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HASSFURT: Nazis löschten fast die ganze Familie aus

HASSFURT

Nazis löschten fast die ganze Familie aus

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    Das Bild links zeigt die frühere Synagoge in Friesenhausen, Haus Nummer 4, heute Drosselgasse 4. Auf dem Bild oben sind die jüdischen Gefangenen nach dem Pogrom am 10. November 1938 vor der Hofheimer Gefängnismauer zu sehen. Vorne links am Wagen steht Julius Hess aus Haßfurt, hinten links Ludwig Eckmann aus Lendershausen, beide später ermordet in Sobibor. Das Bild rechts zeigt das Haus in Haßfurt, Brückenstraße 3, wo sich ab Juni 1942 das Ghetto befand.
    Das Bild links zeigt die frühere Synagoge in Friesenhausen, Haus Nummer 4, heute Drosselgasse 4. Auf dem Bild oben sind die jüdischen Gefangenen nach dem Pogrom am 10. November 1938 vor der Hofheimer Gefängnismauer zu sehen. Vorne links am Wagen steht Julius Hess aus Haßfurt, hinten links Ludwig Eckmann aus Lendershausen, beide später ermordet in Sobibor. Das Bild rechts zeigt das Haus in Haßfurt, Brückenstraße 3, wo sich ab Juni 1942 das Ghetto befand. Foto: Fotos (3): Archiv Kappner

    An diesem Dienstag vor genau 100 Jahren ist der jüdische Soldat Julius Silbermann am 15. November 1916 im Ersten Weltkrieg in Rumänien gefallen, im Alter von nur 20 Jahren. Er war einer von über 12 000 jüdischen Gefallenen im Deutschen Reich. Aus dem heutigen Landkreis Haßberge – den früheren Landkreisen Hofheim, Ebern, und Haßfurt – nahmen 114 jüdische Männer zwischen 1914 und 1918 am Krieg teil.

    Julius Silbermann wurde am 7. Januar 1896 in Haßfurt im Haus Nummer 109 geboren. Die Wurzeln seines Vaters Simon liegen in Friesenhausen. Großvater Emanuel Silbermann, 1829 in Friesenhausen geboren, lebte dort mit seiner aus Westheim bei Haßfurt stammenden Ehefrau Jeanette Baum bis zu seinem Tod. Emanuel Silbermann war Kaufmann und starb am 24. September 1875 in Leipzig, wohl während eines Besuches der Leipziger Messe. Seine Frau Jeanette starb knapp 34 Jahre später im Alter von fast 81 Jahren, am 16. April 1909 in Hofheim.

    Emanuel Silbermann war ein Sohn von Tuchweber Mayer, der im Jahr 1794 in Friesenhausen zur Welt kam, und Madel (Mathilde) Silbermann, einer geborenen Rauh, aus Ermershausen. Er hatte acht weitere Geschwister, von denen zwei als Kinder starben. Die vier Schwestern heirateten in andere Orte der Umgebung, nach Wonfurt, Altenstein (später Memmelsdorf in Oberfranken) und nach Kleinsteinach. Bruder Feist wanderte im Jahr 1853 nach Amerika aus. Er gehörte zur großen Auswanderungsbewegung in die Neue Welt. Sie war eine Folge der vergeblichen Bemühungen der Obrigkeit um eine Gleichstellung der jüdischen Minderheit, die am Widerstand der unteren Schichten in der deutschen Bevölkerung, die Konkurrenz fürchtete, scheiterte. Im Jahr 1857 ging Feists drei Jahre jüngerer Bruder Heinemann nach Amerika.

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    _ Foto: Archiv Kappner

    Die 50er Jahre des 19. Jahrhunderts verzeichneten mit acht Millionen Emigranten den Höhepunkt der Auswanderung. 1852 etwa durchliefen 90 000 Auswanderer den Hafen von Bremerhaven, nach der ersten Abfertigung und Registrierung in Bremen-Lesum.

    Häufig wanderte zuerst der ältere Bruder aus und holte Geschwister und Eltern nach. Es war ein gefährlicher, weiter Weg von einem deutschen Dorf in die Überseehäfen Bremen und Hamburg, wo die Schiffe nach Amerika abfuhren. Die Überfahrt im Zwischendeck war mühevoll, der Neuanfang im fremden Land und in fremder Sprache beschwerlich. Viele schafften den Aufstieg, einige wurden reich und berühmt, wie Marcus Goldmann aus Trappstadt, andere schafften es nicht. Ein Auswanderer schrieb 1851 in die alte Heimat: „In ganz Deutschland geht es keinem Menschen so gut, das dürft ihr uns glauben.“

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    _ Foto: Archiv Kappner

    Zur Geschichte des Ortes gehören die jüdischen Einwohner, die bis in die 60er Jahre des 19. Jahrhunderts in Friesenhausen lebten. Sie waren Schutzjuden der Herren von Dalberg. Das Emanzipationsgesetz vom 10. November 1861 räumte der jüdischen Bevölkerung die vollen Bürgerrechte ein. Juden konnten wählen und gewählt werden. Sie waren deutsche Bürger mit allen Rechten und Pflichten. Die Aufhebung des Matrikelparagraphs bedeutete, dass sie ihren Wohnort frei wählen konnten. Da die jüdische Minderheit ursprünglich aus einem städtischen Umfeld kam, verließen viele jüdische Einwohner ihre Dörfer und zogen in nahegelegene größere Orte.

    Die kleinen jüdischen Gemeinden lösten sich auf. Zu ihnen gehörte auch Friesenhausen, wo seit 1609 jüdische Familien gelebt haben. 1904 wohnten nur noch zwei jüdische Bürger im Ort.

