Es ist Samstag, der 28. September 1974. Im Ochsenfurter Bahnhof steht wie üblich der Zug bereit, der um 13.24 Uhr nach Weikersheim abfährt: eine Diesellokomotive und vier ältere grüne Reisezugwagen. Aber heute ist etwas anders. Die Fahrzeuge sind geschmückt mit Fähnchen, Wimpeln, Grün und Blumen. Blasmusik erklingt. Viel Publikum ist erschienen. Man könnte fast meinen, es gäbe Grund zum Feiern, wäre da nicht ein Transparent „Acholshausen verabschiedet die Gaubahn“. Es ist der letzte planmäßige Personenzug der Gaubahn – Auftakt eines langen Abschieds.
Vorbei am Rathaus, das Trauerbeflaggung trägt, geleiten Trommler des Feuerwehr-Spielmannszugs das „Beerdigungskomitee“ durch die Stadt zum Bahnhof: Bürgermeister, Stadträte und Landrat Dr. Friedrich Wilhelm marschieren hinter einer Fahne mit Trauerflor, versammeln sich zum Gruppenbild, bevor sie sich zu den Fahrgästen im Zug gesellen, der voll besetzt ist. Bei der Ausfahrt wird aus den Fenstern gewinkt. Auf den anderen Stationen gibt es ebenfalls „großen Bahnhof“. Ähnliches Aufsehen hatte die Bahn wohl nur bei der Eröffnung erlebt.
Um die Jahrhundertwende war es dringender Wunsch von Ökonomen im Thierbachtal und im Gau, das fruchtbare Gebiet an das Verkehrsnetz anzuschließen. Nach langen Bemühungen wurde er Wirklichkeit. 1907 wurde die Strecke bis Röttingen eröffnet, 1909 die Verlängerung bis Weikersheim und die Stichstrecke Bieberehren-Creglingen. Vor allem landwirtschaftliche Güter machten die Fracht aus. Menschen fuhren zur Arbeit, zum Einkaufen oder zur Schule. Bis zum letzten Tag nutzten Marktbreiter Gymnasiasten das Zügle. Danach übernahmen Busse den Personenverkehr – mehr schlecht als recht. Es gab Klagen wegen gnadenloser Überfüllung, vor allem im Schülerverkehr.
Der Wind wehte seit den Wirtschaftswunderzeiten der Deutschen Bundesbahn ins Gesicht. Autobegeisterung griff um sich. Der Bahn blieben Kunden weg. Die Politik reagierte nur in eine Richtung. Der Straßenverkehr wurde gefördert, die Bahn einem strengen Spardiktat unterworfen, was am Defizit nichts änderte. In den sechziger Jahren gab es schon eine Liste von Nebenstrecken, die aufgegeben werden sollten. 1967 endete der Personenverkehr nach Creglingen. 1974 traf es die Strecke Ochsenfurt-Weikersheim.
Doch es gab noch Gelegenheiten zu Bahnreisen zwischen Main und Tauber. Die Ochsenfurter Katholiken veranstalteten alle zwei Jahre an Christi Himmelfahrt eine Familien-Wallfahrt, 1976 sogar mit Dampflok. Der Wallfahrerzug 1982 war der letzte, der die ganze Strecke bis Weikersheim befuhr. Kurz darauf wurde die Brücke in Röttingen wegen Schäden gesperrt und somit die durchgehende Verbindung gekappt.
Der Bahn womöglich eine Zukunft sichern, war Ziel von Idealisten, die 1985 den Verein „Gaubahnfreunde“ gründeten. Es gab Fahrten zum Bremserfest nach Röttingen, einen Faschings-Gau(di)zug und viele mehr. Zu den Röttinger Festspielen verkehrten sogar Züge ab Würzburg. Auch Vereine, Firmen, Schulen und das Volksbildungswerk organisierten Fahrten. Möglich war dies dank engagierter Mithilfe von Eisenbahnern.
Doch die Strecke steht und fällt mit dem Güterverkehr. Als klar war, dass Zuckerfabrik und Bauern die Bahnverladung der Zukerrüben, die als umständlich galt, aufgeben werden, stellte die DB den Antrag auf vollständige Stilllegung. 1990 rollten letztmals Rüben nach Ochsenfurt, im Frühjahr 1992 der letzte Güterzug nach Creglingen. Großes Spektakel gab es beim Abschieds-Dampfsonderzug am 3. Mai 1992. Eine Seniorenwallfahrt setzte einige Tage später den endgültigen Schlussakkord im Personenverkehr. Bis März 1994 wurden die Gleise abgebaut. Die ehemalige Bahntrasse bringt auch heute noch Menschen in den Ochsenfurter Gau – Radfahrer. Der Gaubahn-Radweg verläuft über weite Strecken genau dort, wo früher die Gleise lagen.