Der Gedanke ist so revolutionär wie einfach: Eine Mega-Batterie, die ohne knappe Rohstoffe auskommt. Ohne Lithium aus Chile. Ohne Kobalt aus dem Kongo. Ohne Nickel aus Russland. Ohne teure Metalle also, deren Abbau die Umwelt schädigt und die die Abhängigkeit Deutschlands vergrößern. Kurzum: Eine Batterie, die Energie nach dem Vorbild der Natur nur mit Hilfe organischer Moleküle speichert. Eine Firma aus Franken, CMBlu aus Alzenau im Landkreis Aschaffenburg, hat das jetzt geschafft. Ihre Großbatterie soll in Serie gehen.
"Peter, mach doch mal was Anständiges!" - diesen Satz habe er oft zu hören bekommen, als er vor zehn Jahren mit seiner Forschung begann, sagt der Gründer des Greentech-Unternehmens, Peter Geigle. Damals habe sich noch niemand vorstellen können, einen "so radikal anderen Weg" zu wählen, um Energie zu speichern. Dabei sei es doch "der naheliegendste Weg", so der 59-Jährige heute.

Damals saß der studierte Mediziner und Biotech-Spezialist Geigle zuhause am Küchentisch und experimentierte mit Kochtöpfen, Reagenzgläsern, Zellblöcken und Mini-Batterien. Heute, elf Jahre später, beschäftigt seine Firma 165 Mitarbeiter in Alzenau und in Kalifornien.
Erste Kunden: Uniper und das Burgenland
Zu seinen ersten Kunden zählt der Energie-Riese Uniper, der den fossilen Kraftwerkstandort Staudinger bei Hanau in Hessen zu einem nachhaltigen Energie-Hub umbauen will. Bestehende Infrastruktur und Netzanschlüsse will man dort künftig zur Speicherung großer Energiemengen nutzen, sagt Markus Geigle, Marketingleiter von CMBlu und Bruder des Firmengründers.
Auch die Österreicher haben die Firma aus Alzenau für sich entdeckt. Eine 300 Megawattstunden-Batterie von CMBlu soll schrittweise bis 2024 im Burgenland aufgestellt werden. Das östlichste Bundesland produziert mehr Sonnen- und Windenergie als es selbst verbraucht. Trotzdem ist es in seiner Stromversorgung bisher nicht autark. Das soll sich ändern, auch mit Hilfe der neuen Batterie-Technik aus Franken, sagt Markus Geigle.
Das Problem Speicherung: Der heilige Gral der Energiewende
Der Energiespeicher von CMBlu wird jetzt im österreichischen Stromnetz erstmals praktisch erprobt. Seine Großbatterie könne den erneuerbaren Energien zum Durchbruch verhelfen, hofft Peter Geigle. Die Speicher-Frage gilt seit Jahren als heiliger Gral der Energiewende. Weil der Wind nicht immer weht und die Sonne nicht immer scheint, braucht es große Speicher, die die Schwankungen im Stromnetz je nach Wetterlage ausgleichen. Das kostet bislang viel Geld. "Wenn wir es schaffen, dass die Energieerzeugung aus erneuerbaren Energien und die notwendige Speichertechnik billiger sind als die fossile Energieerzeugung - dann haben die Erneuerbaren gewonnen", sagt Geigle.

Wer das Startup, das längst keines mehr ist, besuchen will, muss ins Gewerbegebiet von Alzenau, an den Waldrand nahe der hessischen Grenze. Zwischen Autohaus, Getränkemarkt und mittelständischer Industrie liegt der Firmensitz von CMBlu. In der neuen Fabrikhalle soll die Großbatterie in Serie gehen. Einzelne digital gesteuerte Anlagen arbeiten bereits geräuschvoll, daneben lagern die Prototypen für Uniper und das Burgenland.
Ein einzelnes Speichermodul ist 2,20 Meter lang, 1,40 Meter hoch und 1,20 Meter tief. Es enthält 200 Kilowattstunden Energie. Mehrere Module ergeben einen fertigen Energiespeicher. "Schalten Sie 1250 unserer Module zusammen, erhalten Sie eine 250 Megawattstunden-Batterie. Das sieht dann ähnlich aus wie in einem Hochregal-Lager von Ikea", sagt Dr. Nastaran Krawczyk, Mitglied des Vorstands und bei CMBlu Frau der ersten Stunde.
Der Mediziner und die Chemikerin
Sieht man den Firmengründer und die Chemikerin, beginnt man zu verstehen, was das Unternehmen in der fränkischen Provinz so besonders macht. Hier der 59-jährige Visionär, der "schon immer etwas gestalten wollte", wie er sagt. Mit drei Jahrzehnten Erfahrung als Unternehmer und guten Kontakten in die Hochschulen. Da die 37-jährige Wissenschaftlerin aus der Lithium-Ionen-Forschung mit der "Leidenschaft für Batterien".

