Clowns stolpern in weiten, bunten Hosen durch die Manege. Akrobatinnen wirbeln in knappen Glitzerhosen und bestickten Oberteilen unter der Kuppel des Zirkusdaches umher. In leuchtend roten Kostümen rollen Requisiteure eine Plane auf dem Sandboden der Manege aus. Sie ist bunt und funkelnd, die Welt des Zirkus Roncalli. Und ohne die Kostüme ist sie nicht vorstellbar.
Herrin über viele dieser Kostüme ist eine junge Frau, die auf den ersten Blick so gar nicht nach funkelnder Glitzerwelt aussieht. Kurze Haare, die unter einer schwarzen Mütze hervorgucken und schwarz geschminkte Augen. Ein großes, auffälliges Tattoo hat sie an der Kehle. Ein Totenkopf mit pinken Flügeln schmückt ihren Brustkorb, ein junger Mann mit Waschbrettbauch ihren linken Oberarm. Und das sind nur einige ihrer zahlreichen Tattoos. Sophie Plautz ist seit einem Jahr Schneiderin im Zirkus Roncalli und mit den Künstlern und Mitarbeitern auf Tour.
19.55 Uhr. Noch fünf Minuten bis zur Vorstellung. Sophie Plautz raucht noch eine Zigarette. Das macht die 25-Jährige immer, bevor die Show losgeht. Denn in den nächsten Stunden ist ihr Plan meist eng getaktet. „Die Artisten müssen wissen, wo ich bin, falls etwas schnell genäht werden muss“, sagt sie. Während Zuschauer den Akteuren zujubeln, ist Sophie Plautz im Schneiderei-Zirkuswagen. Ihr kleines Reich. Es besteht aus zwei Ablage-Flächen, zwei Nähmaschinen und jeder Menge Schubladen, die vollgestopft sind mit Knöpfen, Gummibändern und allem, was eine Schneiderin oder die Artisten so brauchen. Denn Sophie Plautz ist Mädchen für alles. Immer wieder kommt jemand in ihre Schneiderei und bittet um eine Schere oder Wolle, erzählt sie. „Eine Artistin hat mal nach einem Trockenrasierer gefragt.“
Wenige Minuten, bevor die Show beginnt, stürzt Clown Devlin hektisch in die Schneiderei. In einem seiner weißen Socken klafft ein Loch. Das will er schnell selbst nähen. „Devlin möchte mir seine Füße nicht direkt unter die Nase halten“, sagt die Schneiderin und lacht. Dann fängt die Vorstellung an, für Sophie Plautz die Zeit im Stand-By-Modus.
Bis zu zehn Kostüme repariert sie am Tag. Schneiderei wie überall? „Ja und nein“, sagt Sophie Plautz. „Am Anfang war es schon aufregend, inzwischen bin ich in einem Arbeitstrott.“ Der Unterschied: Sie ist stets auf Achse.
Dann wird es eng im Zirkuswagen. Clown Sergej kommt herein. Für seine nächste Nummer muss er sich in ein bauschiges Brautkleid hüllen. Sophie hilft ihm, es zu schließen. Geschafft. Sergej nimmt die weißen Pumps und kämpft sich samt Tüll durch den schmalen Gang raus aus dem Zirkuswagen. Wenig später kommt Vivian Paul von der Gruppe „Les Paul“. Ihre Partnerin Lili braucht eine kurze schwarze Hose. „Sie hat ihre mal wieder verloren“, sagt Vivian. Kein Problem. Nach kurzem Suchen ist eine andere gefunden.
Nun wird es ruhiger im Wagen. Sophie macht sich daran, einen Knopf an einem weißen Handschuhe auszutauschen, den ihr Sprechstallmeister Patrick Philadelphia nach der Eröffnung schnell vorbeigebracht hatte. „Im Zirkus arbeitet man etwas anders als in der normalen Schneiderei. Es muss alles länger halten, robuster sein.“
Sie erzählt von ihrem beruflichen Werdegang. Nach dem Abi machte sie eine Ausbildung zur Maßschneiderin, Fachrichtung Damen, wurde sogar Kammersiegerin in Bremen. Gleich nach der Ausbildung ist die 25-Jährige zum Zirkus gekommen. Der Weg war unglamourös, übers Arbeitsamt. Und das, obwohl sie gar kein Zirkusfan war. „Romantisch-verklärte Vorstellungen hatte ich nicht.“
Im Zirkus teilt sich sich einen Wagen mit anderen Mitarbeitern. Jeder hat sein eigenes, abgegrenztes Abteil. Aber sie hat noch eine eigene Wohnung in ihrer Heimatstadt Bremen. „Die brauche ich. Ich bin froh, wenn ich zwischendurch mal dahin kann“, sagt sie. „Ich hab keine Ahnung, wo ich in zehn Jahren bin. Ich bin kein Mensch, der Pläne für die Zukunft macht.“
Wann welche Nummer dran ist, erkennt sie an der Musik. Sie muss Clown Gensi in ein Pferdekostüm stecken. Während des Auftritts wartet sie hinter der Manege. Näher ist sie der Show nie. „Ich sehe immer nur die Proben, die ganze Show habe ich noch nie gesehen.“ Inzwischen ist es etwa halb elf. Der Vorhang fällt ein letztes Mal, Feierabend für die Artisten. Für Sophie Plautz nicht. Nach und nach trudeln Künstler in ihrem Zirkuswagen ein. Sie bringen abgerissene Knöpfe und gerissene Hosen. Sophie schreibt sich alles auf eine Liste. Mit den Reparaturen beginnt sie am nächsten Tag. Dann löscht Sophie sie das Licht und schließt die Tür. Es ist 23.20 Uhr.