Mit Genuss verspeist Klaus Ernst seine Pasta. Die Bedienung bringt Wasser mit Zitrone. Für Rotwein ist es eindeutig zu heiß an diesem Mittag. Der Spitzenkandidat der Partei Die Linke für die Bundestagswahl hat als Treffpunkt das italienische Restaurant Vicino gewählt, das er seit ewigen Zeiten kennt. Als er noch Erster Bevollmächtigter der IG Metall war, hat er hier oft mit den Kollegen gegessen. Es ist sein Lieblingsort in der Stadt. Ein ruhiges Plätzchen, gute Küche, nicht überteuert, sagt er. Von wegen Luxuslokal, wie ihm die Presse schon unterstellt hat. „Wir Linken müssten halt eigentlich in Sack und Asche gehen, wir sollten darben“, sagt Ernst und grinst. Solche Klischees scheinen ihn zu amüsieren, über Schlagzeilen wie „Porsche-Klaus“ kann er lachen, über andere Angriffe gegen ihn nicht. Aber dazu kommen wir später.
Gut erholt sieht er aus, braun gebrannt und ziemlich entspannt, trotz seines vollen Terminkalenders. Er war wieder einmal ein paar Tage auf seiner Alm in Elmau in Tirol, seinem Rückzugsort seit 25 Jahren. „Nur gemietet“, sagt er. Eine Hütte ohne Strom und ohne Zufahrt. Was er dort macht? Bergsteigen, Skifahren, Wildwasser mit dem Kanu, früher Gleitschirm fliegen. Heute hat er weniger Zeit für den Sport und die Alm. Seit 2005 ist Ernst Mitglied im Bundestag, hat eine Wohnung in Berlin, eine zweite in Arnstein. „Alles gemietet“, sagt er ungefragt.
Auf die Frage, wo seine Heimat sei, muss er kurz überlegen: Daheim ist er in München, seinem Geburtsort. Zuhause fühlt er sich auf der Alm. Berlin ist Arbeitsort, kein Zuhause. Schweinfurt schließlich sei ein Stück Heimat, weil er hier gerne gearbeitet hat und sich bis heute respektiert fühlt, auch von Leuten, die ihn nicht unbedingt wählen. Das Verhältnis zu den Kollegen von der IG Metall bezeichnet er sogar als innig – ein eher ungewöhnlicher Begriff im Wortschatz des 58-Jährigen. Er fühlt sich halt immer noch als Metaller: „Das bleibt man sein ganzes Leben.“
Genug geplänkelt, verlassen wir die Wohlfühl-Zonen, sprechen wir über Politik und seine Partei, die ja bekanntlich kein Wohlfühl-Bereich ist. Es gab Zeiten, da haben ihn Parteigenossen mitverantwortlich für das schlechte Abschneiden der Linken gemacht. Der Begriff amüsiert Ernst und er bestätigt: „Eine Partei ist definitiv kein Wohlfühl-Bereich, aber das gilt nicht nur die Linke.“ Und dann sprechen wir über das Jahr 2012, als er auf die Kandidatur zum Parteivorsitzenden verzichtet hat, „total freiwillig“ wie er betont. Auf die Frage nach den Gründen wird er sehr deutlich: „Zwei Jahre Vorsitz haben gereicht. Ich wurde in dem Konflikt innerhalb der Partei ziemlich zerrieben. Mein Nachfolger musste jemand aus dem Westen sein, damit deutlich wird, dass die Partei keine Ost-Veranstaltung ist und es musste jemand sein, der nicht diesem Presse-Bashing ausgesetzt ist.“
Klaus Ernst spricht von gezielten Angriffen gegen ihn. Das Magazin Spiegel hatte ihm die falsche Abrechnung von Flugreisen unterstellt. „Ich vermute bis heute, dass der Spiegel meinen Internetkalender geknackt hat“, sagt Ernst. Die Staatsanwaltschaft stellte das Ermittlungsverfahren wegen Betrugs und Untreue schließlich ein. Die überprüften Flüge des Bundestagsabgeordneten seien ganz überwiegend mandatsbezogen gewesen, so die Begründung.
