Jahrzehnte lang folgte die Stromproduktion einem einfachen Schema: Steinkohle von den großen Häfen Hamburg und Rotterdam sowie heimische Braunkohle versorgten den Norden Deutschlands mit Strom. Im Süden garantierten Kernkraftwerke eine günstige Versorgung und eines der zuverlässigsten Stromnetze weltweit. Mit dem Umbau der Energieversorgung auf erneuerbare Energien und der Abschaltung des letzten Kernreaktors 2022 ist die Situation jedoch deutlich komplizierter geworden: Im Norden und Osten sorgen große Windparks für einen Stromüberschuss, der über Hunderte Kilometer dorthin transportiert werden muss, wo er gebraucht wird: in die industriellen Zentren des Südens. An leistungsfähigen Hochspannungsstromtrassen, dem geplanten „Südostlink“ in Oberfranken und dem „Suedlink“, der auch durch Mainfranken führt, fehlt es jedoch bislang.
„Normalerweise nimmt man erst das Glas und dann schenkt man ein“, wählte Dieter Pfister, Vizepräsident der IHK Würzburg-Schweinfurt, beim Energiegipfel Mainfranken-Tauberfranken in Würzburg einen bildhaften Vergleich, um den seiner Ansicht nach falschen Verlauf der Energiewende in Worte zu fassen. Noch 2009 hatte die Kernenergie in Bayern zu einem Viertel zum Energieverbrauch und sogar zur Hälfte zur Stromerzeugung beigetragen. Gelinge es nicht, in den kommenden Jahren 6700 Megawatt, die in den Kernkraftwerken erzeugt wurden, zu ersetzen, befürchtet er deutlich höhere Strompreise und weniger Versorgungssicherheit. Die Folge könnte eine schleichende Verlagerung der Produktion nach Norden oder ins Ausland sein. Auch gibt es bereits in der Europäischen Union Überlegungen, den deutschen Strommarkt zu teilen.
Risiko für Stromausfälle steigt
Schon in den vergangenen Jahren stand das Stromnetz in Mainfranken gehörig unter Druck und die Energieversorger waren gefordert, die Spannungsschwankungen etwa durch den Ankauf von ausländischem Strom oder die vorgehaltenen Gaskraftwerke auszugleichen. Den Zahler der Stromumlage kostet dies schon jetzt etwa eine Milliarde Euro.
Bleibt alles beim alten, schätzt der Präsident der Bundesnetzagentur Jochen Homann sie für 2022 auf vier Milliarden Euro. Auch könnte das Risiko für Stromausfälle, das derzeit noch gering sei, in fünf Jahren deutlich zunehmen. Für seine eigene Firma, die Maincor Rohrsysteme in Schweinfurt, die vor allem Kunststoffe verarbeitet, kommt Dieter Pfister auf 20000 Euro, die jeder einzelne Stromausfall kostet. Bisher sei dies allerdings nur durch Blitzeinschlag oder wenn sich eine Baggerschaufel in ein Stromkabel frisst der Fall gewesen.
Eine launische Unbekannte im straffen Zeitplan ist die bayerische Politik. Mit seiner Forderung, auf Freileitungen für die beiden Gleichstromtrassen zu verzichten, hatte sich Horst Seehofer 2015 auf die Seite der Gegner geschlagen und den Bau der beiden Gleichstromtrassen zunächst verhindert. Dafür, dass die Bayern dennoch weiterhin auf die Barrikaden gehen, hat der schwäbische CSU-Staatssekretär Franz-Josef Pschierer und Leiter der Taskforce „Netzausbau“ im bayerischen Wirtschaftsministerium, jedoch kein Verständnis: „Wenn wir im Industrieland Deutschland nicht mehr in der Lage sind, zwei Gleichstromtrassen im Boden zu verlegen, dann mache ich mir Sorgen“, sagte er und kritisierte „fundamentalistisch“ auftretende örtliche Bürgerinitiativen und Proteste als „Wohlstandswiderstand“.
Unternehmer fürchten vor allem die Bauern
Eine Gruppe fürchten die Unternehmer besonders: die Bauern, die aufgrund steigender Bodentemperaturen Ernteverluste befürchten und seit jeher gut mit der Staatsregierung können. Bayern sieht bereits jetzt als Ausgleich großzügige Entschädigungen für Grundstückseigentümer vor, die laut Pschierer zwischen 20 und 30 Prozent des Verkehrswertes liegen sollen. Auch versprach er, sich wie vom Bauernverband gefordert, für „wiederkehrende Leistungen“ einzusetzen. Einen anderen Weg geht Baden-Württemberg: Staatssekretär Dr. Andre Baumann sprach sich strikt gegen eine „Bauernmaut“ aus. Er setzt vielmehr auf ein professionelles „Akzeptanzmanagement“, das die Bürger frühzeitig einbindet und den Wettbewerb zwischen den Kommunen ankurbeln möchte.
Für die beiden Vertreter des Netzbetreibers Tennet, Dr. Werner Götz und Lex Hartmann, ist es für die Akzeptanz in der Bevölkerung entscheidend, dass alle Entscheidungsträger an einem Strang ziehen: „Wenn der Landesminister und der Bürgermeister in einer Versammlung gemeinsam auftreten, dann ist Ruhe im Saal“, haben sie beobachtet. Es könne nichts Schlimmeres passieren, als dass die Politik vor Ort Stimmung gegen das Vorhaben mache. Einen Tag Verzögerung schätzen sie auf drei Millionen Euro Kosten. „Dass sind teuer erkaufte Wählerstimmen“, finden sie. Tennet rechnet mit einer Baugenehmigung 2021. Mögliche Klagen sind in dieser Einschätzung jedoch nicht vorgesehen.
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