Die 28 Staats- und Regierungschef der EU saßen schon einige Stunden zusammen, da nahte die Erlösung in der Flüchtlingskrise von ganz anderer Stelle: Türkische und EU-Unterhändler hatten sich auf einen Aktionsplan verständigt, der von Botschaftern der Mitgliedstaaten gebilligt und anschließend von den Chefs akzeptiert wurde. Drei Milliarden Euro wird die Türkei demnach für den Bau und Betrieb von sechs Flüchtlingslagern in Nordsyrien erhalten. Dafür erklärte sich Ankara bereit, die Asylbewerber zu registrieren und mit Reisedokumenten auszustatten, wenn ein Anrecht auf Asyl angenommen werden kann. Am Kampf gegen die Schleuser beteiligt sich das Land ebenso wie an der Schaffung von Arbeitsmaßnahmen für Flüchtlinge.
Die Europäer revanchieren sich mit den umstrittenen Visa-Erleichterungen und sind wohl auch bereit, dem Beitrittsprozess neuen Schwung zu geben. „Das ist ein großer Schritt nach vorne“, ließ sich ein hochrangiger EU-Diplomat zitieren. „Europa kann endlich hoffen, dass der massenhafte Ansturm auf den Western in geordnete Bahnen kommt.“ Genau das hatte Kanzlerin Angela Merkel noch vor Beginn des Spitzentreffens mit ihren Amtskollegen gefordert. „Im Augenblick gibt es einen ungeordneten Zustand“, sagte sie selbstkritisch und forderte „mehr Ordnung und Steuerung“.
Der Deal mit der Türkei, die Merkel am Sonntag besuchen wird, ist bislang nur eine von vielen Baustellen, die die EU-Chefs offenbar abräumen konnten. Ansonsten geht es nur schleppend voran. Noch am Nachmittag hatten Kommissionschef Jean-Claude Juncker und Parlamentspräsident Martin Schulz die mangelnde Bereitschaft der Mitgliedstaaten gerügt, sich an den finanziellen Mitteln für Flüchtlinge zu beteiligen. Gerade mal neun Millionen Euro für die auf 1,8 Milliarden Euro veranschlagte Hilfe seien bisher zusammengekommen. Und auch für die versprochene Milliarde zugunsten humanitärer Hilfen fehlten noch immer 225 Millionen. Auch die Verteilung der 160 000 Flüchtlinge aus italienischen und griechischen Auffangzentren stockt. Bisher fanden gerade mal 19 Betroffene eine neue Heimat. Die angekündigten Hotspots lassen ebenfalls auf sich warten. Und auch die Aufstockung der Frontex-Grenzschutzbehörde um 775 Experten tritt auf der Stelle. Stattdessen stürzten sich die Staats- und Regierungschefs auf den „erfolgversprechenden Aktionsplan mit Ankara“, wie es ein Mitglied der österreichischen Delegation formulierte. Sollte die Union die Türkei auch noch als sicheren Drittstaat anerkennen, könnte man alle Flüchtlinge, die von dort kommen, wieder zurückschicken. „Das wäre für Europa eine wahnsinnige Erleichterung“, hieß es am Abend in Brüssel.