Sie kamen Mitte Oktober in Bergtheim an, die ersten Asylbewerber. Und fanden zumindest vorübergehend ein neues Zuhause im Gasthaus „Zum Goldenen Löwen“ bei Familie Kauschka. Vorübergehend deshalb, weil einige der in Bergtheim einquartierten Asylbewerber bereits zurück in ihre Heimat mussten – ihr Widerspruch wurde abgelehnt. Viele Asylanträge seien noch vor Weihnachten abgelehnt worden, weiß Bürgermeister Konrad Schlier. Semir und Azra Jusic gehörten dazu. Sie mussten zurück nach Bosnien. Vier Monate hat das Ehepaar mit dem kleinen Sohn Amer in Bergtheim gelebt. In Bosnien muss die Familie wieder von vorn anfangen, sagte Semir zum Abschied betrübt.
Weil der Anstieg der Asylbewerberzahlen in Unterfranken es erfordert, „dezentrale Unterkünfte“ einzurichten, hat das Landratsamt im Gasthaus „Zum Goldenen Löwen“ in Bergtheim Unterkunftsmöglichkeiten für maximal 27 erwachsene Personen gemietet. Nun wohnen dort vor allem Familienverbände.
Neun der 27 Flüchtlinge sind Kinder. Eines ist ein Neugeborenes, erst wenige Tage alt. Die Bewohner kommen aus Aserbaidschan, Russland, Serbien, Georgien, der Ukraine und dem Kosovo. In der Unterkunft wird deshalb untereinander vor allem russisch gesprochen. Da Azra Jusic als Kind schon in Deutschland gelebt hat und weil sie russisch kann, war sie inoffiziell als „Übersetzerin“ in der Unterkunft aktiv.
„In Bergtheim war es schön“, sagten Semir und Azra und schwärmten von gepflegten Straßen sowie Ärzten und Einkaufsmöglichkeiten vor Ort. Höchstes Lob hatten sie für ihre „Wirtin“ Alexandra Kauschka, die den Asylbewerbern zwei Küchen mit drei Herden eingerichtet hat, die Lebensmittel einkauft und verteilt, für alle Fragen offen ist und stets gute Lösungen sucht. „Vor allem die Kinder hängen an ihr“, so Azra. Oft stecke sie ihnen Süßigkeiten, ein Eis oder Joghurt zu.
Zum Dorf selbst sei der Kontakt gering, meinte Azra beim Abschied, aber zunehmend würden die Menschen die Scheu verlieren. Das sei gut, denn vor allem den Männern sei oft langweilig. Das Arbeitsverbot und die auf Unterfranken beschränkte Residenzpflicht tragen dazu bei. „Die Frauen haben immer etwas zu tun“, berichtete Azra über den Alltag. Sie kochen, betreuen die Kinder oder kümmern sich um die Wäsche. Die Männer würden gern Sport treiben, ab und an „ein Bier trinken gehen“ oder die Gegend erkunden. Aber trotz freier Unterkunft, Verpflegung und Kleidergutscheinen reiche das monatliche Taschengeld nicht weit.
Zum Glück gebe es in Bergtheim Frauen wie Monika Fischer. Die SPD-Ortsvorsitzende hat sich von Anfang an für die Asylbewerber engagiert. „Sie nehmen uns nichts weg, wir haben alles im Überfluss“, ist ihre Einstellung. Fischer wünscht sich „ein gutes Zusammenleben in unserer Gemeinde“, viel mehr Angebote zum Integrieren in den Vereinen und Menschen, die Spielzeug für die Kinder oder gut erhaltene Kleidung vorbeibringen. Über persönliche Kontakte im Kindergarten seien zum Glück schon Kinderfahrzeuge weitergegeben worden, sagt sie.
Fischer hat für die Asylbewerber privat schon viel gespendet sowie in Drogerien Pflegemittel wie Duschgel oder vom ortsansässigen Fahrradservice-Geschäft Stiller drei Fahrräder für sie abgeschmeichelt. Alles Dinge, die sich die Fremden in Bergtheim wünschen. Sie hat auch dafür gesorgt, dass Parteifreunde bei den Asylbewerbern Besuche machen. Allen voran Homaira Mansury, die als Deutsche mit afghanischen Wurzeln, als Dozentin für politische Bildung an der Akademie Frankenwarte, Bundesvorstandsmitglied der SPD und Expertin für Migration interessiert am Leben der Flüchtlinge ist.
