Es ist wohl eines der am emotionalsten diskutierten Themen der vergangenen Jahre: Soll Willy Sachs, 1958 verstorbener Industrieller und Stifter des nach ihm benannten Fußballstadions, die Ehrenbürgerwürde posthum entzogen und das Stadion umbenannt werden?
Das fordern die SPD-Stadträtin Julia Stürmer-Hawlitschek und ihr Kollege Adi Schön von den Freien Wählern. Sie reichten bei Oberbürgermeister Sebastian Remelé (CSU) den Antrag ein, dem 1958 gestorbenen früheren Großindustriellen Willy Sachs die Ehrenbürgerwürde posthum zu entziehen und das nach ihm benannte Fußballstadion umzubenennen. Unterstützt werden die beiden Stadträte von einem breiten Bündnis im Stadtrat: CSU, SPD, Grüne, Linke, Freie Wähler, FDP, proschweinfurt und Zukunft./ödp haben dafür unterschrieben, lediglich die AfD ist explizit dagegen.
Die Forderung, Willy Sachs die Ehrenbürgerwürde zu entziehen, die ihm 1936 kurz vor seinem 40. Geburtstag der damals von den Nationalsozialisten eingesetzte Oberbürgermeister Ludwig Pösl und sein nicht demokratisch gewählter Stadtrat verliehen hatten, wird in Schweinfurt seit vielen Jahren erhoben. Vor allem die Schweinfurter Initiative gegen das Vergessen hatte sich dafür eingesetzt. Einen konkreten Antrag dafür im Stadtrat hatte es bisher aber nicht gegeben – und schon gar nicht mit einer so großen Mehrheit der Räte.
In der Stadtratssitzung am 1. Dezember soll nach Informationen dieser Redaktion der Antrag nur bekannt gegeben werden, nicht aber entschieden. Das wird wohl erst im Januar oder Februar passieren. Es gibt mittlerweile eine Vielzahl an Leserbriefen, zumeist kritisch gegen den Antrag eingestellt und das Lebenswerk Willy Sachs' würdigend, mehrere hundert Kommentare in sozialen Medien sowie Anrufe – die Stimmung erscheint ein wenig aufgeheizt.
An Oberbürgermeister Sebastian Remelé sowie die Fraktionsvorsitzenden von nur vier der neun im Stadtrat vertretenen Parteien und Wählergruppen schickten außerdem die beiden Historiker Thomas Horling aus Mainberg und Daniel Schmitz aus Schwebheim einen Brief, in dem sie dafür plädierten, Willy Sachs weiterhin als Ehrenbürger zu führen, insbesondere weil er das Stadion-Areal der Stadt gestiftet habe, was auch der Grund für die Verleihung der Ehrenbürgerwürde an seinem 40. Geburtstag 1936, zeitgleich mit Eröffnung des Stadions, war.

Der OB, so ist von Seiten der Verwaltung zu hören, steht dem Antrag grundsätzlich nicht ablehnend gegenüber, möchte aber eine Versachlichung herbeiführen, indem Stadtarchivar Uwe Müller dem Stadtrat eine wissenschaftliche Aufarbeitung der Quellen vorlegt. Die Antragsteller berufen sich insbesondere auf neue Forschungsergebnisse, die der Historiker Andreas Dornheim in seinem viel beachteten und sehr gut belegten Buch über die Geschichte von Fichtel & Sachs aufzeigte. Alleine 80 Seiten sind dabei Willy Sachs und seinem Verhalten während des nationalsozialistischen Terrorregimes gewidmet.
Es ist eine kluge Vorgehensweise des OB, insbesondere wenn Müller als eine Art Vermittler zwischen Historikern wie Dornheim und Horling fungiert. Die im Moment geführte Diskussion zeigt eine der Sache nicht gerecht werdende Polarisierung und vor allem Vereinfachung. Unter anderem gibt es auf Facebook eine Umfrage, ob Willy Sachs Ehrenbürger bleiben solle oder nicht. Da dazu kein Pro und Contra geliefert wird, ist das positive Votum pro Sachs wenig verwunderlich, aber auch wenig repräsentativ.
"Willy Sachs war kein Vorbild", sagt Julia Stürmer-Hawlitschek, "er war ein Täter und kein Mitläufer." Dieser Einschätzung widersprechen Thomas Horling und Daniel Schmitz in ihrem Schreiben an den Stadtrat, das der Redaktion vorliegt. Man widerspreche der Einschätzung, Willy Sachs sei ein überzeugter Nazi gewesen, "weil sie der Person Willy Sachs nicht gerecht wird", schreiben Horling und Schmitz.
Sie werfen den Antragstellern vor, "einseitig und unreflektiert" die Nähe von Willy Sachs zu führenden Nazionalsozialisten anzuprangen, aber die Hintergründe nicht einzubeziehen: "In jedem Fall sind die besonderen Umstände des Lebens in einem totalitären System zu berücksichtigen", so die beiden Historiker in ihrem Schreiben, in dem sie, auch aus Platzgründen, nicht in die Tiefe gehend einzelne Sachverhalte zur Sachs-Biographie anders bewerten als die Stadträte, die den Entzug der Ehrenbürgerwürde und die Umbenennung des Stadions fordern.

Willy Sachs ist aus Sicht von Horling und Schmitz einer der "großen Mäzene in der Geschichte der Stadt". Sie fordern eine "verantwortliche Erinnerungskultur", die "nichts verschweigt". Dazu gehöre eine Aufarbeitung der Geschichte auch der anderen Großunternehmen sowie der Stadt, der Verwaltung, Vereine und Verbände. "Wer die dunklen Flecken aus der Öffentlichkeit tilgt, setzt nach unserer Überzeugung langfristig die gesellschaftliche Akzeptanz für die aus der deutschen Vergangenheit resultierende Verantwortung, zu der wir uns ausdrücklich bekennen, aufs Spiel", schreiben Horling und Schmitz.
Die in dem Schreiben geäußerte Kritik weisen Julia Stürmer-Hawlitschek und Adi Schön auf Anfrage zurück. Sie äußern sich in einer mehrseitigen, auch auf fachliche Aspekte eingehenden Erklärung. Dem Stadtrat zu unterstellen, er würde unreflektiert und an Äußerlichkeiten orientiert handeln, sei unangebracht. Die Forschungsergebnisse sprächen eine klare Sprache. "Es geht darum, zu bewerten, ob jemand, der NSDAP- und SS-Mitglied, der Protegé von Nazi-Gößen und Profiteur des Nazi-Regimes war, ein Vorbild sein und zudem ein Denkmal im Schweinfurter Stadtbild haben kann", so Julia Stürmer-Hawlitschek. Ihre Schlussfolgerung: "Er kann es nicht. Willy Sachs darf kein Ehrenbürger sein."
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