Sie kamen auf Zeit und blieben für immer: Genau 50 Jahre ist es her, dass die ersten türkischen Frauen und Männer als „Gastarbeiter“ nach Deutschland kamen. Grund genug für Main-Post und Rudolf-Alexander-Schröder-Haus, in der jüngsten Ausgabe der Reihe „Stadtgespräch“ bei türkisch-stämmigen Mitbürgern aus drei Generationen nachzufragen, wie sie in Würzburg leben.
„Wir wollen nicht über sie, sondern mit ihnen reden“, sagte Moderator Andreas Jungbauer zum Auftakt interessanter und unterhaltsamer 90 Minuten. Seine Gäste hatten viel zu erzählen. Am längsten ist Ramazan Mesekoparan in Deutschland: Der heute 74-Jährige folgte seiner Ehefrau Mihriye 1973 nach Deutschland und hat mehr als sein halbes Leben in Würzburg verbracht. „Unsere Absicht war es, in Deutschland Geld zu verdienen und uns damit in der Türkei etwas aufzubauen“, sagte Mesekoparan, für den seine Enkelin Deniz Tasdemir gekonnt übersetzte.
Ganz ohne Befürchtungen kam er nicht in das fremde Land: „Die sind anders, die passen nicht zu uns“, das hatte Mesekoparan vor seiner Abreise in der Türkei über die Deutschen gehört. Bewahrheitet haben sich nur die Sprachprobleme, sagt der 74-Jährige heute. Ein Deutschkurs war damals zu teuer, und als vierfacher Familienvater blieb auch keine Zeit dafür. Das ändert nichts daran, dass Deutschland zu seiner neuen Heimat wurde. Seinen türkischen Pass gegen die deutsche Staatsbürgerschaft einzutauschen, darüber hat Mesekoparan dennoch keine Sekunde nachgedacht: „Ich bin von Herzen Türke. Aber alle meine Kinder haben die deutsche Staatsbürgerschaft.“
Sehnsucht nach der Heimat blieb
Glücklich waren Mesekoparan und seine Frau in den 1970er Jahren in Würzburg, „wir haben uns hier freier gefühlt als in der Türkei.“ Sehnsucht nach der alten Heimat hatten sie trotzdem, jedes Jahr im August flogen sie einen Monat in die Türkei und besuchten die über 200-köpfige Großfamilie. „Heute ist das Heimweh nicht mehr so stark wie damals, als unsere Eltern noch lebten“, so der 74-Jährige. Ausgrenzung hat er nach eigenen Worten in Waldbüttelbrunn, wo das Ehepaar zunächst wohnte, und später in Würzburg nicht erfahren: „Wir haben immer den ersten Schritt gemacht und wurden überall sehr gut aufgenommen.“
Hülya Bandak, 1978 als Tochter eines Gastarbeiter-Paares in Miltenberg geboren, bezeichnet sich als „integriert bis auf das i-Tüpfelchen“. Negative Erfahrungen hat sie nur während ihrer Kindheit gemacht, weil sie erst im Kindergarten Deutsch gelernt hat. Als Schulkind habe sie sich „ein wenig“ ausgegrenzt gefühlt, so Bandak: „Ich hatte eine große Sehnsucht, zu dieser Gesellschaft dazuzugehören.“ Heute hat sie das geschafft: Seit die Juristin im Juni 2010 ihre Stelle als Leiterin der Würzburger Bauaufsicht angetreten hat, „hatte ich nie das Gefühl, das mein türkischer Hintergrund eine Rolle spielt“.
Kritik am deutschen Wahlrecht
Murat Ipek lebt mit seiner Familie in Lengfeld und fühlt sich „als Würzburger und Teil dieser Gesellschaft“. Der 39-Jährige ist gewähltes Mitglied des Ausländerbeirats und setzt sich für die Integration ausländischer Mitbürger ein: „Weil es immer noch Berührungsängste gibt“. Er selbst und seine Familie sind in Lengfeld auf die Nachbarn zugegangen und fühlen sich dort „so akzeptiert, wie wir sind“. Nicht einverstanden ist Ipek mit der Tatsache, dass die rund 1300 türkischen Würzburger, anders als Ausländer aus EU-Staaten, nicht an den Kommunalwahlen teilnehmen dürfen: „Warum soll man nicht wählen dürfen, wenn man 30 Jahre hier gelebt, Steuern gezahlt und zum Wohlstand beigetragen hat?“
Eines übrigens haben Ipek, Bandak und andere Türken ihrer Generation gemeinsam: Bei ihren Besuchen in der Heimat ihrer Eltern und Großeltern ecken sie durch ihre eher deutschen Umgangsformen an und werden als „Deutschländer“ bezeichnet: „Man wird behandelt, als gehöre man nicht mehr so ganz dazu. Ich war teilweise zutiefst beleidigt“, sagte Hülya Bandaks Zwillingsschwester Derya.