Noch vor wenigen Jahren wurde die Otto-Hahn-Straße im Würzburger Dürrbachtal unweigerlich mit Metzgerfleisch und Schlachten in Verbindung gebracht. Doch 2009 hat die Firma Südfleisch ihren Schlachthof aus Ertragsgründen aufgelöst. Wo damals wöchentlich rund 2600 Schweine und 500 Rinder geschlachtet wurden, gehen heute Kunden in ein modern eingerichtetes Fotostudio, lassen sich ein passendes Make up auftragen oder leihen sich Kostüme für Fasching aus.
In den seit Jahren leerstehenden Räumlichkeiten ist seit einigen Monaten ein reges Aufblühen an neuen Unternehmensstrukturen zu beobachten. Neben Werkstätten von Spenglern, Textildruckern und Malern, wurden unter anderem auch zwei Tonstudios und eine IT-Firma auf dem alten Schlachthofgelände eröffnet. Zu den Neumietern gehören auch Linda Matthey und Thomas Hempel. Sie waren mit ihrem Startup die ersten, die sich an die Räume im Schlachthof herangewagt haben. Und so begann im März letzten Jahres die Vorbereitung für das Unternehmen „OH3-Studios“.
„Am Anfang war alles sehr chaotisch, wir haben lange nach der passenden Location gesucht“, erinnert sich Linda Matthey. Die 35-Jährige ist gelernte Erzieherin, arbeitet aber schon lange als Stylistin. Mit ihrem Bekannten Thomas Hempel eröffnete sie nun nach monatelangen Renovierungsarbeiten Ende 2016 das junge Unternehmen. Hempel ist dabei überwiegend als Fotograf für ein Mietstudio zuständig, Matthey kümmert sich um einen Kostümverleih und das Make up.
Durch die Auflösung eines befreundeten Lengfelder Kostümverleihs, hatten die beiden Geschäftspartner die Gelegenheit, unzählige Kostüme weiter zu nutzen. Zusätzlich haben die beiden Restbestände eines Kostümverleihs aus Rügheim übernommen. So können in der Otto-Hahn-Straße mittlerweile 2000 unterschiedliche Kostüme und Accessoires bestaunt und ausgeliehen werden. Die stattliche Sammlung reicht von Cowboy-Kostümen über Römer- und Piratenkleider bis hin zu unzähligen Perücken und Hüten. „Hier gibt es historische Kleider, Uniformen, Retro-Skianzüge, Trachten und vieles mehr“, sagt Linda Matthey stolz. „Die Idee war, Kostüme, Make up und Fotos zu verbinden“, so die Würzburgerin. Nun können Kunden Outfits ausleihen, sich schminken lassen und direkt vor gewünschtem Hintergrund fotografieren lassen.
Dass der Schauplatz dafür ein ehemaliges Schlachthaus sein würde, damit hat am Anfang niemand gerechnet. „Wir waren schon skeptisch, da waren überall Fließen, Duschen für die Metzger und alte Waschbecken“, sagt Hempel. Nach und nach wurde den Beiden allerdings klar, dass genau diese besondere Location, das gewisse Extra sein könnte. „Wir haben natürlich vieles verändert, aber auch bewusst Elemente dagelassen“, erklärt Matthey.
Die Unternehmer entschieden sich für die Räume, in denen sich vorher hunderte Metzger umgezogen und gewaschen haben. Nach monatelangem Renovieren präsentieren die jungen Gründer stolz ihr Geschäft. „Wir haben alles selber gemacht, ich kenne mich jetzt mit Stichsägen aus und werde im Baumarkt wiedererkannt“, sagt Matthey lachend.
„Die Leute sollen hier machen können, was sie wollen“, sagt Hempel. Die Überreste aus dem Schlachthof halten sich in Grenzen. „Im Keller gibt es noch echte Schlachthaken, aber in unserem Laden nicht“, so Hempel. „Wir wollten von der Location einiges so lassen wie es ist, die Räume sind schon cool“, ergänzt Matthey.
Die Fließen auf dem Fußboden sind beispielsweise geblieben. Sie machen viele besondere Wünsche möglich. „Für gewisse Shootings hatten wir schon Hunde da und Kinder konnten sogar mit Sand spielen“, erklärt Hempel die Vorteile des Raumes. Neben dem Fußboden gibt es noch weitere Überbleibsel aus alten Schlachttagen. Die in die Jahre gekommenen Duschen sind heute Umkleidekabinen, in denen die Duschköpfe zu stilvollen Lampen umfunktioniert wurden. Die breiten Waschbecken bieten als Schuhregal Platz für unzählige verleihbare Treter.
„Viele professionelle Fotografen kommen gerade wegen der alten Elemente zu uns und mieten unsere Fotostudios“, erklärt Thomas Hempel. Der Kundenkreis reicht von jungen Leuten, über Familien mit Kindern bis hin zu älteren Menschen. „Kürzlich kam eine Dame zu uns und wünschte ein Komplett-Umstyling“, erinnert sich Hempel und fügt hinzu: „Zu uns kann wirklich jeder kommen.“
Die Betreiber der OH3-Studios sind überrascht über den Zulauf an Kunden. Der abschreckende Effekt durch die „blutige“ Vorgeschichte ist ausgeblieben. Der Hausmeister könne sich allerdings bis heute nicht erklären, warum die Beiden dieses Gelände ausgesucht haben, erklärt die Erzieherin und Stylistin amüsiert. Und auch die Nachbarunternehmer müssen sich zum Teil noch daran gewöhnen. „Einer unserer Nachbarn mietete die Hallen, in denen die Schweine vor der Schlachtung betäubt wurden. Er bildet sich nachts noch manchmal ein, das Quietschen der Tiere zu hören“, so Matthey.
Der Kostümverleih und Verkauf von Make up-Artikeln hat immer mittwochs, freitags und samstags geöffnet. Das vermietbare Fotostudio kann auf Anfrage auch an anderen Tagen genutzt werden. Linda Matthey und Thomas Hempel sind zufrieden und blicken optimistisch in die Zukunft. Neben Fasching und Halloween, scheint auch zu anderen Jahreszeiten ein Bedarf an Verkleidung vorhanden zu sein.
Und dennoch muss für jeden Erfolg auch ein Opfer gebracht werden. „Ich hätte nie gedacht, dass ich in meinem Leben irgendwann Kostüme auf einen Fleischerhaken hängen werde“, sagt der 30-jährige Hempel und wirft seiner Geschäftspartnerin ein Lächeln zu.