Auf die Frage, wie seine Partei damit umgegangen ist, sagt Ernst nur, es gebe immer welche, die das aufgreifen. Er habe sich dann ein Dreivierteljahr lang selbst aus der Schusslinie genommen und sich auf seine parlamentarische Arbeit konzentriert – bis er als Mitglied im Spitzenteam auf Bundesebene und als Spitzenkandidat der bayerischen Linken für die Bundestagswahl aufgestellt wurde. Vor Wahlen sei es parteiintern ohnehin immer eher ruhig. Der Feind sei außen, die Lager halten Ruhe, besinnen sich auf die Vernunft.
Derzeit sprechen die Medien viel vom Schmusekurs der Linken mit SPD und Grünen, von offenen Angeboten zur Koalition, die beide Parteien aber strikt ablehnen. Den Begriff Schmusekurs will Ernst nicht stehen lassen. Er nennt das Angebot lieber einen Hinweis an die SPD: Wenn sie für ihr Programm antrete und trotzdem die Linke definitiv ausschließe, obwohl es für Rot-Grün alleine nicht reicht, dann belüge sie doch ihre Wähler. „Es ist ein Hinweis, dass sie so ein Programm mit uns durchsetzen können.“
Ernst wird leidenschaftlich. Er kämpfe seit Jahrzehnten dafür, dass Menschen am Ergebnis ihrer Arbeit beteiligt werden. Das bedeute vor allem vernünftige Löhne. „Die haben wir nicht mehr, weil die Regierung den Arbeitsmarkt dereguliert hat. Wir müssen regulieren, das ist die erste Schnittmenge mit der SPD.“ Er zählt auf: Leiharbeit verbieten, befristet Beschäftigte zur Ausnahme erklären, Missbrauch von Werksverträgen verhindern, Hartz-Gesetze grundsätzlich ändern. Ein Knackpunkt sei die Rente. Die SPD müsste auf die Rente mit 67 verzichten. Schnittmengen gebe es noch im Gesundheitssystem.
„Es kann sich jeder ausrechnen, dass es ohne uns keinen sozialdemokratischen Kanzler geben wird“, sagt Klaus Ernst, der selbst 30 Jahre lang Mitglied der SPD war, bis er 2004 ausgeschlossen wurde. Die letzte Frage, ob er den Wechsel von seinem Traumjob Gewerkschaft in die Politik jemals bereut habe, verneint er. Aber die Angriffe auf seine Person, die Versuche, seinen Ruf zu beschädigen, die steckt auch ein Klaus Ernst nicht so leicht weg.
Klaus Ernst
Der gebürtige Münchner Klaus Ernst (58) lernte Elektromechaniker. 1972 trat er der IG Metall bei, war Vorsitzender der DGB-Jugend in München. Nach dem Studium der Volkswirtswirtschaft und Sozialökonomie in Hamburg wurde er Gewerkschaftssekretär in Stuttgart. Von 1995 bis 2010 war er Erster Bevollmächtigter der IG Metall Schweinfurt.
Nach 30 Jahren Mitgliedschaft in der SPD wurde Ernst 2004 aus der Partei ausgeschlossen. Er gehörte zu den Mitbegründern der Wahlalternative Soziale Gerechtigkeit (WASG), aus Protest gegen die Agenda 2010 von Bundeskanzler Gerhard Schröder. 2007 fusionierten WASG und PDS zur Partei Die Linke. Beim Gründungsparteitag im Juni 2007 wurde Ernst zum stellvertretenden Parteivorsitzenden gewählt, 2010 zum Parteivorsitzenden. 2012 kandidierte er nicht mehr für den Vorsitz.
Seit 2005 ist Klaus Ernst Mitglied des Bundestages, seit 2009 stellvertretender Vorsitzender der Bundestagsfraktion der Linken. Der 58-Jährige zieht als einer von acht Spitzenkandidaten auf Bundesebene in den Wahlkampf, zugleich führt er die bayerische Landesliste der Linken an.
Klaus Ernst ist ledig und konfessionslos.