Zellingen Sieben ganz besondere Gäste begrüßte Volker Engel am Freitagabend auf seinem Riedwiesenhof: Das Ehepaar Christine und Jürgen Reimer machten samt ihres Reisbegleiters Erich Ramm und einem inzwischen außergewöhnlichen Gefährt dort Station: Die Drei sind mit dem Nachbau einer historischen Postkutsche unterwegs, sie wird von vier Pferden gezogen.
Das Journalistenehepaar ist für seine Reisereportagen mit dem Tourenrad bekannt und erfüllt sich mit der Postkutschentour jetzt einen anderen Lebenstraum. Seit dem 17. April sind sie unterwegs, Start war in Osteland bei Hamburg. Die Reise führt in sechs Monaten 6000 Kilometer weit durch sechs europäische Länder, nach Möglichkeit auf den Routen der historischen Postkutschen.
Die Kutsche selbst ist ein 2005 angefertigter Nachbau des früheren "Omnibusses von 1890", rund vier Meter lang, zwei Meter breit, 2,70 Meter hoch, leer 1490 und voll belanden 2500 Kilogramm schwer. Dank Ledersitzen und Rundumverglasung reist es sich durchaus bequem für die Fahrgäste. Gegen Bezahlung kann jeder an einer Tagestour teilnehmen. Moderne Beleuchtung und Scheibenbremsen wie beim Auto sorgen dafür, dass die Sicherheit bei dem zehn Meter langen Gespann nicht zu kurz kommt.
Gerade die Bremsen entlasten bergab auch Lexus, Elton, Hero und Hektor. Die vier Pferde der Rasse "Alt-Oldenburger" gehören zur Kategorie "schweres Warmblut." 700 bis 800 Kilogramm bringt jedes von ihnen auf die Waage, früher waren diese kräftigen Tiere mit doppelt so großem Lungenvolumen wie bei einem Friesen die Pferde für den "schweren Zug" schlechthin.
Trotzdem sind die Reimers bemüht, es ihren Pferden leicht zu machen. Die Tagesetappen sind höchstens 50 Kilometer lang, im bergigen Gelände nochmal ein Drittel kürzer. Mehr als zehn Prozent Steigung müssen nicht erklommen werden, eventuelle Fahrgäste werden nötigenfalls gebeten, auszusteigen. Das schwül-warme Wetter am Freitag setzte den Tieren trotz weitgehend flacher Strecke zu. Die Kutscher Christine und Jürgen Reimer haben eigens den Kutschenfahrschein erworben. Sie nahmen Rücksicht auf die Tiere und kamen lieber verspätet in Zellingen an.
Wer arbeitet, muss auch essen. Rund 25 Kilogramm Hafer und Kilogramm Heu braucht das Vierergespann jeden Tag. Die Postkutschentour kann deshalb nicht überall Station machen, können diese Mengen doch nicht auf der Kutsche mitgeführt werden, wohl aber Zusatzfutter wie Müsli, Bruchmais, Salze und Minerale. Ein Futterhersteller als Sponsor schickt alle zwei Wochen Ergänzungsnahrung zu ausgewählten Stationen.
Deshalb waren Volker Engel und sein Reitwiesenhof für die Reimers ein Glücksfall, unternahm Volker Engel doch früher selbst Kutschfahrten durch ganz Deutschland. Noch immer hält er zwei Pferde. Denen passte es übrigens nicht so recht, dass sie am Freitag einmal im Stall bleiben mussten. Die Weide war erst einmal den Alt-Oldenburgern vorbehalten. Wo immer Reimers ankommen, die Versorgung der Tiere geht vor.
Auf unterfränkischem Gebiet ist die Kutsche seit Dienstag unterwegs. Über Bischofsheim und die Rhön ging es nach Hammelburg, am Freitag folgte die Weiterfahrt über Gemünden nach Zellingen. Rund 880 Kilometer hat "Lexus", der im Internet sein eigenes Tagebuch schreibt, mittlerweile "auf den Hufen".
Inzwischen ist die Europakutsche in Bad Mergentheim angekommen. Dort rasten Mensch und Tier einen Tag, am Dienstag geht es dann weiter über die romantische Straße.
Im größeren Maßstab betrachtet sollen Deutschland und Österreich von Nord nach Süd durchquert werden, danach geht's über die Alpen bis nach Verona. Von dort führt die Route nach Osten, über Slowenien, Ungarn und Tschechien zurück nach Deutschland. Budapest, Wien, Prag, Dresden, Berlin und Hamburg sind nur einige der bedeutendsten Durchfahrtsorte.
In Zellingen begrüßte der dritte Bürgermeister Winfried Fischer die weit gereisten Gäste. Er hatte die Ehre, sich in das mitgeführte "goldene Buch" eintragen zu dürfen.
Die Tour ist im Internet unter
www.europakutsche.de dokumen-
tiert. Dort kann man auch tage-
weise Mitfahrten buchen.