Der gebürtige Hannoveraner Peter Geigle ist in Alzenau aufgewachsen. Schon während seines Medizinstudiums in Würzburg und Frankfurt gründete er seine erste Firma in der Biotech-Branche. Dann ein weiteres Medizinunternehmen namens Cellmed, das er 2010 an einen größeren Hersteller verkaufte. Mit 47 Jahren hatte Geigle finanziell ausgesorgt. Doch die Idee, "Energiespeicherung ähnlich wie im menschlichen Körper, vereinfacht nachzubauen", habe ihm keine Ruhe gelassen.
Nastaran Krawczyk wurde in der Ukraine geboren. Ihre Eltern kamen aus Afghanistan, seit ihrer Kindheit lebt sie im unterfränkischen Alzenau. Der erste Deutschkurs als Kind sei ihr verwehrt worden, erinnert sich die 37-Jährige. Die Begründung: Sie beherrsche die Sprache bereits zu gut. Heute arbeitet die promovierte Chemikerin an der Energiespeicherung der Zukunft.
Mit speziellem Kunststoff-Granulat: So funktioniert die Batterie von CMBlu
Nastaran Krawczyk erklärt, wie die "Organic Solid-Flow Batterie" funktioniert: In Tanks wird ein Kunststoff-Granulat gelagert, an dessen Zusammensetzung mehr als 100 Forscherinnen und Forscher bei CMBlu gearbeitet hätten - unter ihnen Ingenieure für Elektrotechnik, Chemiker, Werkstudenten, Doktoranden und Praktikanten. Das Granulat dient als Speichermedium. Der spezielle, aber simple Kunststoff kann laut Unternehmen günstig hergestellt und problemlos wiederverwendet werden.

Beim Laden und Entladen der Batterie wird eine wässrige Elektrolytlösung in einem kontinuierlichen Kreislauf durch den Energiewandler und die Tanks gepumpt, sagt die Chemikerin. Elektrische Energie werde in chemische Energie umgewandelt, mittels der Elektrolytlösung in die Tanks transportiert und im Kunststoff-Granulat gespeichert. Beim Entladen laufe es umgekehrt.
Das Besondere: Die Batterie kommt laut CMBlu in ihrem Inneren ohne Metalle aus. Nur am Ein- und am Ausgang dient ein Kupferanschluss als Stromabnehmer. Daher sei sie deutlich günstiger als eine Lithium-Ionen-Batterie. Sie entlade sich im Vergleich zu herkömmlichen Batterien auch nicht von selbst und bestehe weder aus entflammbaren Materialien noch aus giftigen Chemikalien, sagt Krawczyk. Nötig seien nur kohlenstoffbasierte Feststoffe und wasserbasierte flüssige Elektrolyte.
Noch groß und schwer: Der Haken der Super-Batterie
CMBlu gibt für die Batterie eine Garantie für zehn Jahre und 10.000 Lade- und Entladezyklen. Doch ihre Lebensdauer sei im Prinzip unbegrenzt, weil jede Komponente ausgetauscht werden könne, sagt Markus Geigle. Und wo ist der Haken bei der fränkischen Super-Batterie? Wenn man es als Haken bezeichnen wolle, dann, dass sie noch zu groß und zu schwer ist, um sie auch in mobile Anwendungen wie Elektroautos einzubauen, sagt der Marketingleiter. Derzeit konzentriere sich CMBlu deshalb auf Energieerzeuger und Netzbetreiber, die große stationäre Stromspeicher bauen. Die Ausnahme: "Schiffe und Fähren können mit unserer Technologie bald fahren", sagt Geigle.
Von der Pilotfertigung zum Bau riesiger Stromspeicher
Über 70 Patente hat CMBlu auf die neue Technologie angemeldet. 100 Millionen Dollar haben Peter Geigle und vier weitere Gesellschafter nach eigenen Angaben in ihre Firma gesteckt. Unter ihnen der Unternehmer Achim Becker, der in den 80er-Jahren "Data Becker", einen der ersten deutschen IT-Fachverlage, gründete.
Der nächste Schritt sei jetzt die Suche nach Investoren für die Produktionsanlagen, sagt der Firmenchef. Das Interesse an der Technologie sei groß, auch aus dem Ausland. China zähle zwar zu den weltgrößten Herstellern konventioneller Lithium-Ionen-Batterietechnik, doch auch dort forciere man die Forschung auf dem Feld organischer Batterien.

CMBlu wolle sich auf Europa und die USA konzentrieren, sagt Geigle. Die Vereinigten Staaten sind beim Bau riesiger Energiespeicher viel weiter als Deutschland. Auch, weil die Stromnetze dort schwankungsanfälliger sind als in Europa. "Im Großraum Los Angeles gibt es im Stromnetz mehr Batterie-Speicherkapazitäten als in ganz Europa", sagt Geigle.
Seiner Meinung nach ist die Energiewende nur mit dem Bau großer Speicher zu schaffen. In Deutschland sei diese Erkenntnis noch nicht wirklich durchgedrungen. Immerhin: Ein Mitarbeiter von Vizekanzler und Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck hat Geigle und seine Firma vor wenigen Wochen in Alzenau besucht.