Icon Menü
Icon Schließen schliessen
Startseite
Icon Pfeil nach unten
Bayern
Icon Pfeil nach unten

SAN LUCA: Die kleine Hochburg der Mafia

SAN LUCA

Die kleine Hochburg der Mafia

    • |
    • |
    Straßenkontrolle in San Luca: Nach den Morden in Duisburg im Jahr 2007 kontrollierten Carabinieri die Zufahrten zu dem italienschen Dorf.
    Straßenkontrolle in San Luca: Nach den Morden in Duisburg im Jahr 2007 kontrollierten Carabinieri die Zufahrten zu dem italienschen Dorf. Foto: Foto: dpa

    Der Ring am Finger seiner linken Hand ist silbern. Und man wünscht ihm alles Gute, wirklich. Der Lokalreporter Ferdinando Piccolo hat sich verlobt. Der junge Mann ist verliebt. Das sollen alle wissen. Wozu sonst dient ein Verlobungsring? Auch die können es ruhig wissen. Das sagt Piccolo nicht, aber so schaut er. Angst wird zuweilen überschätzt. Und seine Fassade wird heute nicht bröckeln Wenn es denn eine Fassade ist. Piccolo sieht sehr jung aus, jünger als seine 24 Jahre. Zu jung für eine Hochzeit vielleicht. Zu jung für das, was er tut. Vielleicht. Aber was heißt schon zu jung? Piccolo weiß, was er will. Er blickt vom Café auf das Ionische Meer. Nichts erinnert hier an Duisburg. Das Meer bei Bovalino ist so blau, wie es sein soll, wenn das Licht in Kalabrien so wie heute fällt.

    Piccolo, das steht fest, wird erstmal bleiben. Warum sollte der Journalist weg wollen? Weil er Probleme hat. Eine halbe Autostunde von hier liegt San Luca. Das San Luca, das „Bethlehem der 'Ndrangheta“, das kalabresische Corleone, wie auch immer dieser Ort schon bezeichnet wurde. Piccolo schreibt für die Regionalzeitung „Il quotidiano della Calabria“. Auch über San Luca, auch über die Mafiaclans Nirta-Strangio und Pelle-Vottari. Er wird bedroht, aber er bleibt.

    San Luca am Aspromonte, dem rauen Berg. Kaum jemand würden damit etwas verbinden, wäre da nicht der 15. August 2007 gewesen. Mit dem „Massaker von Duisburg“ wurde dieses Dorf ins öffentliche Bewusstsein „geschossen“. An dem Tag waren vor dem Duisburger Restaurant „Da Bruno“ sechs Männer hingerichtet worden. Fünf der sechs Opfer kamen aus San Luca. Das jüngste von ihnen war 16 Jahre alt. Der mutmaßliche Haupttäter, Giovanni Strangio, betrieb damals eine Pizzeria in Kaarst. Seine Eltern und Teile seiner Familie leben in San Luca. Mit den Morden wurde vielen Deutschen erstmals bewusst, dass die Mafia auch in Deutschland ist. Das Massaker war der Tiefpunkt einer Fehde zweier Clans. Aus „tief verwurzeltem Hass, der sich über die Jahre immer vergrößert hat“, bekriegen sich die Familien Nirta-Strangio und Pelle-Votari, so die italienische Staatsanwaltschaft in Locri. Und das seit 1991. Insgesamt, so die Erkenntnisse der Ermittler, seien seither 16 Menschen getötet worden. Ganz am Anfang, so heißt es, sollen ein paar Jugendliche des einen Clans die des anderen mit Orangen oder mit Eiern beworfen haben.

    „Es gibt große Spannungen in San Luca“, sagt Ferdinando Piccolo. Seine Stimme passt nicht zu seinem Jungengesicht. Sie ist rau und tief, Raucherbass. Die Zigaretten stecken in seiner Hosentasche. Bald wird das Schwurgericht in Locri ein Urteil sprechen. Was wird dann aus den „Spannungen“? Im Alltag der 4000-Seelen-Gemeinde sei es im Augenblick so: „Wenn ein Mitglied des einen Clans in die Pizzeria kommt, wo jemand vom anderen Clan sitzt, dann verlässt der andere das Restaurant.“ So hält der Dorffrieden zurzeit. Aber im Juli soll Strangio als mutmaßlicher Haupttäter lebenslänglich hinter Gitter gehen. Das ist die Forderung der Staatsanwaltschaft. Er soll einer von zwei Todesschützen gewesen sein. Die Staatsanwaltschaft sagt, sie habe gute Beweise.

