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Geteiltes Leid

Leitartikel

Geteiltes Leid

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    Z unächst einmal sind es diese erschreckenden Zahlen, die Angst machen. Bis zu 100 000 Menschen womöglich hat die Flutkatastrophe in Südostasien das Leben gekostet. Unvorstellbar im ersten Augenblick, am Ende aber doch nur Teil einer Statistik, die alljährlich daran erinnert, dass sich die Natur nicht bändigen lässt. Dass Menschenwerk Tand ist, wenn die Erde bebt, wenn haushohe Wellen über die Ufer schlagen, wenn Vulkane Asche und Lava speien, Monsunregen und Dürre alle Lebewesen in ganzen Regionen vernichten.

    Wir Westeuropäer, die wir schon bei 20 Zentimeter Schneefall oder 35 Grad Hitze aus dem Tritt kommen, sehen Katastrophen wie diese gemeinhin nur aus der Distanz - berührt zwar, aber nicht betroffen. Jetzt aber, nachdem ein völlig unerwartetes Naturereignis auch an paradiesischen Touristenstränden Tod und Verderben gebracht hat, ist das Leid nahe gerückt, auch hier gegenwärtig.

    Nun plötzlich wird das Grauen verständlich, weil der eine oder andere selbst schon dort Ferien gemacht hat oder machen wollte - dort, wo jetzt das Inferno herrscht. Jetzt auf einmal werden Schicksale greifbar, persönliche, da womöglich Verwandte, Freunde oder Bekannte unter den Opfern sein können, unter den Vermissten, den Toten.

    Gewaltige Überschwemmungen wie im Mai und Juni auf der Karibikinsel Hispaniola sowie in Bangladesch, Nepal und Indien, wo Tausende ums Leben kamen, oder das grauenvolle Erdbeben im iranischen Bam, bei dem 30 000 Menschen unter den Trümmern starben, machen nur kurz Schlagzeilen. Nicht, weil das Ausmaß der Katastrophen nicht mit der Apokalypse in Südasien vergleichbar war, sondern weil sich das Mitgefühl in Grenzen hält, wenn die Opfer ohne Gesicht bleiben. Hier und heute jedoch können sich viele identifizieren mit den etwa 8200 deutschen Touristen in der Region, von denen man selbst einer hätte sein können.

    Die Globalisierung - auch das eine Facette dieser mittlerweile eher ungeliebten Entwicklung - rückt die Welt enger zusammen. Und sie lässt die ehemaligen Zuschauer teilhaben am Risiko, an der Gefahr und am Leid derer, die der Zerstörung nicht den Rücken kehren können, wenn die Flutwelle vorüber ist. Und das sind eben jene Hunderttausende in den schrecklichen Zonen der Armut, der Kriege und der stets gegenwärtigen Naturkatastrophen, die zurückbleiben in ihrem Schmerz und im Elend.

    Sie sind jetzt angewiesen auf eine lange Zeit anhaltende Welle der Hilfsbereitschaft, größer als die vernichtende Flut, die in Sekunden so viele Leben ausgelöscht, so viele Menschen aus der Bahn geworfen hat. Zurückgelassen ohne ihre Lieben, ohne ein Dach über dem Kopf und in noch schlimmerer Armut als zuvor.

    Sich auch daran zu erinnern kann helfen, die eigene Betroffenheit zu mildern, ja vielleicht gar persönliche Schicksalsschläge im Zusammenhang mit der Katastrophe besser zu ertragen. Das Mitgefühl mit dem bedauernswerten Nachbarn, den Landsleuten, den Europäern, denen, die Naturgewalt in der Ferne Schmerz zugefügt hat, darf die anderen Opfer nicht vergessen machen. Geteiltes Leid, geteilt mit den Angehörigen der indonesischen Kinder in den Massengräbern, ist halbes Leid.

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