Ein strahlend schöner Frühlingstag ist es, als Luise Schloßnagel und ihre Schwester die Nachbarin rufen hören: „Da ist was am Himmel!“ Die junge Frau läuft zum Nachbarhaus und schaut nach oben. Und sieht schon die hellen Markierungsstreifen am Himmel. Nach fast fünfeinhalb Jahren Krieg weiß Luise, was das bedeutet: Gleich werden Bomben fallen.
„Auf einmal war da ein Gebrumm, dann hat es geknallt“, erinnert sich die Sommerhäuserin, die damals 18 Jahre alt war. „Es tat einen Schlag und die Brücke war weg.“ Es ist der 23. Februar 1945. Der Tag, an dem Sommerhausen zum ersten und einzigen Mal Ziel eines alliierten Luftangriffes wird. Der Tag, an dem die 1897 erbaute Mainbrücke in Trümmer gebombt wird.
„Nach einer Viertelstunde war alles vorbei“, erzählt Luise Schloßnagel. Sie wohnt zu dieser Zeit mit Mutter und Schwester in einem Anwesen nahe dem Torturm. Luftalarm gehört in jenen letzten Kriegswochen zum Alltag. „Jeden Abend um dreiviertel neun kamen die Flieger“, erinnert sich Luise Schloßnagel. Und mit ihnen das Brummen, das den Menschen im Luftschutzkeller Nacht für Nacht an den Nerven zehrt. Doch nie fallen Bomben auf Sommerhausen – „es war ja keine Industrie da.“ Nein – die Flieger sind meist auf dem Weg nach Kitzingen, Schweinfurt oder Würzburg.
An diesem Tag jedoch klinken die amerikanischen B-17G's über Erlach 132 Fünf-Zentner-Sprengbomben aus. Luise Schloßnagel steht im oberen Stockwerk des Nachbarhauses. Von dort kann man die rund 300 Meter entfernte Mainbrücke sehen. Als die Bomben einschlagen, liegt die junge Frau auf einmal hinter der Haustür. Sie weiß bis heute nicht, wie sie dorthin gekommen ist – der Luftdruck muss sie von den Füßen gerissen haben. Verletzt wird sie nicht. Auch niemand aus ihrer Familie. Aber eine Frau und ihr kleiner Sohn kommen im Ort ums Leben. Denn nicht alle Bomben treffen die Brücke.
„Die Pflastersteine von der Brücke lagen bei uns im Hof“, weiß Luise Schloßnagel noch. Einer davon erschlägt ein Huhn. Sämtliche Fenster sind zerborsten, viele Dächer abgedeckt. „Wenn die nicht so genau gezielt hätten, wäre ganz Sommerhausen kaputt gewesen“, glaubt die heute 82 Jahre alte Luise Schloßnagel.
Das Schreckensszenario, das die Sommerhäuser erleben müssen, trägt den Codenamen „Operation Clarion“. Am 22. und 23. Februar soll mit gezielten Luftangriffen auf Eisenbahnknotenpunkte, Verschiebebahnhöfe, Häfen und Brücken das Verkehrssystem des Deutschen Reiches weitgehend lahmgelegt werden. All das hat der Sommerhäuser Hobby-Historiker Karl Liebing recherchiert.
Die elf Bomber, die Sommerhausen zum Verhängnis werden, haben ursprünglich ein anderes Ziel. Sie gehören zu den 1274 Fliegern die am Morgen im Südosten Englands mit Ziel Deutsches Reich starten. Die 493. Bombergruppe soll den Forchheimer Bahnhof bombardieren. Doch Forchheim liegt unter Wolken, so dass die Bomber Ausweichziele anfliegen. Die 493. Bombergruppe wählt Kitzingen.
Die Stadt ist an diesem Tag bereits das Ziel anderer Bombergruppen und wird schwer beschädigt. Lediglich die A- und die C-Staffel können ihre zerstörerische Ladung dort abwerfen. Die B-Staffel kommt wegen des alliierten Gedränges über Kitzingen nicht zum Zug. Die Flieger müssen ihre Bomben aber loswerden. Zwar haben sie unbeladen einen Aktionsradius von 6000 Kilometern – mit den schweren Bomben an Bord wieder nach England zu fliegen, wäre aber kaum möglich gewesen.
Aus Richtung Kaltensondheim nähert sich die Formation dem Maintal. Da entdeckt der Leitbombenschütze der B-Staffel kurz vor Mittag in der klaren Luft ein mögliches Ziel: die Sommerhäuser Brücke. „Entdeckte linksseitig einen kleinen Ort, . . . und nahm Straßenbrücke von rechts“, schreibt Bombenschütze Delmar Mineard in seinem Bericht, den Karl Liebing übersetzt hat. „Die Sicht war sehr gut und ein guter optischer Zielanflug wurde ausgeführt mit zehn weiteren Bombern nach der Führungsmaschine. Der Mittelpunkt der Brücke wurde als Zielpunkt anvisiert und der komplette Bombenteppich traf die Brücke.“ Knapp 5000 Meter hoch, aber nur 180 Stundenkilometer schnell fliegen die Bomber beim Angriff um 11.49 Uhr. Auf Gegenwehr treffen sie nicht.
Danach sind sechs Wohnhäuser total, drei schwer und 32 leicht beschädigt. Mindestens vier direkte Treffer hat die Mainbrücke erhalten. Vier der fünf Brückenbögen stürzen ein. „Es war so eine schöne Brücke“, sagt Luise Schloßnagel. Bis 1970 müssen die Sommer- wie die Winterhäuser ohne Brücke auskommen. Erst dann wird ein Stück flussabwärts eine neue errichtet.