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RÜGHEIM: Ein Traum in Samt – und mit zwei Zöpfen

RÜGHEIM

Ein Traum in Samt – und mit zwei Zöpfen

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    Ich sehe zwar als Zwerg fantastisch aus, kann aber selbst fast nichts oben aus der Zipfelmütze sehen. Dafür hat Schneiderin Lindtrud Lunz, die Inhaberin des Rügheimer Kostümsverleihs, jeden Zipfel meines Kostüms liebevoll in Form gezupft.
    Ich sehe zwar als Zwerg fantastisch aus, kann aber selbst fast nichts oben aus der Zipfelmütze sehen. Dafür hat Schneiderin Lindtrud Lunz, die Inhaberin des Rügheimer Kostümsverleihs, jeden Zipfel meines Kostüms liebevoll in Form gezupft. Foto: FOTOs (7) Matthias Steinbrecher

    Ich habe mich schon immer gerne verkleidet, war schon Oma, Max von Max und Moritz, Cowboy, Indianer, Clown, Landstreicher, Minni Mouse und Happy Hippo. Und einmal auch Prinzessin.

    Aber da war ich noch sehr klein und habe mich wunderschön gefühlt mit der kleinen goldenen Krone auf dem Kopf und in einem alten Spitzennachthemd meiner Großmutter. Solange, bis ein anderes kleines Mädchen in einem richtigen rosa Prinzessinnenkleid auf dem Kindergartenfest aufgetaucht ist – und dann bin ich heulend nach Hause gelaufen.

    Jetzt stehe ich vor Lindtrud Lunz, der Herrin über insgesamt 3000 Kostüme, 1000 in ihrem Laden und über 2000 auf dem Dachboden, und sie zerrt die Schnüre eines Mieders an mir fest. Mit geübtem Blick streift sie meinen Busen. „Na, für das Kostüm dürft's schon ein bisschen mehr sein!“, sagt sie. Dann stülpt sie mir ein rotes Band über den Kopf, und schon sehe ich aus wie eine richtige Piratenbraut.

    Ich stecke in einer weißen Bluse mit großem Ausschnitt und einem langen roten Rock, mit schwarzer Spitze obendrüber. Eigentlich sehr hübsch, aber ich fühle mich ein bisschen breit um die Hüften. Außerdem rutscht mir die Bluse, die eigentlich gleichmäßig das oberste Stück Arm freilassen sollte, immer auf einer Seite nach oben und dafür auf der anderen nach unten. Und meine Haare stehen wegen des breiten Bandes seltsam in die Luft.

    Nase hochmütig im Himmel

    Trotzdem verleitet das Kostüm sofort dazu, die Nase hochmütig in den Himmel zu stecken. Schließlich musste sich eine echte Piratenbraut in einer reinen Männerwelt behaupten.

    „Piraten sind dieses Jahr groß in Mode“, verrät Lindtrud Lunz, die schon seit über 30 Jahren ihren Kostümverleih in Rügheim betreibt, und sich früher selbst viel verkleidet hat. Na bitte, damit ist die Piratenbraut nichts für mich. Ich stelle mir jetzt schon vor, wie ich schlecht gelaunt werde, wenn jede zweite, die mir an Fasching über den Weg läuft, auch eine heißblütige Piratin ist.

    Das nächste Kostüm ist ein Burgfräulein. Lindtrud Lunz streift mir ein bodenlanges gelbes Samtkleid über. Leider geht es hinten knapp nicht zu.

    Herzallerliebst als Burgfräulein

    Schade, denn ich fühle mich schon herzallerliebst, und warte innerlich nur noch auf den Ritter, der gleich angaloppiert kommt und mir Minnelieder singt. Vor allem, als ich noch eine richtig niedliche Perücke auf den Kopf bekomme, mit zwei langen Zöpfen, habe ich ein echtes Burgfräulein–Gefühl. Aber wie gesagt, am Rücken klafft ein relativ großes Loch. „Na ja, das ist ja auch was für die ganz jungen Mädchen, denen passt das dann“, tröstet mich die Schneiderin.

    Weiter geht's. In einem Oberteil und einem Rock aus lauter einzelnen Fellstücken werde ich zum Neandertaler. Dieses Kostüm ist zur Abwechslung mal sehr leicht anzuziehen. „Das habe ich schon vor 15 Jahren genäht“, erzählt Lindtrud Lunz, die für ihre Neandertaler-Kostüme sogar echte Fellstücke verarbeitet hat.

