„Das war in Kirchlauter ein Tag, wie es noch keinen gegeben hatte und hoffentlich wird es einen solchen nicht mehr geben: Der Donnerstag nach dem Weißen Sonntag im Jahre 1945 ist Vergangenheit. Unsere Aufgabe ist es, diesen Tag nicht zu vergessen und ihn auch als Zukunftsgestaltung zu sehen.“ Dies betonte Altbürgermeister Peter Kirchner bei einer Informationsveranstaltung zum Kriegsende und dem Einzug der Amerikaner in Kirchlauter vor 70 Jahren.
Die Veranstaltung stieß auf großes Interesse und im „Oskar-Kandler-Zentrum“ war kaum mehr ein Platz frei geblieben. Auch aus den Nachbarortschaften, aber sogar Bamberg, waren interessierte Gäste gekommen. Besonders hieß er aber die „Zeitzeugen“ willkommen, die an extra Tischen saßen, darunter als älteste Teilnehmerin Hilda Kandler, die Gattin des verstorbenen Bürgermeisters Oskar Kandler. 24 Zeitzeugen, die damals rund zehn Jahre oder etwas älter waren, waren gekommen. Auf seine Rolle selbst eingehend, meinte Peter Kirchner, „ich fühle mich etwas unwohl, weil ich diesen Tag nicht selbst erlebt habe. Für Kirchlauter ist er aber ein Fixtag und ich will das Sprachrohr der Zeitzeugen sein, die heute die Geschichte von Kirchlauter wieder lebendig machen“.
Auch Rundfunk und Fernsehen seien auf diesen Tag von Kirchlauter aufmerksam geworden. Der Bayerische Rundfunk habe schon gesendet und das Fernsehen sei am vergangenen Wochenende zu Aufnahmen in Kirchlauter gewesen. Diese Aufnahmen mit den Zeitzeugen werden am Dienstag, 21. April, in der Frankenschau zu sehen sein. Eigentlich hätte man schon im vergangenen Jahr einen Gedenktag mit dem 20. Juli, dem Tag des Attentats auf Hitler, feiern können. Hier habe man ohne Zweifel ein Alleinstellungsmerkmal. „Heute sind wir aus der Deckung gegangen und die Zeitzeugen werden von diesem Tag berichten. Sie haben an diesem Tag Angst gehabt, haben Tote gesehen sowie Soldaten mit ihren Panzern und Gewehren.“
Zwar sei er nicht dabei gewesen, aber er sei vorbelastet mit einem Wissensdrang und wollte auch das Wesentliche für die Nachwelt erhalten. Allerdings gab es Widersprüche zwischen den Aussagen. „So viele Zeitzeugen es gibt, so viele Wahrheiten gibt es auch. Und heute wissen wir, dass unsere Vorfahren bei den Bösen und bei den Guten waren. Kirchlauter war damals ein ganz normales Dorf, geprägt vom Zentrum und nach 1933 gab es Helfer und Befürworter von Adolf Hitler.“
Heute habe man in Kirchlauter ein intaktes Dorfleben, das habe es auch damals gegeben. Dabei erinnerte er an Pfarrer Glockner, der während der Nazi-Herrschaft auf die Kanzel stieg und verkündete: „Na, sind da wieder ein paar Nazi oder Bazi da. Die kamen aber nicht wegen unnerm Herrgott, sondern wolln bloß hör, was ich sag.“ Oder er erinnerte an einen Mann aus Kirchlauter, der in Ebern im Gefängnis saß und entlassen wurde. Da kam aber sofort der Ortspolizist zu ihm und sagte: „Wenn du morgen nicht mit zur Parade gehst, dann hole ich dich wieder ab.“ Und beim Bau der Straße in der „Stagass“ durften nur Parteimitglieder arbeiten.
„Ich selbst habe noch einen Mann erlebt, der im Jahre 1955 Adenauer über den grünen Klee gelobt hat. Ein anderer fragte: „Wie? Er lobt jetzt den Adenauer, früher hat er den Hitler gelobt.“ Aber man sollte eben auch in dieser Betrachtung den Splitter im eigenen Auge sehen, bevor man den Balken im anderen Auge anspricht.
Die Zeitzeugen ließen den Donnerstag nach dem Weißen Sonntag 1945 Revue passieren und wussten noch, dass am Abend vorher im Backofen der Bäckerei Schlereth alle Unterlagen verbrannt wurden; auf den Straßen wurden Panzersperren errichtet. Außerdem kamen einige deutsche Soldaten in die Ortschaft. Soldaten, die ganz offiziell auf dem Rückzug waren; einzelne Versprengte, die ihre Einheit suchten und auch solche, die noch diesen Tag überstehen wollten. „Die meisten von ihnen waren sogar barfuß in ihren Schuhen, waren ausgemergelt und ausgehungert“. Viele Familien hatten sich in den Kellern mit Bett und Essen eingerichtet.
