und Erwachsene in Wohnheimen, Tagesstätten, Werkstätten, Privaten Förderzentren oder Offene Hilfen im Landkreis Lichtenfels ein zu Hause und verschiedene Aufgaben. Sowohl das Vorpraktikum als auch die Praxisphasen während der Ausbildung zur Heilerziehungspflegerin und zum Heilerziehungspfleger können bei Regens Wagner Burgkunstadt abgeleistet werden. Das Gehalt während der Ausbildung liegt bei etwa 1584,92 Euro brutto (bei 26 Wochenstunden zuzüglich Zuschlägen laut AVR-Caritas – Stand: Januar 2022). Deutschlandweit bekommen ausgebildete Heilerziehungspfleger im Schnitt ein Gehalt von 2710 Euro brutto im Monat.