Strenges Fasten- und Enthaltung von Fleischspeisen schreibt die katholische Kirche nur noch an Aschermittwoch und Karfreitag vor. Bis vor wenigen Jahrzehnten war das noch anders. An den 40 Wochentagen vor Ostern war nur einmalige Sättigung am Tag erlaubt. Jeder Freitag war Abstinenztag, an dem es verboten war, Fleisch zu essen.
Die Fastenregeln änderten sich im Lauf der Kirchengeschichte immer wieder. Im Mittelalter wurde nicht nur vor Ostern, sondern auch vor anderen Festen und Feiertagen gefastet. Ähnlich wie im Islam während des Ramadan durfte man ursprünglich an den strengeren Fasttagen vom Morgen bis zum Abend nichts essen. Diese strengen Regeln lockerten sich ab dem 8./9. Jahrhundert.
Spätestens ab dem 14. Jahrhundert war eine Sättigung am Mittag erlaubt. Um diese Zeit gab es im Erzbistum Mainz, zu dem Lohr damals gehörte, 65 Fasttage. Da diese zugleich Abstinenztage waren, erhöhte sich deren Zahl auf fast 160 Tage im Jahr. Das Einhalten dieser Bestimmungen dürfte dem ärmeren Teil der Bevölkerung nicht schwer gefallen sein, weil sie sich Fleisch auf dem Tisch ohnehin nur selten leisten konnte. Verboten waren an den Fast- und Abstinenztagen aber auch Eier und alle Milchprodukte (Laktizinien) wie Butter und Käse.
Keine Milchprodukte
Zunehmend setzten sich weitere Milderungen durch, vor allem in den nördlich gelegenen Ländern, in in denen es wegen des längeren Winters schwieriger war, das fehlende Eiweiß von Fleisch und Milchprodukten durch Gemüse und Früchte zu ersetzen. Solche Milderungen erfolgten anfangs durch Ausnahmegenehmigungen, später durch allgemein gültige Lockerung der Vorschriften.
Eine solche Dispens erlangte am 9. September 1514 in Rom Graf Thomas von Rieneck. Er wurde am 20. Januar 1472 als Sohn des Grafen Philipp II. (des Jüngeren) und seiner zweiten Frau Anna von Wertheim geboren, vermutlich in Lohr.
1514 wurde Albrecht von Brandenburg, Erzbischof von Magdeburg und Administrator von Halberstadt, auch zum Erzbischof und Kurfürsten von Mainz gewählt. Das Mainzer Domkapitel schickte den Domkustos Thomas von Rieneck nach Rom, um die päpstliche Bestätigung der Wahl und das Pallium zu erbitten. Das Pallium ist eine weiße wollene Binde, mit schwarzen Kreuzen bestickt, die der Papst als Zeichen besonderer Verbundenheit an Erzbischöfe und besonders ausgezeichnete Bischöfe verleiht. Für Thomas von Rieneck war der Aufenthalt auch persönlich von Nutzen. Er erlangte zusätzlich zu seinen bisherigen Pfründen auch noch das Anrecht auf Einkünfte aus Aschaffenburg sowie aus Benefizien in den Bistümern Würzburg, Bamberg und Lüttich.
Die Dispens des Papstes Leo X. vom Laktizinienverbot – im Volksmund „Butterbrief“ genannt – hat folgenden Inhalt: Papst Leo X. erlaubt den Brüdern Graf Reinhard von Reynegk (Rieneck) und Thomas von Reynegk, dem Kustos der Mainzer Kirche und bestelltem Orator des Mainzer Kapitels für die Bestätigung der Wahl des Albert, Erzbischofs von Magdeburg, auf den Erzbischofsstuhl von Mainz, ferner der Gemahlin und den Kindern des Grafen Reinhard, sowie allen Untertanen, die sich zur Zeit unter der weltlichen Gewalt der genannten Grafschaft befinden, für die Fastenzeit und für alle Tage, an denen Laktizinien verboten sind, den Genuss derselben.
Der Butterpfennig
Reinhard von Rieneck (1463 – 1518), der ältere Halbbruder des Domherrn, war der regierende Graf, verheiratet mit Agnes von Gleichen (1483 – 1519). Es spricht für den Domherrn, dass er den „Butterbrief“ nicht nur für die gräfliche Familie und deren Bedienstete, sondern für alle Untertanen ausstellen ließ. Für die Dispens war eine Gebühr fällig. Mancherorts wurden Opferstöcke aufgestellt, in die jeder, der von der Erlaubnis Gebrauch machen wollte, ein Geldstück einwarf. Von diesen „Butterkastengeldern“ ging ein Drittel an die römische Kurie; der Rest wurde für den Bau von Kirchen am Ort oder in der Diözese verwendet. Der Text der Urkunde verrät nicht, ob auch die Rienecker Untertanen diesen „Butterpfennig“ bezahlen mussten, oder ob Graf Thomas ihn aus der eigenen Tasche entrichtete. Der „Domgraf“ starb am 28. Juli 1547 in Köln und ist dort im Stift St. Gereon begraben, dessen Dekan er war.