Da stand sie, unsere große Tochter Julia, damals, einjährig an Weihnachten 1993 im Wohnzimmer und schaute fassungslos und gebannt auf die Lichter des Christbaums. „Da, da, da..!“ Mehr kam vor lauter Aufregung nicht aus ihrem Mund. Nur der kleine Zeigefinger deutete auf die Kerzen am Baum und - die Füßchen tippelten aufgeregt hin und her.
Bis heute glaube ich, dass ich in diesem Moment dem Geheimnis von Weihnachten so nah war wie nie zuvor. Seitdem hat sich dieses Bild tief eingeprägt in Herz und Seele als ein Ausdruck, ein Symbol für weihnachtliches Spüren und Fühlen: fähig, offen, empfänglich zu sein für und zu staunen über das Geheimnis und Wunder, das auch uns oft gefühlsverkrüppelte, ziel-, sinn- und handlungsfixierte Erwachsene plötzlich verwandelt, uns ganz zart besaitet, sanft gestimmt und voller Sehnsucht nach Frieden und Harmonie sein lässt.
Unvergesslich
Aber vor allem waren es unvergesslich die Augen – diese Augen! -, die da auf die Lichter am Baum wie auf ein Wunder schauten, strahlend und glänzend, als wären sie selbst kleine Sterne. Augen, die mein Herz bis heute bewegen.
Und bis heute verbinde ich mit diesem Bild ein wundervolles biblisches Wort, das seitdem sozusagen mein Herz und Auge begleitet, mich mit Hoffnung, Zuversicht und weihnachtlicher Freude erfüllt, aber auch ein Wort gegen alle Angst und Dunkelheit ist, das ich heute in der Welt 2024 und in meinem eigenen Leben spüre. Es sind weihnachtliche Worte der Freude und Hoffnung:
„Gott gebe euch erleuchtete Augen des Herzens, damit ihr erkennt, zu welcher Hoffnung ihr von ihm berufen seid.“ (Eph. 1,18).
Erleuchtete Augen des Herzens: Sie richten sich nach innen und außen. Augen, die nach innen strahlen können, das heißt die sich selbst wahrnehmen, sich selbst liebevoll anschauen und betrachten können; in sich leuchten, über sich strahlen, dem eigenen Leben Glanz abgewinnen können.
Andere im Blick
Erleuchtete Augen des Herzens: Augen, die nach außen strahlen, das heißt die den anderen im Blick haben, ihm mitfühlend, gütig, hilfsbereit, barmherzig begegnen; die Einsamkeit vieler Menschen in diesen Tagen, zuhause, in Heimen, in Krankenhäusern wahrnehmen und mittragen helfen; Augen, die gerade in dieser sensiblen Zeit für Frieden, Versöhnung und Harmonie in den Familien Sorge tragen.
Erleuchtete Augen des Herzens: Sie behalten die Krippe im Blick, um wie die Hirten immer wieder zu ihr aufzubrechen und das Zuviel im Leben dort abzulegen und gemeinsam mit den Engeln das Lied vom Frieden und dem Wohlgefallen zu singen und Kraft und Lebensfreude daraus zu ziehen.
Wer erleuchtete Augen des Herzens hat, wird empfänglich, empfindsam für die besonderen Gefühle der Weihnachtszeit, lebt sie und gibt sie weiter.
Mensch des Friedens
Eine Anregung, wie so ein weihnachtliches Leben mit erleuchteten Augen des Herzens und der Hoffnung auf Frieden auf Erden und in unseren Häusern in diesen besonderen und allen anderen Tagen gelebt werden kann, geben Worte des evangelischen Pfarrers und Bürgerrechtlers Friedrich Schorlemmer wieder, der im vergangenen September gestorben ist. Worte die vielleicht mitgehen aus diesen Tagen:
„Ich möchte ein Mensch des Friedens werden. Ich möchte so leben, dass auch andere Menschen leben können – neben mir – fern von mir – nach mir. Ich suche das Gespräch mit Andersdenkenden. Ich bedenke die Fragen, die sie mir stellen. Ich möchte so leben, dass ich niemandem Angst mache. Ich bitte darum, dass ich selber der Angst nicht unterliege. Ich setze meine Fähigkeiten und Kräfte für eine Gesellschaft ein, in der der Mensch dem Menschen ein Helfer ist.“
In diesem Sinne wünsche ich Ihnen allen erleuchtete Augen des Herzens, viel Hoffnung für das Kommende und ein friedvolles und gesegnetes Weihnachtsfest.
Matthias Hagen
evangelischer Pfarrer i.R
Bad Staffelstein