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LOHR: Iris Berben: Mahnerin gegen das Vergessen

LOHR

Iris Berben: Mahnerin gegen das Vergessen

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    Ich bin in Sehnsucht gehüllt“ heißt das Programm, mit dem Iris Berben in Lohr auftritt (siehe Kasten unten). Im Mittelpunkt steht Lyrik von Selma Meerbaum-Eisinger (1924 bis 1942), einer Großcousine von Paul Celan (1920 bis 1970). Die Gedichte der jungen Jüdin, die im Arbeitslager Michailowka an Typhus starb, zählen heute zur Weltliteratur.

    Frage: Sie stellen die Lyrik von Selma Meerbaum-Eisinger in den Mittelpunkt Ihrer Lesung in Lohr. Was fasziniert Sie an den Gedichten?

    Iris Berben: Es ist Lyrik, von der man kaum glauben kann, dass sie von so einer jungen Frau kommt. Selma Meerbaum-Eisinger hat ihre Gedichte zwischen dem 15. und 18. Lebensjahr geschrieben. Sie begleitet mich jetzt sicherlich schon über 20 Jahre. Ich war von Anfang an so fasziniert, von dieser Sprache, von dieser Klarheit – und vor allen Dingen: Es ist so lebensbejahend! Als man mir angeboten hat, die Gedichte auf CD zu sprechen, hatte ich zunächst Hemmungen und überlegte: Wie kann ich einem so jungen Mädchen die richtige Stimme geben? Ich hatte da bereits viel mehr Leben hinter mir als sie und fragte mich: Muss das nicht eine junge Frau sprechen? Dann habe ich verstanden: Es geht um elementare Themen, um Sehnsucht, um das Leben und die Liebe, es geht darum, die Welt zu begreifen.

    Diese Faszination möchten Sie weitergeben.

    Berben: Ich merke bei meinen Lesungen, dass man die Menschen mit dieser Lyrik berühren kann, obwohl es bei vielen ja doch eine Hemmschwelle gibt, Gedichte zu hören oder zu lesen. Ich glaube, gepaart mit Musik – die von dem wunderbaren Pianisten Benjamin Moser kommt – ist es möglich, von diesem Mädchen und ihrer Biografie zu erzählen. Warum mache ich das? Damit sie nicht in Vergessenheit gerät. Solange man über Menschen spricht oder von ihrer Kunst erzählt, leben sie.

    Sie thematisieren also auch die tragische Biografie der Jüdin Selma Meerbaum-Eisinger.

    Berben: Ja. Ich finde, es ist wichtig, zumindest einen Teil dieser wirklich tragischen Biografie zu vermitteln, auch um zu zeigen, unter welchen Umständen die Gedichte entstanden sind. Man fragt sich ja: Wie ist es möglich, dass jemand in so einem Alter fähig ist, Gefühle mit den Möglichkeiten der Lyrik so präzise zu vermitteln. Wie kann jemand, der so jung ist, mit seinen Gedanken schon so weit sein? Vielleicht ist es ja so, dass sich ein Talent unter solchen Lebensumständen gleichsam bündelt . . .

    . . . Selma Meerbaum-Eisinger musste im Ghetto leben . . .

    Berben: Ja. Sie ist dann relativ schnell von den Nazis deportiert worden und mit 18 im Arbeitslager an Typhus gestorben. Es gibt ein Fragment von ihr, das endet mit: „Ich habe keine Zeit gehabt zu Ende zu schreiben.“ Sie war sich wohl sehr bewusst, dass ihr Leben zu Ende ging.

    Es geht Ihnen bei dieser Veranstaltung auch darum, die Erinnerung an die Gräuel der Nazizeit wachzuhalten?

    Berben: Ich glaube, dass man da nie einen Schlussstrich ziehen kann. Ich habe in den letzten 40 Jahren immer versucht, unterschiedliche Zugänge zu dem Thema zu finden: Wie kann man das ohne moralischen Zeigefinger vermitteln? Wie kann man Menschen dazu bringen, dass sie es nicht als Last empfinden, sich damit und auch mit der eigenen Biografie auseinanderzusetzen – und mit dem, was sich in unserer Welt und spezifisch in Deutschland abspielt? Ich habe versucht, das immer wieder auf unterschiedliche Weise zum Thema zu machen. Bei dieser Lyrik habe ich mir gedacht: Da ist eine schöne Sprache und zusätzlich gibt es noch Anregungen, über einen solchen Abend zu reden. Miteinander reden: Das ist das Wichtigste, was wir tun müssen.

    Als wir vor zwölf Jahren telefonierten, haben Sie gesagt: „Man muss daran arbeiten, dass Erinnern Teil unseres Alltags wird.“ Ich fürchte, das zu verwirklichen ist seitdem schwieriger geworden – auch, weil das „Dritte Reich“ zeitlich ja immer weiter wegrückt.