    „Er ist unschuldig“, sagt seine Schwester Aurelia Strangio. Sie sitzt im Wohnzimmer der Strangios in San Luca. Sie hat Espresso gebracht. Draußen im Innenhof spielen Kinder im Pool. Aurelias Bruder sitzt im Gefängnis. Ihr Mann sitzt im Gefängnis. Zwei Schwestern sind wegen Mafia-Zugehörigkeit verurteilt worden. Neben ihr sitzt die Mutter von Giovanni Strangio. Auch sie sagt: „Mein Sohn ist unschuldig.“ Man ist überzeugt, dass der Fall ein politischer geworden sei. Hier gehe es nicht mehr darum, dass sechs Personen umgebracht wurden, sondern dass man beweisen könne, wie gut der italienische Staat funktioniere. Die echten Schuldigen zu finden, interessiere niemanden. Sogar die deutsche Polizei habe gesagt, dass sich ihr Bruder immer sehr ordentlich benommen habe. „Alle haben nur Gutes über ihn berichtet.“

    Sechs Menschen sind tot. Sechs Menschen wurden vor dem „Da Bruno“ erschossen. Und deshalb muss Sebastiano Giorgi, Bürgermeister von San Luca, damit leben, dass sein Ort eine zweifelhafte Bekanntheit erlangt hat. Er sagt, was ein Bürgermeister in einer solchen Situation sagt: „Wir hoffen, dass es nach dem Urteil keinen neuen Ärger gibt. Ich vertraue auf die Intelligenz der Leute. Und dass wir uns nach dem Urteil der Zukunft zuwenden können. Es geht um die Zukunft der Kinder und jungen Leute.“ Und wenn es wieder Tote gibt? „Wir vertrauen auf das Gericht. Und wir hoffen, dass diese Sache ein Ende findet. San Luca ist ja nicht nur die 'Ndrangheta. Es gibt bei uns gute Leute, Leute die arbeiten, ehrliche Leute.“

    Don Pino Strangio – viele tragen diesen Nachnamen in San Luca – vertritt quasi von Amts wegen die Aufrichtigkeit. Der Priester von San Luca hat heute viel zu tun. Der Bischof kommt gleich. In San Luca werden 48 Menschen gefirmt. Was die Männer neben der Kirche, Santa Maria della Pieta, nicht stört. Sie sitzen gemütlich vor der Bar zusammen und spielen Karten. Die Sonne brennt, Peroni kühlt die Kehlen, musternde Blicke, die nächste Karte kommt auf den Tisch. Eine weißhaarige Großmutter sitzt in einem Hauseingang, stickt und lächelt. Natürlich hängt über einer der abfallenden schmalen Gassen Wäsche. Es wirkt alles recht friedlich heute. Verrammelt seien die Häuser, das war zu lesen. Für heute jedenfalls stimmt das nicht.

    Dann kommt Don Pino. Schwarze Hose, schwarzes T-Shirt, in die Hose gesteckt. Der Priester ist kräftig gebaut, hat einen festen Händedruck. Er hat zwar keine Zeit mehr, aber natürlich, für ein kurzes Gespräch, immer herein in die Sakristei. Dass auf dem Sims seiner Kirche Peroni-Flaschen fein säuberlich aufgereiht stehen wie am Bar-Tresen, stört ihn offenbar nicht. Während Ordensschwestern letzte Vorbereitungen für die Firmung treffen, antwortet Don Pino auf die die entscheidende Frage: „Bis zum Urteil gilt es Respekt zu haben vor den Richtern, damit sie unbeeinflusst entscheiden können. Und gegenüber den Familien, die das Urteil betreffen wird.“ Mehr möchte er jetzt nicht sagen. Der Bischof kommt gleich. Vor der Kirche warten schon die ersten Gläubigen. Drinnen wird noch mal die Stereoanlage getestet. Der große Beichtstuhl hat oben an den Türen rote Lämpchen angebracht. Sie leuchten, wenn drinnen jemand kniet und seine Sünden sagt. Im Augenblick sind die Lichter aus.

    Eine schräge Gasse weiter hinter der Kirche wohnt Karl Goerner. Er und seine Frau leben seit Jahren in San Luca. Goerner, hager, graues T-Shirt, Jeans, Brille, Schnauzer, kommt aus der Nähe von Frankfurt. Er hatte dort eine Heizungsbaufirma. Was er denn so bemerke vom Streit der Familien? „Ich kriege das zwar mit“, sagt er, „aber ich habe keine Probleme damit. Ich interessiere mich auch nicht dafür.“ Natürlich sei es hier anders als in Deutschland. „Die Arbeit ist weniger, das Geld ist weniger.“ Einer müsse immerzu daheim sein. Ganz könne man das Haus hier nicht alleine lassen, sonst werde eingebrochen, „die Jugendlichen“. Er wechselt sich mit seiner Frau ab. Der Mittelpunkt seines Lebens ist seit Jahren schon San Luca. „Ich habe meine Freunde hier.“ Und überhaupt, das Meer und die Berge, das Wetter. „Wenn ich in die Pilze gehen will, dann kann ich schön in die Pilze gehen. Wenn ich schwimmen gehen möchte, gehe ich schwimmen.“ Ob er Angst hat? „Nein. Nie. Man kennt sich. Und man weiß, wen man kennt, und die sind dann auch für einen da.“

