Die Grünen-Bundestagsabgeordnete Manuela Rottmann (50) aus Hammelburg im Wahlkreis Bad Kissingen (Landkreise Haßberge, Bad Kissingen, Rhön-Grabfeld) ist Staatssektretärin im Bundeslandwirtschaftsministerium. Warum sie den Landkreis Haßberge für klug hält und wie Gemüse künftig günstiger werden könnte - dazu äußerst sich Rottmann im Gespräch mit der Redaktion. Ebenso zur Frage, wie sie in der aktuellen Krise die Landwirte unterstützen will.
Manuela Rottmann: Wir müssen unterscheiden zwischen Lebensmittelverschwendung auf der einen Seite und dem Problem, dass ein Teil der Bevölkerung auf die Tafeln angewiesen ist. Bei der Verschwendung müssen wir überall in der Kette ansetzen, vom Acker bis in die Küche, in der das Meiste weggeworfen wird. Hier brauchen wir eine Vielzahl von Veränderungen, um die Verschwendung zu verringern, auch gesetzliche. Dass wir überhaupt Tafeln brauchen, ist aber eine sozialpolitische Frage. Die Lösung dafür liegt zum Beispiel in einer Kindergrundsicherung, in einem höheren Mindestlohn, beim Arbeitslosengeld II.
Rottmann: Unser Vorschlag: Null Euro auf Gemüse und Hülsenfrüchte. Diese Lebensmittel sind sehr teuer geworden, die Inflation bei Gemüse ist viel höher als bei Fleisch. Beim Gemüse wollen wir komplett auf die Mehrwertsteuer verzichten, Fleisch hingegen könnte höher besteuert werden. So könnten wir den Aufwand für die Landwirte finanzieren, die in bessere Haltungsbedingungen für ihre Tiere investieren wollen. Und würden auch ein Preissignal für eine gesündere Ernährung setzen. Wir halten das für vernünftig – aber dafür brauchen wir eine Mehrheit und die Zustimmung des Finanzministers.

Rottmann: Darauf konnten wir uns im Koalitionsvertrag nicht einigen. Ich rechne also nicht damit, dass eine Zuckersteuer kommt. Was wir jedoch vereinbart haben ist, dass Werbung zum Beispiel für zuckerhaltige Getränke im Umfeld von Kindern eingeschränkt werden soll. Nicht nur in den Kinderprogrammen im Privatfernsehen, sondern auch im Internet. Ich glaube, dass es wichtig ist, den Kindern gesunden Konsum so einfach wie möglich zu machen, indem man beispielsweise Leitungswasser als Standardgetränk anbietet. Die Kitas und Schulen sind die Orte, die dafür wichtig sind.
Rottmann: Im Koalitionsvertrag ist eine Zuckerreduktionsstrategie vereinbart. Wir setzen diese aber nicht über eine Besteuerung um, sondern über eine Auszeichnung – den Nutriscore. Bisher ist dieser freiwillig. Zukünftig soll er verbindlich und europaweit eingeführt werden. Mit dem Nutriscore kommen die Menschen gut zurecht. Ich kann damit aber nur eine Pizza mit einer anderen Pizza vergleichen. Auf einem Apfel ist kein Nutriscore. Ob man selbst kocht oder verarbeitete Produkte konsumiert, ist dadurch natürlich nicht abgedeckt.
Rottmann: Die Preise für Düngemittel steigen, weil sie vom Gas abhängig sind. Auch die Betriebsmittel werden teurer, beispielsweise der Diesel für den Bulldog. Die Bauern machen sich Sorgen, gerade wegen des kommenden Jahres. Die EU hat deshalb den Krisenmechanismus freigeschaltet, 60 Millionen Euro kommen aus der Krisenhilfe. National haben wir das nochmal um 120 Millionen Euro aufgestockt. Die Bauern bekommen bis Ende September dieses Jahres also 180 Millionen Euro akute Krisenhilfe.
Rottmann: Der Bauer wird sich durchrechnen lassen, ob er mit der landwirtschaftlichen Nutzung die Pachtpreise erzielt, die er für eine Freiflächenfotovoltaik-Anlage bekommen würde. Die Flächenkonkurrenz wird drastisch zunehmen. Deswegen wollen wir mehr und mehr zu einer Doppelnutzung von Flächen kommen: Oben Energiegewinnung durch Agri-Fotovoltaikanlagen, unten Gemüseanbau oder Tierhaltung.

Rottmann: Bei den Freiflächenfotovoltaik-Anlagen haben die Kommunen eine starke Steuerungsmöglichkeit. Für jede Anlage wird ein Bebauungsplan benötigt. Aber vielen Gemeinden fiel es bisher schwer, diese rechtlichen Möglichkeiten zu nutzen, um investorengetriebenem Wildwuchs einen Riegel vorzuschieben. Eine selbstbewusste kommunale Angebotsplanung ist der richtige Weg. Der Landkreis Haßberge versucht in die Richtung zu gehen – ein kluger Landkreis.
Rottmann: Der Landkreis will, dass öffentliche Interessen bei der Flächennutzung berücksichtigt werden und dass die Kommunen mitverdienen. So kann die Energiewende zum Wohlstandsgewinn für alle werden. Auch die Windkraft gehört hier in der Region dazu. Die Energiewende funktioniert nicht ohne Windkraft. Gerade, wenn man in der Region große Energieverbraucher hat, wie beispielsweise die Fränkischen Rohrwerke oder die Papierfabrik Palm. Ich finde die Grundhaltung des Landkreises genau richtig.
Rottmann: Man darf nicht in ein Extrem verfallen. Wir haben einen schlechten Selbstversorgungsgrad bei Obst und Gemüse in Deutschland. Bei Fleisch produzieren wir mehr, als wir konsumieren. Auch beim Weizen produzieren wir viel, sind nicht von der Ukraine abhängig. Natürlich bieten der Binnenmarkt und der Handel in Europa ein Stück Sicherheit. Fällt die Ernte in einer Region schlecht aus, ist sie in einer anderen besser. Eine landkreisweite Landwirtschaft zu betreiben, wäre naiv und würde verletzlich machen. Klug ist der Betrieb, der versucht sich zu diversifizieren und nicht der, der sich nur vom Weltmarkt oder wenigen Abnehmern abhängig macht.
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