    Berben: Natürlich ist sie weit weg. Das merke ich in Diskussionen. Aber ich bin auch in einer Zeit großgeworden, wo Sprachlosigkeit geherrscht hat, wenn es um den dem Krieg ging, In meiner Schulzeit war das ein absolutes Tabuthema. Über das „Dritte Reich“ wurde in den 60ern und Anfang der 70er Jahre nicht geredet. Man hat also Wege gesucht, um sich dieser Zeit zu nähern und eine Haltung dazu zu entwickeln. Sie haben recht: Die Erinnerung wachzuhalten wird immer schwerer – gerade im Hinblick auf die Entwicklung heute. Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit sind ja fast wieder salonfähig. Nicht nur am rechten Rand, das ist schon weit in der Mitte angekommen.

    Wie kommt das?

    Berben: Menschen suchen einfache Antworten – das hat es ja schon mal gegeben. Deswegen muss man mit allen Kräften und Möglichkeiten daran arbeiten, die Erinnerung an das Böse der Nazizeit wachzuhalten. Da muss jede Generation ihre eigenen Möglichkeiten finden. Man kann das, wie ich jetzt, auf einer künstlerischen Ebene tun oder auf einer politischen. Wir haben ja in unserer Gesellschaft so viele Möglichkeiten, Haltung zu zeigen. Auch wenn das manchem vielleicht schwerfällt, weil er natürlich nicht aus seiner Komfortzone raus will.

    Und was können Sie selbst in dieser Richtung bewegen?

    Berben: Ich mache mir nicht viel Hoffnung, Ich glaube nicht, dass man mit Kunst etwas verändert oder dass man das als Einzelner kann. Ich höre immer wieder: Zu so einer Veranstaltung kommen sowieso nur die, die offen sind für das Thema. Das mag sein. Aber schon zu so einem Abend zu gehen, hat etwas mit Haltung zu tun. Und es hat was damit zu tun, dass die anderen immer lauter werden. Auch wir müssen laut werden – müssen lauter werden. Also was kann ich bewegen? Ich kann es vielleicht schaffen, dass sich Menschen über das Thema unterhalten, vielleicht Parallelen sehen, vielleicht Wege suchen, zu sagen: Ja es ist wichtig, auch im allerkleinsten Umfeld Haltung zu zeigen.

    Viel mehr verspreche ich mir nicht davon. Aber was ist die Alternative? Nichts zu machen? Ich finde: Wo man Möglichkeiten sieht, seine Stimme zu erheben, Möglichkeiten zum Diskutieren, zum Fragenstellen, sollte man sie ergreifen. Ich hätte allerdings nicht gedacht, dass man das 40 Jahre lang machen muss. Ich hätte gedacht, es kommt irgendwann eine Zeit, wo man Engagement gegen Antisemitismus, gegen Fremdenfeindlichkeit immer weniger braucht.

    Trotz 40 Jahren des Engagements scheinen Sie nicht müde zu werden.

    Berben: Nein. Müde kann man ja nicht werden. Die Welt gibt uns momentan keine Möglichkeit, zu sagen: Lehn dich entspannt zurück. Ganz im Gegenteil. Wir müssen die Diskussion führen, ob über Zuwanderung, über Flüchtlinge oder den NSU-Prozess: Wir haben unendlich viele Themen, die uns keine Möglichkeit lassen uns zurückzulehnen. Das ist ein Thema, das mich als Mensch interessiert, nicht als Schauspielerin. Aber ich benutze meine Öffentlichkeit ganz pragmatisch.

    Iris Berben und ihre Lesung in Lohr Bekannt wurde die 1950 in Detmold geborene Schauspielerin Iris Berben durch die TV-Comedy-Serie „Zwei himmlische Töchter“ (1978) und die Krimireihe „Rosa Roth“, wo sie von 1994 bis 2013 die Titelrolle der Kommissarin spielte. In vielen weiteren TV–Produktionen war sie meist in der Rolle der starken, unabhängigen Frau zu sehen. Im Kino reicht ihre Bandbreite vom Italo-Western „Zwei Companeros“ (mit Franco Nero, 1970) bis „Buddenbrooks“ (2008). Derzeit ist Iris Berben in der Filmkomödie „High Society“ zu sehen. In der Lohrer Stadthalle liest Berben am 8. Oktober (17 Uhr) Gedichte von Selma Meerbaum-Eisinger, Paul Celan und Hilde Domin. Der mehrfach ausgezeichnete Pianist Benjamin Moser schafft den musikalischen Rahmen. Vorverkauf: Tel. (09 31) 60 01- 60 00

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