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SENNFELD/KITZINGEN: Wehr dich! Selbstverteidigung für Rollis

SENNFELD/KITZINGEN

Wehr dich! Selbstverteidigung für Rollis

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    Wehr dich! Georg Müller und Horst Kohl (links) geben den gehandicapten Lebenshilfe-Mitarbeitern Ronny und Sandra Tipps zur Selbstverteidigung aus dem Rollstuhl heraus. Nach kurzer Übungsphase kann Ronny das Bein des Angreifers mit einem Schlag abwehren.
    Wehr dich! Georg Müller und Horst Kohl (links) geben den gehandicapten Lebenshilfe-Mitarbeitern Ronny und Sandra Tipps zur Selbstverteidigung aus dem Rollstuhl heraus. Nach kurzer Übungsphase kann Ronny das Bein des Angreifers mit einem Schlag abwehren. Foto: Foto: Holger Laschka

    Geb' einfach Vollgas, Sandra“, fordern die Kollegen in den Werkstätten für Behinderte in Sennfeld. Sandra sitzt in einem Elektro-Rollstuhl, muss also nur den Hebel kippen, um der Aufforderung Folge zu leisten. Aber diese Form der Fingerfertigkeit ist heute nicht gefragt. Horst Kohl (Kitzingen) und Georg Müller von der gleichnamigen Schweinfurter Kampfschule sind zu Gast in der Einrichtung der Lebenshilfe, um Menschen mit Handicap – insbesondere wenn diese bewegungseingeschränkt im Rollstuhl sitzen – Techniken zur Selbstverteidigung beizubringen.

    Den „Kickstart gegen den Fußkick“ würde Georg Müller allerdings als probates Abwehrmittel auch durchgehen lassen. „Wir versuchen den Menschen – je nach Grad der Behinderung – sehr individuelle Werkzeuge an die Hand zu geben, damit sie sich gegen Übergriffe wehren können“, sagt Müller. Und Kollege Kohl ergänzt: „Tätlichkeiten gegen Behinderte nehmen zu. Entweder rein aus der Aggression heraus, oder im Zusammenhang mit Raubüberfällen.“ Menschen im Rollstuhl gäben dabei vermeintlich „besonders dankbare Opfer“ ab. „Manche treten ihnen in den Bauch, andere kicken wie bei einem Volleyschutz gegen den Kopf des Rollis“, weiß Kohl. Und häufig würde auch einfach der fahrbare Untersatz umgeworfen.

    „Solche Zwischenfälle gelangen nur selten zur Polizei“, weiß Kohl. Die Betroffenen schämten sich oder deren Erziehungs- oder Pflegeberechtigte täten die Angelegenheit als Lappalie ab. Dies wiederum führe dauerhaft zu einer Schwächung des Selbstbewusstseins bei der Person mit Handicap. Selbstverteidigungstraining mit „Rollis“ verfolgt deshalb auch zwei Ziele: Die Herstellung einer gewissen Wehrhaftigkeit und die Stärkung der Persönlichkeit. „Wir waren mit Testgruppen schon in der Berliner U-Bahn unterwegs, haben bewusst unsere iPhones gezeigt und die Geldbeutel um den Hals getragen“, erzählt Georg Müller. „Angegriffen wurden wir nicht – weil wir Stärke ausgestrahlt haben.“

    Was bringen Müller und Kohl den Rollstuhlfahrer letztlich bei? Zunächst ermitteln sie – individuell – die motorischen Fähigkeiten der Behinderten. „Dabei darf man nicht zimperlich sein“, sagt Kohl, „das sind Menschen wie Du und ich...“ Dann werden – wenn möglich – Verteidigungstechniken gegen Tritte und Schläge geübt, meist mittels ausschweifender Armbewegungen, die den Angreifer bloßstellen und einen Gegenangriff ermöglichen.

    Da der Radius des Rollstuhlfahrers relativ klein ist, muss ein möglicher Gegenschlag zielgenau und an erreichbarer Stelle angesetzt werden. Trainer Horst Kohl empfiehlt den präzisen Boxhieb auf die Leber: „Das schmerzt und setzt erstmal außer Gefecht.“

    Angriff abwehren, Gegner ausschalten. So lautet der Grundsatz der Selbstverteidigungen – ob unter „Gesunden“ oder „Gehandicapten“. Bis die Fähigkeiten der Rollstuhlfahrer allerdings so weit entwickelt sind, dass sie sich in einer realen Bedrohungssituation wehren könnten, bedarf es vieler Trainingseinheiten. Beim Besuch der Kampfsportler in der Lebenshilfe ging es zunächst einmal darum, das Interesse für diese Form der „Selbststärkung“ zu wecken. Georg Müller will – bei ausreichender Nachfrage – einen Kurs wahlweise in seinem Schweinfurter „Dojo“ in der Wilhelmstraße oder auch vor Ort in den Sennfelder Werkstätten anbieten.

    Der alte Kampfkunst-Fuchs hatte allerdings auch schon sein ganz spezielles Erlebnis mit einem Behinderten. Als er den aufforderte, sich gegen einen „gespielten“ Angriff zur Wehr zu setzen, packte der Rollstuhlfahrer Müllers Arm mit Links und zwickte mit Rechts kräftig in die Beuge – „drei Tage hatte ich einen blauen Fleck“, erinnert sich der Trainer, „und war für den Moment tatsächlich außer Gefecht...“

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