    Für Nicola Gratteri ist San Luca alles andere als heimelig. Der 'Ndran-gheta-Experte und Anti-Mafia-Staatsanwalt kann seit 1989 nicht mehr ohne Personenschützer unterwegs sein. Er fährt nur nach San Luca, wenn er unbedingt muss: „Ich geh da nicht spazieren, um sie zu provozieren.“ Erst recht nicht in diesen Tagen.

    Warum San Luca? Was ist besonders an dem Dorf? Jedes Jahr, erklärt Gratteri, kämen die Vertreter aus aller Welt nach San Luca, um den „Capo Crimine“, das Oberhaupt, zu treffen. „Der Chef des Verbrechens ist der, der die Regeln, die zwölf geheimen Tafeln der 'Ndrangheta hütet und über die Unternehmen der Organisation entscheidet.“ „San Luca“, sagt Gratteri, „ist der wichtigste Ort für die 'Ndrangheta. Es ist die Mamma.“

    Gratteri sitzt jetzt in seinem Hochsicherheitsbüro im Justizpalast von Reggio di Calabria. An der Wand hinter seinem Schreibtisch hängen Plaketten und Auszeichnungen, dutzendweise. „Wir glauben“, sagt Gratteri, „das Gericht kann Giovanni Strangio verurteilen. Denn wir haben auch dank unserer Kollegen in Deutschland viele Beweise gesammelt.“ Durch das Fenster kann Gratteri, klein, kräftig, energisch, auf die Straße von Messina blicken. Drüben liegt Sizilien. In seiner raren Freizeit, sagt Gratteri, macht er am liebsten Gartenarbeit. Ist es nicht schwierig für ihn, sich immer wieder neu zu motivieren? Ist der Kampf gegen das organisierte Verbrechen nicht aussichtslos? Gratteri schaut so ernst wie die ganze Zeit schon. Er fühlt sich verantwortlich: „Ich kann meinen Job nicht aufgeben. Würde ich das Handtuch werfen, käme ich mir wie ein Feigling vor.“ Was sich nach einer möglichen Verurteilung Giovanni Strangios in San Luca ändern könnte? Gratteri: „Wenig.“

    Das Massaker von Duisburg und die 'Ndrangheta

    Vor dem Duisburger Restaurant „Da Bruno“ werden am 15. August 2007 sechs Männer erschossen. Fünf der sechs Opfer kamen aus San Luca in Kalabrien. Einer der mutmaßlichen Haupttäter, Giovanni Strangio, betrieb damals eine Pizzeria im niederrheinischen Kaarst. Er wurde im März 2009 am Stadtrand von Amsterdam verhaftet.

    Die Staatsanwaltschaft hat für den 32 Jahre alten Strangio lebenslange Haft gefordert. Er soll, so die Staatsanwaltschaft, die Täter angeführt und einer der beiden Todesschützen gewesen sein. Neben ihm sitzen noch weitere mutmaßliche Mitglieder der Clans von San Luca auf der Anklagebank des Schwurgerichtes von Locri.

    Der Angeklagte selbst hat mehrfach betont, dass er unschuldig sei. Sein Anwalt, Carlo Taormina, sagte gegenüber Spiegel Online: „Die Staatsanwaltschaft hat sich aus unerfindlichen Gründen auf meinen Mandanten gestürzt und Ermittlungen zu anderen Tatverdächtigen vernachlässigt. In Deutschland wäre es aus Mangel an Beweisen nie zu einem Verfahren gekommen.“ Zwei Schwestern Strangios wurden Ende Mai zu acht und achteinhalb Jahren Haft verurteilt, wegen Mafia-Zugehörigkeit. Das Urteil im Fall Giovanni Strangio wird bis Mitte Juli erwartet.

    Laut Nicola Gratteri, Anti-Mafia-Staatsanwalt und 'Ndrangheta-Experte, ist die 'Ndrangheta die derzeit reichste Mafiaorganisation. Sie kontrolliere schon seit mehr als zehn Jahren das Kokain- geschäft in Europa und setzt Milliarden um.

    Gratteri plädiert schon seit Jahren für ein einheitliches Straf- und Prozessrecht in Europa, denn: „Die Mafia ist in Deutschland und in fast allen europäischen Ländern.“ TEXT: stk

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden