Sie hören Stimmen, die nicht da sind. Sie haben extreme Stimmungsschwankungen. Sie erleben ihre Umwelt oft nicht so wie gesunde Menschen. Und sie werden benachteiligt und gemieden. Menschen mit einer Psychose haben nicht nur mit ihrer Krankheit zu kämpfen. Obwohl psychische Leiden zu den Volkskrankheiten zählen - laut Stationsärztin Dr. Susanne Pera gibt es in Deutschland allein 800 000 Schizophrene - werden Betroffene immer noch ausgegrenzt.
Das Urteil der Frau aus der hintersten Reihe des Tagungsraums im Schloss Werneck klingt so endgültig wie deprimierend: "Man ist einfach abgestempelt und hat beruflich keine Chance mehr", sagt sie. Sie wohnt auf dem Land, ist auf ein Auto angewiesen, wenn sie sich wieder einmal um einen Job bemüht. Doch mit den starken Medikamenten, die sie nehmen muss, darf sie nicht mehr Auto
Doch nicht in jedem Fall geraten psychisch Kranke in einen solchen Teufelskreis. Etwa 120 Menschen sind zum Seminar in das Krankenhaus für Psychiatrie nach Werneck gekommen: Betroffene, Angehörige und professionell Tätige wie Therapeuten und Sozialpädagogen. Sie machten deutlich, dass von völliger Isolation bis völliger Integration alles möglich ist.
Einen Suizidversuch und eine Reihe von Selbstverletzungen hat die junge Frau hinter sich, die sich als nächste zu Wort meldet. Noch während des Klinikaufenthaltes habe sich ihr Chef nach ihr erkundigt. Er habe Wert darauf gelegt, dass sie wieder arbeitet - wenn sie sich denn einen Acht-Stunden-Tag zutraue. "Ich wurde gleich wieder herzlich aufgenommen", sagt sie. Doch das ist nur die eine Hälfte ihres Lebens. In dem Dorf, in dem sie weitgehend isoliert lebt, wird sie gemieden. "Eine Freundin muss sogar erst ihren Mann um Erlaubnis fragen, wenn ich sie sehen will."
Die Unsicherheit der Mitmenschen im Umgang mit psychisch Erkrankten wird immer wieder deutlich. "Psychisch Kranke haben das Stigma, unberechenbar und aggressiv zu sein", sagt Krankenhaus-Seelsorger Bernhard Fenn. Und das sei in den allermeisten Fällen falsch. Beispielsweise werde Schizophrenie oft in Zusammenhang mit Gewalttaten gebracht, "doch Gewalttäter kommen ja in die Forensik", so Fenn.
Die junge Frau in der ersten Reihe, Mutter einer kleinen Tochter, strotzt vor Energie. Sie setzt auf gnadenlose Offensive im Umgang mit ihrer Krankheit: "Wenn mich einer fragt was ich mache, sage ich ihm: Ich bin Vollzeit-Psycho - und stolz darauf!" Starke Depressionen hätten ihr in den vergangenen Jahren immer wieder zugesetzt, erzählt sie, im Moment gehe es ihr aber gut. Doch selbst dann werde man das Stigma nicht los: "Neulich hatte ich einen ganz normalen Wutausbruch - und kam gleich wieder für drei Tage nach Werneck. Dann steht natürlich auch das Jugendamt sofort auf der Matte."
Eine Frau Anfang 40 verkneift sich solche Wutausbrüche längst "weil es eben in das Krankheitsbild passt". In der Pubertät wollte ihre Familie sie zum ersten Mal zwangseinweisen lassen, heute wird sie von ihren eigenen Kindern gemieden. Von ihrer Krankheit hat sie nur "zwei Personen erzählt, denen ich zu Recht vertraut habe".
Vom nötigen Feingefühl, die Menschen zu finden, denen man sich anvertrauen kann, berichtet auch ein Mann, der mit seiner Frau zum Seminar gekommen ist. Sie habe zuerst große Angst gehabt, als die Krankheit ihres Mannes bekannt wurde, erinnert sich die Frau. "Doch unsere engen Freunde haben es super aufgenommen." Denn eigentlich sei es doch wie immer im Leben: Man muss ja nicht jedem alles erzählen.
Wenn es noch eines Beweises bedurft hätte, dass psychisch Kranke ganz normale Menschen sind, dann war es das Ende der Veranstaltung: Punkt 2030 Uhr stürzen die 120 Teilnehmer nach draußen - denn in 15 Minuten beginnt das Championsleague-Spiel Bayern gegen Chelsea.