Er läuft und läuft und läuft: Seit dem 1. April 2002 ist Rainer Hoffmann zu Fuß auf Tour durch ganz Deutschland. Der Hamburger macht sich dabei für Gesetze stark, die den sexuellen Missbrauch von Kindern härter bestrafen. 500 000 Unterschriften will er zusammenbekommen, die er dann in Berlin Bundeskanzlerin Angela Merkel überreichen möchte. Am Mittwoch machte der Mann mit dem grauen Rauschebart Station in Marktheidenfeld.
Ihn als Obdachlosen zu bezeichnen, wäre verkehrt: Rainer Hoffmann hat sein „Wohnmobil“ immer mit dabei. 160 Kilogramm schwer ist der Handwagen Marke Eigenbau, der ihm als Transportmittel und Schlafstätte gleichermaßen dient. Ein Sandmännchen ist seine „Kühlerfigur“. Bunte Plaketten mit den Wappen der Städte, in denen Hoffmann schon gewesen ist, zieren den Rahmen des „Kabinenrollers“.
Die Mission, in der der 49-Jährige unterwegs ist, steht in roten Lettern auf der orange-grünen Plastikplane, die wie bei einem Planwagen über das Gefährt gespannt ist: „Keine Gewalt gegen Kinder!“ Als in seinem Bekanntenkreis ein Kind missbraucht und der Täter lediglich zu einer Bewährungsstrafe verurteilt worden sei, da habe er beschlossen, sein bürgerliches Leben hinter sich zu lassen und einen „Protestlauf“ durch die Republik zu starten, erzählt er. Er habe sein gesamtes Hab und Gut verkauft, den Wagen zusammengezimmert und sich auf den Weg gemacht.
21 700 Kilometer zurückgelegt
An der Davidswache auf St. Pauli hat die Reise des gelernten Orthopädie-Schuhmachers vor über achteinhalb Jahren begonnen. Inzwischen hat er nach eigenen Angaben 21 700 Kilometer zurückgelegt und 18 Paar Schuhe verschlissen.
In jeder kleinen oder großen Stadt, in der er sich für eine Weile aufhält, hat er stets drei Anlaufstellen: die Polizei, das Rathaus und die Presse. Mit deren Unterstützung wolle er auf sein Anliegen aufmerksam machen, sagt er, denn durch Vagabundieren alleine erreiche er herzlich wenig.
In Marktheidenfeld habe er dabei angenehme und weniger schöne Erfahrungen gemacht, berichtet Hoffmann, an dessen raubauzige Art man sich erst nach ein paar Minuten gewöhnen kann. Aus einer schon etwas zerfledderten karminroten Mappe zieht er ein Schreiben hervor, auf dem rechts oben das Wappen der Stadt Marktheidenfeld abgebildet ist. Bürgermeisterin Helga Schmidt-Neder bestätigt ihm darin, dass er „während seines Protestlaufs unsere Stadt besucht hat“. Seinem Vorhaben wünscht sie „weiterhin viel Erfolg“. Darüber habe er sich sehr gefreut, sagt Hoffmann.
Auf die Beamten der hiesigen Polizeiinspektion war der „Dauerläufer“ dagegen weniger gut zu sprechen; sie hätten sich keine Zeit für ihn genommen und ihn hinauskomplimentiert. Anderswo sei er wesentlich herzlicher empfangen worden, sagt er und zeigt demonstrativ seinen Schlüsselanhänger, den er um den Hals trägt und an dem zig kleine Metallplaketten baumeln, die meisten davon schwarz und mit dem Namen einer Polizeidienststelle versehen. „Aus Unterfranken habe ich bisher aber noch nichts“, sagt er grummelig.
Unterschriften auch von Promis
In den vier Mappen, die er auf der durchgelegenen Federmatratze im Inneren seines Wagens liegen hat, bewahrt Hoffmann neben Behördenschreiben und Zeitungsausschnitten auch seine bisher gesammelten Autogramme auf. Abertausende „ganz gewöhnlicher“ Bürger sind darunter, aber auch die von Prominenten.
Stolz präsentiert er die Unterschriften von Altbundeskanzler Helmut Kohl, dem früheren Boxer Henry Maske, Schlagersängerin Nicole, Schauspieler Heiner Lauterbach und Unterhaltungskünstler Helge Schneider. Andere bekannte Persönlichkeiten hätten ihm dagegen ihre Signatur verweigert, sagt er, zum Beispiel Schlagersänger Heino, Fernsehpfarrer Jürgen Fliege und Komikerin Hella von Sinnen.
Aufmunternde Worte statt Geld
Zuspruch hört Hoffmann gerne, finanzielle Hilfe will er dagegen keine. „Ich nehme nur etwas an, wenn ich dafür auch gearbeitet habe“, sagt er. Mit Gelegenheitsjobs wie bei der Apfelernte hält er sich über Wasser.
Sollte sein Marsch nicht von politischem Erfolg gekrönt sein, will der 49-Jährige im wahrsten Sinne des Wortes ein paar Schritte weiter gehen: „Dann werde ich durch ganz Europa wandern und Unterschriften sammeln.“
Bei der Suche nach einer Person, die ihn bei seinem „Marathon“ begleitet, und sei es nur ein Stück, hat Hoffmann bislang kein Glück gehabt – auch in Marktheidenfeld nicht. So zieht er auch an diesem Mittwoch alleine weiter, den Main entlang. „Vielleicht schaffe ich es ja heute noch bis nach Wertheim“, sagt er.
Kindesmissbrauch
Jahr für Jahr werden in Deutschland laut Statistik des Bundeskriminalamtes über 15 000 Kinder unter 14 Jahren sexuell misshandelt. Experten schätzen die Dunkelziffer bei etwa 90 Prozent. Kindesmissbrauch kommt so häufig vor, dass man davon ausgehen kann, dass in jeder Kindergartengruppe, in jeder Schulklasse, in jeder Nachbarschaft oder Verwandtschaft misshandelte Kinder zu finden sind. Fast immer handelt es sich dabei um einen sexuellen Missbrauch. Da die Täter häufig aus dem unmittelbaren familiären Umfeld der Kinder stammen, werden viele Fälle gar nicht oder erst sehr viel später angezeigt, wenn die Kinder das Elternhaus verlassen haben.