    „Die Neandertaler sind etwas aus der Mode gekommen.“

    Lindtrud Lunz Kostümverleiherin

    Wichtigstes Accessoire: Über eine verfilzte Perücke kommt ein Haarreif, an dem rechts und links ein halber Plastikknochen befestigt ist. Lindtrud Lunz zupft an meinem Rock, ich am Knochen auf meinem Kopf: „Das ist aber auch nicht schlecht!“, sagt sie, und fügt hinzu: „Die Neandertaler sind aber etwas aus der Mode gekommen.“

    Dann kriege ich noch einen großen Holzstock in die Hand. Und habe das Gefühl, dass man in so einem Kostüm richtig Spaß haben kann, weil man nicht die ganze Zeit aufpassen muss, dass irgendetwas verrutscht – oder noch schlimmer – kaputt geht.

    Wahrscheinlich ist es aber besser, man hat schon einen Freund, bevor man losgeht. Als steinzeitliche Ur-Bestie würde ich beim Fasching wohl noch den letzten Mann in die Flucht schlagen. Dafür muss ich aber jedes mal herzhaft lachen, wenn ich mich im Spiegel sehe.

    „Jetzt habe ich was ganz besonderes, das ist genau das richtige!“, Lindtrud Lunz, die erst Lohn- und Finanzbuchhalterin gelernt hat, und sich dann mit einer Schneiderlehre ihren Traum erfüllt hat, holt ein Kostüm hervor, dass Braut und Bräutigam in einem darstellt.

    Ich steige umständlich zwischen zwei große aufblasbare Plastikpuppenteile, vorne ein Oberkörper mit Gesicht und hinten ein Hintern mit den Beinen. Und mir schießt unweigerlich die Frage durch den Kopf, für was die Puppen wohl ursprünglich bestimmt waren.

    Dann stecke ich oben in einer Art Anzug, und unten in einem Brautkleid mit richtigem Reifrock. Lindtrud Lunz hat das Kostüm selbst genäht, wie die meisten anderen in ihrem Laden auch. Etwas einen Tag braucht sie für ein Kostüm. Ich schmiege mich an meine Plastikbraut und sehe umwerfend aus in Frack und Zylinder.

    Leider kann man damit nicht richtig feiern. Ich kann mich nicht mal hinsetzen, geschweige denn könnte ich jemanden um den Hals fallen. Also auch nichts für mich. Schade.

    Ich streune durch den Laden, vorbei an Chinesen-Kleidern und Ritterrüstungen, Engeln, Königen, Prinzessinnen-Kleidern und Zigeunern.

    Und dann sehe ich den Zwerg: Der Anzug ist einfach anzuziehen, aber dann kommt der Zwergenkopf, und damit auch der Haken an der Sache. Denn der Kopf des Zwergs sitzt auf meiner Brust.

    Orientierung muss ich durch eine Art Fliegengitter in der Mütze suchen. Und das geht nur, solange dieses nicht verrutscht, was es aber eigentlich ständig macht.

    Klorolle auf dem Kopf

    „Es hält besser, wenn man die Mütze noch ausstopft“, sagt die Schneiderin und setzt mir eine Klorolle auf den Kopf. Jetzt sehe ich auch nicht viel mehr, muss aber den Kopf gerade halten, damit die Klorolle nicht verrutscht. Und mir wird unter der Mütze langsam heiß. Macht aber nichts – alle sieben Zwergenkostüme und das Schneewittchen sind an Fasching sowieso nicht mehr zu haben. Na dann, liebe Zwerge, viel Spaß. Und immer schön den Kopf gerade halten, damit die Klorolle nicht rutscht.

    Ein Kostüm hat Lindtrud Lunz aber noch für mich auf Lager, die Julia – den Inbegriff der ewigen Liebe. Sie reicht mir ein rubinrotes Samtkleid, das wie beim Burgfräulein-Kostüm im sogenannten Empire-Stil unter der Brust abgenäht ist und das ich sehr hübsch finde.

    Zwar sehe ich jetzt ein bisschen so aus, als wäre ich schwanger. Aber wirklich nur ein bisschen. Dafür schmückt mich die Perücke mit den Zöpfen und dem roten Hut obendrauf wirklich ungemein.

    Zufrieden drehe ich mich vor dem Spiegel. Jetzt bleibt nur noch ein Problem: Alleine komme ich aus dem Kostüm auf keine Fall wieder raus. Aber wofür hat schließlich eine Julia ihren Romeo?

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