Schon im Vorwort seiner einzigen in der DDR veröffentlichten Gedichtsammlung „Poesiealbum 89” zeigt sich die Wucht des deutsch-deutschen Dichters Thomas Brasch: „Hier wird Brot nicht mit dem Messer geschnitten, sondern mit dem Beil abgehauen.” Mehr als 20 Jahre nach Braschs Tod ist am Montag (22.25 Uhr) das 2022 beim Deutschen Filmpreis neunfach ausgezeichnete Schwarz-Weiß-Biopic „Lieber Thomas” auf Arte zu sehen. Es ist angelehnt an das Leben des 2001 mit nur 56 Jahren gestorbenen Schriftstellers, Drehbuchautoren, Übersetzers und Regisseurs.
Albrecht Schuch, der auch eine Hauptrolle im aktuell neun Mal für den Oscar nominierten Netflix-Kriegsdrama „Im Westen nichts Neues” spielt, zeigt den rebellischen Dichter dynamisch, machohaft und selbstzerstörerisch. Als erdenden Gegenpol spielt Jella Haase („Kleo”) mit beeindruckender Ursprünglichkeit seine Partnerin Katarina (im wahren Leben die Schauspielerin Katharina Thalbach).
Der 1945 in England als ältester Sohn jüdischer Eltern geborene Brasch ist einer, der stets aneckt. Während sein Vater (im Film: Jörg Schüttauf) in der DDR Karriere macht, gerät der Sohn ins Visier der Stasi. Die Mutter (Anja Schneider) verkümmert derweil in der Berliner Plattenbauwohnung an der Kleinheit des sozialistischen Staates. „Die Welt ändert sich, aber nicht, wenn man sich damit zufrieden gibt”, sagt Brasch. Das Verhältnis zum Vater ist zeitlebens zerrüttet.
Besessen und unbeugsam
Mit der Filterlosen im Mundwinkel und offenen, zuweilen manischen Augen spielt Schuch seinen Brasch als Besessenen. Als einen Unbeugsamen, der das Überschäumende sucht - in der Literatur, in der Liebe, im Leben. Weil sein Buch „Vor den Vätern sterben die Söhne” in der DDR nicht erscheinen kann, reisen Thomas, Katarina und deren Tochter 1976 nach West-Berlin aus.
„Abschied von morgen, Ankunft gestern, das ist der deutsche Traum”, sagt Brasch dort. Das Koks zieht er sich durch einen 100-Mark-Schein mit dem Konterfei von Karl Marx. Im Wechselspiel aus Literaturbetrieb und Schreibarbeit findet der Dichter auch im Westen keine Erfüllung.
Unterbrochen wird die Handlung von Traumsequenzen, in die sich teils Motive aus Braschs Werken wie dem Film „Engel aus Eisen” oder der Geschichte vom „Mädchenmörder Brunke” flechten. Was ist real, was passiert im Kopf? „Lieber Thomas” nimmt sich viele Freiheiten heraus und bleibt nicht starr an der gesicherten Biografie hängen.
Mit unterlegten Jazz-Variationen fängt Regisseur Andreas Kleinert („Tatort”) die Stimmung eindrucksvoll ein. Immer wieder werden Brocken aus Braschs Gedichten rezitiert. Sie zeigen, welch bedeutender Schriftsteller er tatsächlich bis heute ist.
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