„Leider ist das Misstrauen in der Bevölkerung immer noch groß.“
Homaira Mansury Expertin für Migration
„Leider ist das Misstrauen in der Bevölkerung immer noch groß“, bedauerte Mansury nach ihrem Besuch zusammen mit SPD-Frau Christine Haupt-Kreutzer und Natali Soldo-Bilac von der Geschäftsstelle des Würzburger Ausländer- und Integrationsbeirats. Letztere konnte aufgrund ihrer vielfältigen Fremdsprachenkenntnisse Vertrauen wecken und war als Übersetzerin im Einsatz. Beim Besuch in Bergtheim brachte Mansury in SPD-Kreisen gesammelte Geschenke mit. Sie vermittelte auch eine Kollegin aus Theilheim, die nun regelmäßig zum Deutschunterricht nach Bergtheim kommt. „Die Bewohner der Unterkunft haben ausdrücklich um Sprachunterricht gebeten“, erklärt Mansury, für die es „zur Würde des Menschen“ gehört, „sich ausdrücken zu können, um mehr Sicherheit und Eigenständigkeit zu haben“. Mansury bedauert, dass sich die Gespräche in Bergtheim „immer noch um Essens- oder Kleidergutscheine und um das Misstrauen in der Bevölkerung“ drehen. „Es ist Aufgabe der Politik, auf beiden Seiten die Barrieren durch Information und Kommunikation abzubauen“, sagt sie. „Gäbe es das Engagement einer Frau Kauschka, Frau Fischer oder anderer Personen nicht, wäre die Lage dieser Menschen, die nicht freiwillig aus ihrem Heimatland geflohen sind, noch prekärer“, ist Mansury überzeugt.
Keine Integrationsprobleme sieht Bürgermeister Konrad Schlier in Bergtheim: „Die Asylbewerber sind ruhig, unscheinbar und freundlich. Sie fallen im Dorf nicht auf, egal, wo man ihnen begegnet.“ Er sieht „keinerlei Reibungspunkte“. Zwei Kinder gehen in den örtlichen Kindergarten. Und Schlier sähe es gern, wenn die schulpflichtigen Kinder die Grundschule im Ort besuchen könnten statt in die Mönchbergschule in Würzburg gehen zu müssen. Das aber scheitert im Moment an den fehlenden Integrationslehrkräften. „Wenn wir Personal mit den nötigen Sprachkenntnissen geschickt bekommen, hätte ich keinerlei Bedenken für einen gemeinsamen Schulunterricht hier“, sagt Schlier.
Auch selbst hat der Bürgermeister Kontakt zu den Asylbewerber in seiner Gemeinde. So besuchte er sie um Weihnachten mit dem Landtagsabgeordneten Manfred Ländner, brachte Gebäck, erfragte die Motivationen für die Asylanträge und bot Zusammenarbeit bei Fragen vor Ort an. Und für die Weihnachtsfeier von Sant Egidio mietete die Gemeinde einen Bus an, der 16 Asylbewerber nach Würzburg und zurück gefahren hat.
Zwar habe es Skepsis und Diskussionen gegeben, als im Herbst vergangenen Jahres bekannt geworden sei, dass Asylbewerber nach Bergtheim kommen – aber „keine großen Widerstände“. „Jede Sozialgemeinschaft ist zum Helfen verpflichtet“, hatte der Bürgermeister die Bevölkerung damals um Akzeptanz gebeten, und auch die kirchliche Gemeinde war positiv gestimmt. Und es gibt etliche Menschen, die privat und ohne großes Aufheben helfen. Frauen bringen Kinderwägen oder Babykleidung zur Unterkunft. Der örtliche Kindergarten hat zu Nikolaus eine Sammelaktion für Spielzeug durchgeführt und verteilt. Und jüngst hat ein christlicher Kreis aus zehn Frauen um Ulrike Eckert und Jeanna Bechtold die Mütter, Omas und Kinder aus der Unterkunft zu einem Osterfrühstück mit viel Musik eingeladen, zu dem sieben Frauen und ihre Kinder und Enkelkinder kamen.
Michael Horlemann, der Leiter des zuständigen Geschäftsbereichs beim Landratsamt Würzburg, unterstützt privates Engagement, rät aber zu Fingerspitzengefühl. „Wir sind für die Asylsuchenden verantwortlich und müssen sie schützen“, beschreibt er Vorsichtsmaßnahmen wie das Aussprechen eines Hausverbots in bestimmten Fällen. Die Unterkünfte der Asylbewerber – vor allem die Schlafräume – seien nicht öffentlich, sondern genauso privat wie bei anderen Menschen.
Asylbewerber in der Region
In Unterfranken gibt es aktuell acht Gemeinschaftsunterkünfte, zehn Teilgemeinschaftsunterkünfte und zwei Ausweichunterkünfte der Regierung. Zum Jahresende 2013 lebten dort insgesamt 1754 Personen – aus rund 40 Nationen. Dazu kamen 947 Asylbewerber in 63 dezentralen Einrichtungen in der Unterbringungszuständigkeit der Landratsämter.
Geeignete Gebäude, in denen Gemeinschaftsunterkünfte und dezentrale Einrichtungen eingerichtet werden können, sucht die Regierung von Unterfranken dringend und fortlaufend. Denn man rechnet nach wie vor mit steigenden Bewerberzahlen.