Die Zahl der Patienten, die einen Behandlungsfehler vermuten, steigt. Nach der am Dienstag in Berlin vorgestellten Jahresstatistik des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK), wurden 2013 insgesamt 14 585 Gutachten erstellt. Das sind rund 2100 mehr als im Jahr davor. Bei gut einem Viertel der Fälle hat sich die Vermutung, dass etwas schiefgegangen ist, erhärtet: 2013 wurden 3687 Behandlungsfehler bestätigt (2012 waren es 3932 Bestätigungen). In Bayern wurden laut einer MDK-Sprecherin 2762 Fälle geprüft, 553 davon seien Behandlungsfehler.
Zieht man die noch unveröffentlichten Zahlen von den Gutachterstellen der Ärzteschaft hinzu – dort gingen rund 12 000 Anträge ein –, dann haben sich im vergangenen Jahr 26 000 Patienten wegen des Verdachts auf Behandlungsfehler in Krankenhäusern und Arztpraxen bei offiziellen Stellen beschwert. Das heißt: „Patienten sind aufgeklärter, sie fragen nach, das ist erwünscht“, sagt der frühere Oberarzt an der Chirurgischen Uniklinik Würzburg, Dr. Michael Imhof. Er ist als medizinisch-wissenschaftlicher Berater und Gutachter tätig, beschäftigt sich seit Jahren mit Behandlungsfehlern und hat darüber Bücher veröffentlicht. Allein die gestiegene Zahl der MDK-Gutachten weist seinen Angaben zufolge aber auch auf ein „gesteigertes Anspruchsdenken“ hin. Nicht immer liege ein Behandlungsfehler vor, wenn es zu Komplikationen kommt oder das Behandlungsergebnis nicht wie gewünscht ausfällt.
Der Würzburger Experte ist sich allerdings sicher, dass es weit mehr Behandlungsfehler gibt, als es die Statistiken ausweisen. „Die Dunkelziffer ist hoch“, sagt Imhof. Die meisten Patienten schweigen, womöglich weil der Weg zum Schadenersatz beschwerlich ist – trotz des 2013 in Kraft getretenen Patientenrechtegesetzes.
Am häufigsten beschwerten sich laut MDK-Statistik Patienten nach Operationen, sei es in der Orthopädie oder Allgemeinchirurgie. Viele unzufriedene Gemüter gab es zudem nach dem Besuch des Zahnarztes. In diesen Bereichen wurden auch die meisten Behandlungsfehler bestätigt: An erster und zweiter Stelle stehen Komplikationen bei Knie- und Hüftgelenkoperationen, den dritten Platz nehmen Kariesbehandlungen ein.
„Natürlich gibt es Behandlungsfehler“, sagt Michael Imhof. Aber generell gesehen, „ist unsere Medizin sicher und gut“. Imhof betont jedoch, „das oberste Ziel sollte sein, vermeidbare Behandlungsfehler zu senken“. Dies könnte durch die Umsetzung eines strikten Qualitäts-, Risiko- und Hygienemanagements erreicht werden. Nicht immer würden die entsprechenden Empfehlungen, beispielsweise des Robert-Koch-Instituts, beachtet oder Abläufe auf mögliche Fehlerquellen untersucht. Dass viele Behandlungsfehler vermeidbar wären, dieser Ansicht ist auch Stefan Gronemeyer, leitender Arzt des Medizinischen Dienstes des Kassen-Spitzenverbands (MDS). Es bräuchte eine verstärkte Sicherheitskultur, sagt er in Berlin. „Der erforderliche Kulturwandel“ sei bestenfalls eingeleitet statt erreicht.
Fehler per se kein „Ärztepfusch“
Der Präsident der Bundesärztekammer, Frank Ulrich Montgomery, gibt in einem Statement zu den neuen MDK-Zahlen zu bedenken: „Angesichts von fast 700 Millionen Behandlungsfällen im ambulanten Bereich und mehr als 18 Millionen Fällen in den Kliniken jährlich bewegt sich die Zahl der festgestellten ärztlichen Behandlungsfehler im Promillebereich.“ Sie dürften nicht per se mit „Ärztepfusch“ gleichgesetzt werden.
Michael Imhof rät Patienten, sich vor Operationen mit dem Arzt zu besprechen sowie vor planbaren Eingriffen wie einer Hüftoperation eine Zweitmeinung einzuholen. Claudia Schlund von der Unabhängigen Patientenberatung Deutschland empfiehlt unter anderem, ein Gedächtnisprotokoll anzulegen. Wer Hilfe benötigt oder einen Behandlungsfehler vermutet: MDK-Beratungszentren gibt es in Nordbayern zum Beispiel in Würzburg, Schweinfurt, Bamberg und Bayreuth. Mit Informationen von dpa