Theresia Seible kam am 21. Dezember 1921 in Mannheim als Tochter des Korbmachers Johann Winterstein zur Welt. 1939 wurde die Familie, die zuletzt in Lohr gewohnt hatte, zwangsweise nach Würzburg umgesiedelt und durfte, wie alle Sinti, die Stadt nicht mehr verlassen. Die 18-jährige Theresia, eine begabte Tänzerin und Sängerin, trat im Februar, März und April des Jahres 1940 in umjubelten Aufführungen der Oper „Carmen“ im Stadttheater auf, wahrscheinlich als eine der Zigarettenarbeiterinnen und Zigeunerinnen, die die Massenszenen bevölkern.
Berufsverbot
Es folgten Berufsverbot und die Androhung der Deportation ins KZ, falls sie sich nicht unfruchtbar machen ließ. Als Theresia Winterstein doch schwanger wurde, durfte sie die Kinder nur austragen, weil sie Zwillinge erwartete – bevorzugte Versuchsobjekte für fanatische Rasseforscher wie den späteren Auschwitz-Arzt Josef Mengele und Werner Heyde, den Direktor der Würzburger Universitäts-Nervenklinik und Verantwortlichen für die Ermordung von 100 000 Geisteskranken. Theresia Seible berichtete später, dass beide Ärzte sie vor der Geburt untersuchten.
Bis zu ihrem Tod blieb Theresia Seible – mit großer Wahrscheinlichkeit zu Recht – davon überzeugt, dass an den am 3. März 1943 geborenen Zwillingen Rita und Rolanda Experimente durchgeführt wurden, an denen Rolanda am 11. April 1943 starb.
Vor wenigen Monaten wurde ein Stolperstein für sie, das jüngste Würzburger Nazi-Opfer, vor dem Haus Mergentheimer Straße 12 1/2 verlegt. Die überlebende Tochter, die heute Rita Prigmore heißt, leidet bis in die Gegenwart an den Folgen jener Versuche.
Theresia Seibles Bruder Otto wurde in Auschwitz gequält, ihre Cousine Anneliese verlor ihre zwei kleinen Kinder im dortigen so genannten „Zigeuner-Familienlager“. Anneliese selbst warf sich in den elektrischen Zaun, als sie im Lagerbordell Dienst tun sollte.
Anerkannte Repräsentantin
Nach dem Krieg hat Theresia Seible, die lange in Rottenbauer und zuletzt in der Zellerau wohnte, für die Anerkennung des ihr und den anderen deutschen Sinti zugefügten Unrechts gekämpft. Sie gründete eine internationale Sinti-Frauenorganisation, intervenierte bei Politikern und Behörden und wurde zur anerkannten Repräsentantin ihrer Leidensgenossen. Als sie krankheitsbedingt ihre Arbeit nicht mehr fortsetzen konnte, trat die Tochter Rita Prigmore in ihre Fußstapfen.
Mehrere Hunderttausend Sinti und Roma wurden im Dritten Reich ermordet, Zehntausende zwangssterilisiert, andere tragen die seelischen und körperlichen Narben jener Zeit bis heute. Dass die deutsche Gesellschaft darüber nicht mit einem Achselzucken hinweggeht, ist mit ein Verdienst von Theresia Seible.