Nein, ausprobiert habe er es nicht, wehrt Dieter Endrich ab. Niemals würde sich der Restaurator einfach so auf ein 200 Jahre altes Möbel setzen. Dick gepolstert seien die historischen Armlehnstühle jedenfalls, weiß der Fachmann von der Bayerischen Schlösserverwaltung, dafür sorgten Gurte, Federn, Seegras oder Pferdehaar. Ferdinand III. von Habsburg-Toskana, für den die Garnituren angefertigt wurden, saß also wohl kommod. Freilich, überlegt Endrich mit Blick auf einen der Stühle, die Rückenlehnen stehen doch arg steil. Ob das so bequem sei?
„So wohnte der Großherzog“ heißt die jetzt eröffnete Dauerausstellung in der Würzburger Residenz (siehe Kasten). Sie zeigt, wie sich der einzige weltliche Herrscher Würzburgs, der das Schloss dauerhaft bewohnte, einrichtete. „Empire“ hieß die Mode für Architektur, Interieur und Kleidung zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Den Kontrast dieser Wohnkultur zu den im Barock- oder Rokokostil eingerichteten Sälen kann der Besucher der Residenz nun in drei Räumen erleben.
Die Zimmer des Großherzogs wirken auf den modernen Betrachter weniger verspielt, geometrischer, nüchterner als die seiner geistlichen Vorgänger, der Fürstbischöfe. Doch auch sie strahlen Prestige und Macht aus. Kein Wunder – steckt doch letztlich Napoleon hinter dem auf dem Klassizismus fußenden Empire. Der spätere Kaiser hatte bei seinem Ägypten-Feldzug (1798 bis 1801) Zeichner dabei, die Abbildungen von Sphingen, Pyramiden, Obelisken nach Mitteleuropa brachten.
Daraus wurden Stilelemente, die fortan Residenzen des französischen Herrschers zierten. „Der Empire-Stil blühte von 1804, als Napoleon zum Kaiser gekrönt wurde, bis zur Schlacht von Waterloo 1815“, erklärt Dr. Werner Helmberger, Kurator der Würzburger Ausstellung. „Fürstenhöfe orientierten sich an Paris.“ Auch spezielle Zeitschriften, „eine Art von ,Schöner wohnen‘“ (Helmberger), sorgten für weitere Verbreitung der Mode.
Die im Empire-Stil gehaltenen sogenannten Toskana-Möbel der Residenz standen in den Vorzimmern der Macht: Dort musste warten, wer eine Audienz beim Großherzog haben wollte. Bequemlichkeit war da womöglich gar nicht gewünscht und ein gewisser Einschüchterungseffekt ob der kostbaren Materialien willkommen.
Doch auch seine privaten Gemächer stattete Franzosen-Freund Ferdinand a la Empire aus. Vorsorglich ließ er auch Salons für eine Dame des Hauses einrichten, obwohl Ferdinand verwitwet war, als er 1806 in Würzburg mit seinen Kindern einzog. Seine zweite Ehe schloss der Adlige erst 1821 – Würzburg hatte er da schon seit sieben Jahren verlassen. Von ungefähr 400 Möbeln aus der Empire-Zeit seien 230 erhalten, erklärt Helmberger. Zu sehen sind jetzt zwischen 50 und 60 als aufwendig restaurierte Beispiele für den Geschmack des Großherzogs und anderer Reicher und Mächtiger jener Zeit.
Fast eine Skulptur
Denn für einfache Leute war der Empire-Stil nicht gedacht: „Das war richtig teuer“, sagt Werner Helmberger. „Empire-Möbel standen dementsprechend an den Höfen und in den Häusern der obersten Gesellschaftsschichten.“ Der Aufwand für das schöne Äußere war enorm: „Für manch einen Sessel wurden bis zu 20 Meter Borte verwendet“, weiß Möbelrestaurator Endrich. Die verdeckte die Nägel, mit denen der Bezugsstoff am Rahmen gehalten wurde. Edle Materialen – Mahagoni, Palisander, Seidenstoffe – und aufwendiges Kunsthandwerk machten aus den Möbeln mehr als nur Gebrauchsgegenstände. „Die Schwanengarnitur aus dem Damenboudoir ist fast eine Skulptur“ – Kunsthistoriker Helmberger weist auf ein Tischchen, dessen runde Platte von kunstvoll geschnitzten Schwänen getragen wird. Die Beschläge sind aus gediegenem Silber.
Wie damals üblich folgte die Einrichtung einem Gesamtkonzept. Stühle, Tische, Wandbespannung und Accessoires wie etwa ein Ofenschirm waren im Design aufeinander abgestimmt.
Einen kleinen Spaziergang von den neu gestalteten Räumen entfernt – unterwegs passiert man Spiegelkabinett und Kaisersaal – zeigt Werner Helmberger in einem Schlafzimmer auf zwei Nachttischchen. Die sehen wie Obelisken mit gekappter Spitze aus und scheinen eher kleine Monumente als praktische Möbel zu sein. Schubladen? Türchen? Fehlanzeige. Lässt sich in den Schränkchen nichts aufbewahren?
Dieter Endrich zieht weiße Handschuhe über, um die empfindlichen Oberflächen zu schonen, und dreht eines der Schränkchen um 180 Grad. „Das ist die Nachtseite“, sagt er. Und dort sind sie, die Staufächer für alle möglichen Utensilien, die man beim Zubettgehen um sich haben möchte.
Kunstvoll bei Tag, praktisch zur Schlafenszeit. Auch das ist Empire-Wohnkultur. Wer sich die leisten konnte, hatte Lakaien zur Hand, die sich darum kümmerten, dass die jeweils passende Nachttischseite nach vorne zeigte.
Die Ausstellung in der Würzburger Residenz
„So wohnte der Großherzog“ heißt die soeben eröffnete Dauerausstellung in der Würzburger Residenz. Zu sehen ist eine der bedeutendsten Sammlungen von Empire-Möbeln und Dekorationsstücken aus jener Zeit in Europa.
Präsentiert werden die Möbel vor Fototapeten. Das vermittelt einen Eindruck der originalen Räume. Deren Ausstattung – etwa die Stofftapeten – wurde im Zweiten Weltkrieg zerstört: Am 16. März 1945 brannte auch die Residenz.
Die Bezugsstoffe der teils arg verschlissenen Stühle wurden zum Teil bei Spezialisten in Frankreich gewebt, um der originalen Anmutung möglichst nahe zu kommen. Seltener Glücksfall: Für eine Garnitur hatte sich im Fundus der Bayerischen Schlösserverwaltung sogar noch ein Ballen des einstigen Bezugsstoffes gefunden. Ein Karussell vom Beginn des 19. Jahrhunderts (Foto links) ist Teil der Schau. Großherzog Ferdinand III. hatte es für seine Kinder bauen lassen. Die ritten auf den Pferden im Kreis und schlugen Köpfe und Nasen der an der Seite angebrachten Holzfiguren ab. Geschoben wurde das Karussell von Dienern.
Öffnungszeiten: April bis Oktober täglich 9–18, November bis März 10–18 Uhr. TExt: hele, FOTO: Th. Obermeier