„Und dann gab es noch die merkwürdige Geschichte von einem jungen arroganten Leutnant mit neuer Uniform auf einem Sachs-Motorrad, der die Soldaten unter seinen Befehl gestellt hatte. Andere berichten von einem anderen jungen Soldaten mit Ritterkreuz. Vielleicht war es aber auch derselbe, der vielleicht noch Deutschland retten wollte“, meinte Peter Kirchner. Die deutschen Soldaten hatten sich in der Gastwirtschaft und Scheune einquartiert unter dessen Befehl. Bürgermeister Kilian Räder habe noch in der Nacht die Panzersperren mit Pferden wegbringen lassen. Zwischen 7 und 8 Uhr seien die Amerikaner in Köslau aufgebrochen und Richtung Kirchlauter marschiert. Mit einem Spähwagen voraus und mehreren Panzern hinter sich, seien sie durch Kirchlauter gezogen bis auf die Höhe des Schlosses.
Zeitzeugin Gretl Rottmund erzählte das weitere Vorgehen, als die deutschen Soldaten die Wirtschaft verließen und in Richtung Scheune und die Treppe in Richtung Kirche hoch sind: „Plötzlich tut es einen Schlag. In dem Moment zieht ein deutscher Soldat das Scheunentor zu. Dann ist es losgegangen. Die Soldaten haben geschrien. Ich suchte noch einen Sanitätskasten und wollte verbinden. Beim nächsten Schlag fielen die Telefonmasten um und in der Scheune hörte man Schreie. Die Schreie höre ich heute noch, wenn ich an diesem Gebäude vorbeigehe.“
Eugenie Hümmer konnte sich noch erinnern und hat das Bild noch vor Augen, dass bei einem Schuss auf einen Soldaten das Blut gespritzt ist. „Wir sind dann sofort in den Keller und haben ihn zugemacht. Aber die Amis kamen und durchsuchten ihn. Danach haben wir uns lange nicht herausgetraut.“
Zeitzeugin Edeltraud Zettelmeier berichtete davon, dass sie mit 21 Personen, darunter ein Säugling, im Schüttboden waren. „Der Säugling war unsere Rettung, obwohl er immer schrie vor Hunger. Die Frauen probierten alles, ihn zu beruhigen und eine Frau kaute ihm dafür sogar Brot vor. Durch eine Luke haben wir die Soldaten draußen gesehen, die aber ihre Schießerei eingestellt hatten.
Zita Dürrbeck war ebenfalls mit anderen in einem Felsenkeller. „Aber wir haben dann raus gemusst und mussten uns in Reih und Glied aufstellen. Auch später durften wir nicht ins Haus und haben in der Scheune schlafen müssen.“
Peter Dürrbeck erzählte die Geschichte weiter, dass die Amerikaner kehrt machten. Davor hatten sie aber noch die Soldaten in der Scheune beschossen – das Scheunentor war regelrecht durchsiebt. Die Soldaten versuchten, durch den Stall zu fliegen. In der Gülle-Rinne sei ihr Blut geflossen. Später hätten sie der Ortschaft von drei Panzerstellungen aus „noch Saures gegeben“.
Anhand von Bildern zeigte Peter Kirchner, dass auch die Kirche schwer beschossen worden war. Am Altarbild ist heute noch ein schwarzer Fleck zu sehen. Ludwina Heckelmann berichtete von zerschossenen Häusern, in denen nur noch drei Teller ganz geblieben waren. Auf Anweisung ihres Vaters hängte sie als Zeichen der Kapitulation eine weiße Schürze an den Keller. „Auch dem Luitpold-Bäck sein Schifferklavier hatten die Amerikaner mitgenommen und Luitpold weinte ganz bitterlich, als die Soldaten mit dem Musikinstrument auf dem Panzer saßen“, erinnert sich die Zeitzeugin. Karl Gehring berichtete von den großen Schäden an der Schule, so dass der Unterricht drei Monate ausfiel und danach nur im Schichtunterricht stattfinden konnte.
Bei der Bilanz von zwölf toten Soldaten auf deutscher und amerikanischer Seite stellte Peter Kirchner abschließend die Frage: „Ist es eigentlich ein Trost, dass an diesem Tag kein einziger Kirchlauterer Zivilist ums Leben gekommen ist? Ganz sicher nicht! Wer solch einen Tag erlebt hat, wird auch keine Flüchtlingshäuser anzünden. Uns wurde die Erde geschenkt. Was machen wir aber mit dem Geschenk?“, fragte Kirchner. Den Reinerlös der Veranstaltung wollen die Organisatoren der Kriegsgräberfürsorge Deutschland übergeben.