Betty Weinberger ist erschöpft. Jeden Morgen um halb fünf ist die 74-Jährige wach – an erholsamen Schlaf ist seit fast zwei Wochen in Fischerdorf nicht zu denken. „Es rattert in der ganzen Nacht in meinem Kopf: Wie soll es nur weitergehen?“, sagt Betty, in deren Haus in dem Deggendorfer Stadtteil das Wasser bis zu zwei Meter hoch stand.
Nachdem die vielen Helfer, die beim Ausräumen der Möbel und Böden geholfen haben, abgezogen sind, steht sie mit ihrem Ehemann Luitpold vor ihrem Alterssitz. Innen ist das Haus komplett entkernt, außen sind der Garten und die Gemüsebeete von Öl kontaminiert und grau vom Schlamm.
Der Deggendorfer Stadtteil wurde nach einem Dammbruch vom Hochwasser überspült. In den folgenden Tagen gab es im bayerischen Fischerdorf eine noch nie da gewesene Solidarität. Neben den vielen Einsatzkräften engagierten sich freiwillige Helfer wie Studenten, Schüler und Menschen, die spontan ihren Urlaub opferten, um zu helfen.
Zwei Wochen später erinnern die Häuser an den Rohbauzustand. Wie hoch der Schaden bei den Weinbergers ist, lässt sich noch nicht beziffern. Sie müssen die Böden erneuern und sämtliche Möbel neu kaufen. „Ich habe überhaupt keine Ahnung, was eine neue Einrichtung kostet“, sagt Betty. Seit Jahrzehnten habe sie keine Möbel mehr gekauft.
Dabei sei der Schaden an den Gebäuden selbst oft noch größer, sagt Malermeister Gerhard Lallinger aus Fischerdorf. „Grund ist das Öl, das sich mit dem Wasser vermischt hat und mehrere Tage innen und außen an der Hauswand stand.“ Der Unternehmer, der 25 Mitarbeiter hat, hat infolge des Hochwassers selbst alles verloren. In seiner Werkstatt, im Büro und im Wohnhaus stand das Wasser drei Meter hoch. Er schätzt den Schaden auf 1,7 Millionen Euro.
„Ich bekomme doch gar keinen Kredit mehr von der Bank“, sagt der 57-Jährige. Er müsste sich um sein Grundstück kümmern. Aber Lallinger berät nebenbei seine Freunde. „Wir müssen zusammenhalten, in einigen Tagen interessiert sich doch niemand mehr für unser Schicksal.“
„Du musst den ganzen Boden rausreißen, den Putz innen und außen abklopfen“, erklärt der Experte dem Heizungsbauer Guido Lackner. Um auch das Öl aus den Wänden zu bekommen, muss die Oberfläche zunächst mit einem Industriereiniger eingesprüht werden.
„Dann mit einem Bunsenbrenner alles abflammen und noch Bohrungen in die Wände, damit die restliche Feuchtigkeit rauskommt.“ Außen muss ebenfalls der Putz bis zur Grundmauer runter. Für den 30 Quadratmeter großen ehemaligen Büro- und Aufenthaltsraum beim Heizungsbauer kommen bis zu 60 000 Euro zusammen.
Woher das Geld für die Sanierung kommen soll, weiß Lackner, der in einigen Jahren in Rente gehen wollte, noch nicht. Trotzdem will er nicht aufgeben. „Wenn ich jetzt Schluss mache, steht hier eine Ruine. Das passt nicht in mein Lebensbild. Das gehört hergerichtet“, sagt der Unternehmer, der sechs Angestellte hat.
Joachim Zimmermann, Inhaber einer Schreinerei in Fischerdorf, hat bereits den Antrag auf die Notstandsbeihilfe beim Landratsamt gestellt. „Mitte nächster Woche wird entschieden, ob ich 50 000 Euro bekomme“, erläutert der 51-Jährige. Er verlässt sich auf die politischen Zusagen, schließlich schätzt er seinen Schaden auf bis zu 300 000 Euro. Es sind nicht nur finanzielle Sorgen, die die Menschen belasten. Bei einigen hat die Flut auch die Vergangenheit weggespült. Sabrina Meyer kam erst vor einigen Tagen in ihre Wohnung in Fischerdorf – alle Möbel sind zerstört.
„Das Schlimmste ist aber, dass alle Kindheitsbilder von mir und meinem Mann und die Familienbilder mit unserem kleinen Sohn zerstört wurden“, sagt die 27-Jährige.
Sie werde einen Neuanfang in Deggendorf starten – sicher vor dem Hochwasser.
Betty Weinberger will dagegen bleiben – es ist schließlich das Elternhaus ihres Mannes. Neben der neuen Einrichtung wird es für die 74-Jährige auch eine neue Küche geben – die hatte sie sich schon viele Jahre gewünscht. „Ich habe immer gesagt, die alte geht doch noch. Aber jetzt gibt es eine neue“, sagt Luitpold und nimmt seine Frau in den Arm. „Wenn wir gesund bleiben, klappt das schon.“
Mückenplage
Nach der Flutkatastrophe schwirren in den betroffenen Gebieten nun Unmengen an Mücken herum. Das Hochwasser trägt dazu bei, dass Mücken aus möglicherweise schon vor Jahren abgelegten Eiern schlüpfen. „In Wäldern und Feuchtgebieten bilden sich Tümpel, die die idealen Brutstätten für Stechmücken sind“, sagte der Regensburger Mückenforscher Martin Geier.
„Die Stechmücken, die jetzt so stark auftreten, sind sogenannte Überschwemmungsmücken.“ Die Eier hätten sich über eine lange Zeit angesammelt in Wiesen und Mulden. „Wenn diese überschwemmt werden, schlüpfen die Mücken aus.“
Die Mückenplage betreffe nicht nur die Hochwassergebiete massiv, sondern auch die Seenlandschaften in Oberbayern und andere Gebiete. Die Mücken, die bereits geschlüpft sind, können laut Geier einige Wochen oder auch Monate alt werden.
Das Problem ist, dass die zweite Generation bereits in den Startlöchern stehe. „Wenn die Eier abgelegt werden, kann im Idealfall zehn bis zwölf Tage später die nächste Generation ausschlüpfen.“ Im schlimmsten Fall komme nach wenigen Wochen noch einmal eine Überschwemmung und löst eine weitere Mückeninvasion aus. Ob es sich um eine besonders schlimme oder weniger dramatische Flut handelt, sei dabei nicht so wichtig.
Geier hat an der Regensburger Universität über Mücken geforscht, zudem hat er mit Kollegen ein Unternehmen gegründet, das unter anderem Kommunen bei der Mückenbekämpfung unterstützt. FOTO: dpa