    Jakob Julius Hess auf einem Foto der Gestapoleitstelle Würzburg, nach dem Pogrom vom 10. November 1938.
    Jakob Julius Hess auf einem Foto der Gestapoleitstelle Würzburg, nach dem Pogrom vom 10. November 1938. Foto: Foto: Staatsarchiv

    Der Vater von Julius Silbermann – Kaufmann Simon Silbermann – wurde 1857 in Friesenhausen geboren und starb im Jahr 1912 in Haßfurt. Er hatte 1888 Friesenhausen verlassen und am 16. November des gleichen Jahres im Haus Nummer 109, heute Brückenstraße 3, einen Textilwarenhandel eröffnet, mit seiner Schwester Karolina. Simon Silbermann heiratete Kathi Dittmann aus Aufseß in Oberfranken. Von den fünf Kindern starben zwei im Kindesalter. Julius fiel im Ersten Weltkrieg, seine beiden Schwestern wurden am 25. April 1942 aus Würzburg deportiert und in den Gaskammern der Vernichtungslagers Belzec oder Sobibor ermordet.

    Eine Augenzeugin, damals sieben Jahre alt, beschrieb die Deportation gegenüber der Autorin aus ihrer Erinnerung heraus wie folgt: „Es war ein Tag im April. Da hieß es plötzlich, dass die Juden abtransportiert werden. Daraufhin lief ich zum Bahnhof, um das mitzuerleben. Ich erinnere mich, dass die Juden angespuckt wurden, dass sie sich in ein Zugabteil drängten, in dem sich schon viele Menschen befanden, und dass sie geweint haben. Ich winkte dem abfahrenden Zug nach und sah, dass eine Frau mir zurückwinkte.“

    Das Denkmal für die Gefallenen des Ersten Weltkriegs in Haßfurt, an der Ritterkapelle, trägt auch den Namen von Julius Silbermann (kleines Bild), auf der Seite gegenüber dem Relief der marschierenden Soldaten.
    Das Denkmal für die Gefallenen des Ersten Weltkriegs in Haßfurt, an der Ritterkapelle, trägt auch den Namen von Julius Silbermann (kleines Bild), auf der Seite gegenüber dem Relief der marschierenden Soldaten. Foto: Fotos: M. Mößlein

    Nach dem Krieg haben Arbeiter der Firma Mölter in Haßfurt, die zwischen 1941 und 1944/45 dort gearbeitet haben, einer beruflichen Vertrauensperson im Haßfurter Altersheim erzählt, dass vollgeladene Waggons mit gebrauchten Kleidungsstücken ankamen, auf denen sich der aufgenähte „Judenstern“ befand. In die Kleidung war häufig Geld eingenäht, das die Arbeiter behalten durften. Ein Kind hat sich später noch erinnert, dass der Vater Geld von Mölter heimbrachte.

    Woher die Kleider und Mäntel mit dem Davidstern kamen, war für die Arbeiter in der Lumpen- und Dachpappenfabrik kein Geheimnis. Die Zeilerin Frieda Goldmann hatte sich von dem befreundeten Schneider Langguth auch Geldscheine in ihren Mantel einnähen lassen, bevor sie zur Deportation ging.

    Vielleicht kamen einige Züge aus dem Raum Lublin? Dort kamen die Deportationszüge aus Würzburg an, wurde die Kleidung der ermordeten jüdischen Männer, Frauen und Kinder auch aus dem Haßbergkreis sortiert und „Heim ins Reich“ geschickt. Am 15. September 1941 war das Tragen des Davidsterns angeordnet worden. Am 19. Oktober des gleichen Jahres fuhren die ersten Deportationszüge aus Berlin in die Vernichtungslager.

    In der Festschrift zum 100-jährigen Bestehen der Firma Mölter im Jahr 1958 heißt es unter anderem: „Mit stolzer Freude können wir auf die Vergangenheit (. . .) schauen“.

    Von der Familie der 1893 geborenen Schwester Irma sind die einzigen Fotos von Silbermann erhalten. Irma hatte im Jahr 1919 Jakob Julius Hess aus Geroda geheiratet und mit ihm zwei Kinder, die 1921 geborene Suse und den 1926 geborenen Sigbert. Die Familie lebte in der Brückenstraße 3 in Haßfurt, dem späteren Haßfurter Ghetto. Suse überlebte als Einzige ihrer Familie die Zeit des Nationalsozialismus' durch ihre Flucht in die USA. Sigbert fuhr mit seinen Eltern und seiner Tante Marie am 25. April 1942 in den Tod.

    Das Denkmal für die Gefallenen des Ersten Weltkriegs in Haßfurt, an der Ritterkapelle, trägt auch den Namen von Julius Silbermann (kleines Bild), auf der Seite gegenüber dem Relief der marschierenden Soldaten.
    Das Denkmal für die Gefallenen des Ersten Weltkriegs in Haßfurt, an der Ritterkapelle, trägt auch den Namen von Julius Silbermann (kleines Bild), auf der Seite gegenüber dem Relief der marschierenden Soldaten. Foto: Fotos: M. Mößlein

    Am 23. September 1942 wurde Kathi Silbermann aus Würzburg ins Ghetto Theresienstadt im Protektorat Böhmen-Mähren deportiert, wo sie an den erbärmlichen Lebensbedingungen der alten Menschen auf den Dachböden der ehemaligen Kasernen zugrunde ging und am 27. April 1943 starb.

    Am 28. Dezember 1940 erfolgte vom Bürgermeister in Haßfurt an den Landrat die Vollzugsmeldung, dass die Firmentafel „des früheren jüdischen Geschäfts Silbermann-Hess in der Fritz-Sauckel-Straße 3“ entfernt wurde.

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