Liebe Michelle,
mittlerweile haben wir uns seit fünf Wochen nicht mehr gesehen - und ich hätte nie gedacht, wie sehr wir alle dich vermissen würden. Ja, wir alle. Auch mein Mann und ich. Dabei sehen wir uns zwar regelmäßig, doch immer nur kurz.
Du bist Erzieherin in einer Krippe im Landkreis Würzburg. Viermal die Woche bringe ich meine Tochter Hanneli frühs zu dir in die Grüne-Klecks-Gruppe. Dann muss es schnell gehen, der Abschied soll sich für die Kleine nicht länger als nötig hinziehen.
Seit fünf Wochen ist bei den grünen Klecksen nun nichts mehr los. Und nicht nur dort. Alle Kindertagesstätten und Schulen in Bayern sind aufgrund der Coronavirus-Pandemie geschlossen. Und die Kinder sind zu Hause bei ihren Familien. Überall in der Region versuchen Eltern nun vom heimischen Esszimmertisch aus zu arbeiten, die Hausaufgaben der Kinder zu betreuen und gleichzeitig die Situation für ihre Familien so angenehm wie möglich zu gestalten.
Dass das nicht immer leicht ist, merkte man an den ersten witzigen Sprüchen, die in WhatsApp-Gruppen oder auf Facebook gepostet wurden. Mein Favorit: "Manche Eltern finden gerade heraus: Der Lehrer war nicht das Problem.“
Leider hat es erst eine welterschütternde Krise gebraucht, um Berufsgruppen wie Pflegekräfte oder Verkaufspersonal wieder mehr Wertschätzung entgegen zu bringen. Und hoffentlich nun auch euch. Denn plötzlich vermissen Eltern all die Lehrer und Erzieher und entwickeln einen ganz neuen Respekt vor ihnen. Denn: Der Alltag zwischen Kinderliedern, Bastelarbeiten und Nudeln mit Tomatensoße ist hart.
Du schmunzelst jetzt vielleicht über solche Sprüche auf Facebook. Schließlich hast du es schon immer gewusst. Dein Job ist anstrengend - und verdient viel mehr Wertschätzung als du bekommst. Und das eben nicht nur in Krisenzeiten.
Schon meine ältere Tochter war ein grüner Klecks und bei dir gut aufgehoben. Ich weiß, was wir an dir haben. Aber was nutzt dir eine selbst gebastelte Karte zu Weihnachten? In der Gesellschaft muss realisiert werden, was du leistest. Du kümmerst dich liebevoll um die Kleinkinder anderer. Wickelst, fütterst, wiegst in den Schlaf, trocknest Tränen und putzt Nasen. Das ganze Jahr über betreust du mit einer Kollegin zwischen zwölf und 14 grüne Kleckse - alles Kinder zwischen einem und drei Jahren. Da kann es schon mal dauern, bis ihr allen die Matschhosen für den Garten angezogen habt.
Fensterbilder malen, Sandburgen bauen und Joghurts löffeln klingt vielleicht nicht nach großer Anstrengung. Aber wir Eltern wissen: Du bist keine Basteltante.
Auch in Kitas gibt es Kinder, die kein deutsch verstehen, die Behinderungen haben oder verhaltensauffällig sind. Und nicht nur die brauchen individuelle Förderung, ganz viel Nähe und eine verlässliche Bezugsperson. Von den Erwartungen der Eltern an dich, mag ich gar nicht schreiben.
Doch Wertschätzung macht sich auch auf dem Bankkonto bemerkbar. Schließlich muss anspruchsvolle und anstrengende Arbeit auch angemessen entlohnt werden. Während eurer Ausbildung verdient ihr kaum etwas, weil ein Großteil ja aus Unterricht besteht. Das ist nicht nur unfair, das ist abschreckend.
In der Krise zeigt sich jetzt: Du bist systemrelevant. Und das in einer Tätigkeit, die nahezu nur von Frauen ausgeübt wird. Fakt ist immer noch, dass Frauen in Deutschland im Durchschnitt 20 Prozent weniger verdienen als Männer. Und doch merken wir gerade, dass es besonders die Frauen sind, die den Laden am Laufen halten. Sei es in der Pflege, im Einzelhandel – oder so wie du und deine Kollegen in Kitas.
Viele Menschen geben ihre Kinder in eure Hände, um ihren eigenen Berufen nachzugehen. Dank eures Einsatzes können die Eltern dies auch guten Gewissens tun. Nun ist die Chance für Politik und Gesellschaft gekommen, euch wieder mehr Anerkennung entgegen zu bringen – und zwar in praktischer Form. Kleinere Gruppen und bessere Bezahlung wären ein Anfang.
Ihr erzieht die Gesellschaft von morgen - und das an der Belastungsgrenze. Es wird Zeit, dass Erzieher mehr wert geschätzt werden. Nicht nur, weil man Euch in Krisenzeiten plötzlich schmerzlich vermisst!
Bis hoffentlich ganz bald,
Hannelis Mama Julia Back, Redakteurin
Der Diskussionszeitraum für diesen Artikel ist leider schon abgelaufen. Sie können daher keine neuen Beiträge zu diesem Artikel verfassen!