Ich möchte Ihnen eine Geschichte erzählen, die mir in diesen Tagen geholfen hat, angesichts der schlimmen Nachrichten aus aller Welt nicht zu resignieren, mit dem schlimmsten aller Gedanken: „Da kann man doch nichts tun.“
Sie stammt von dem spanischen Dichter Pedro Calderón de la Barca (1600–1681) und heißt: „Ein guter Mensch am Höllentor“. Die Hölle war total überfüllt und noch immer stand eine lange Schlange am Eingang. Schließlich musste sich der Teufel selbst herausbegeben, um die Bewerber fortzuschicken. „Bei mir ist alles so überfüllt, dass nur noch ein einziger Platz frei ist“, sagte er. „Den muss der ärgste Sünder bekommen.“ Und nun forschte er unter den Anstehenden und hörte sich deren Verfehlungen an. Was auch immer sie ihm erzählten, nichts schien ihm schrecklich genug, als dass er dafür den letzten Platz in der Hölle hergeben mochte. Schließlich sah er einen, den er noch nicht befragt hatte.
Unrecht vor der eigenen Haustür
„Was ist eigentlich mit Ihnen – dem Herrn, der da für sich allein steht? Was haben Sie getan?“ – „Nichts“, sagte der Mann, den er angesprochen hatte. „Ich bin ein guter Mensch und nur aus Versehen hier.“ – „Aber Sie müssen doch etwas getan haben“, sagte der Teufel. „Jeder Mensch stellt etwas an.“ – „Ich sah es wohl“, sagte der gute Mensch, „aber ich hielt mich davon fern. Ich sah, wie Menschen ihre Mitmenschen verfolgten, aber ich beteiligte mich niemals daran. Sie haben Kinder hungern lassen und in die Sklaverei verkauft; sie haben auf den Schwachen herumgetrampelt und die Armen zertreten. Überall um mich herum haben Menschen von Übeltaten jeder Art profitiert. Ich allein widerstand der Versuchung und tat nichts.“ – „Absolut nichts?“, fragte der Teufel ungläubig. „Sind Sie sich völlig sicher, dass Sie das alles mit angesehen haben?“ – „Vor meiner eigenen Tür“, sagte der gute Mensch. „Und nichts haben Sie getan?“, wiederholte der Teufel. „Nein!“ – „Komm herein, mein Sohn, der Platz gehört dir!“
So endet die Geschichte. Ihre Botschaft ist sehr eindeutig: Es reicht nicht, nichts Böses zu tun; gar nichts zu tun, wo man hätte Gutes tun können, ist schlimmer! Dabei muss das Gute gar nichts Aufsehenerregendes sein, sondern es sind die vielen kleinen Momente der Nächstenliebe, die wichtig sind. Und die möglich sind! Ja: vor unserer Haustür gibt es viele Möglichkeiten, Gutes zu tun – selbst wenn wir dem Bösen, von dem wir täglich in den Berichterstattungen aus aller Welt hören, nicht in aller Welt entgegenwirken können.
Aber wenn „vor meiner eigenen Tür“, bei uns im Lande, rassistisches und fremdenfeindliches Gedankengut wieder salonfähig zu werden versucht und eine offene, tolerante Gesellschaft und am Ende die Demokratie selbst bedroht sind, dann will ich mehr als „absolut nichts“ dagegen getan haben! Ob ich dafür in den Himmel komme? Aber jedenfalls nicht in die Hölle.
Und Sie, liebe Leserin und lieber Leser, bitte auch nicht!
Pfarrer Andreas J. Baumann Michelau
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