Der vollbesetzte Vortragssaal des Leopoldina-Krankenhauses signalisiert die Brisanz des Themas: „Das Kreuz mit dem Kreuz – Ursachen, konservative und operative Therapiemöglichkeiten“. Zum Einstieg nennt Privatdozent Dr. Uwe Vieweg, Chefarzt der Abteilung für Wirbelsäulenchirurgie, Zahlen: Wegen Kreuzschmerzen werden 80 Prozent der Bevölkerung ärztlich behandelt, Beschwerden an der Wirbelsäule sind der Grund für 30 Prozent aller Krankschreibungen, für 50 Prozent aller vorzeitigen Berentungen.
Die Auslöser für Rückenschmerzen sind vielfältig: Bewegungsmangel, Verspannungen, Verschleiß, Verformungen, Tumore des Knochens, Herzenge, Burn out, Depressionen. Veränderungen an der Bandscheibe sind jedoch die häufigste Schmerzursache (Wirbel, Bandscheibe, Bandstrukturen, Gelenke, Muskulatur, Nerven).
Als nicht bandscheibenbedingte Ursachen nennt Vieweg bei Jugendlichen Morbus Scheuermann und Wirbelgleiten, bei 20- bis 60-Jährigen gynäkologische oder urologische Probleme, Borreliose, Morbus Bechterew und bei den über 60-Jährigen Verengung des Spinalkanals, Osteoporose, Gefäßerkrankungen (erweiterte Bauchschlagader) oder Metastasen an der Wirbelsäule. Schon diese Ursachen-Vielfalt lasse ahnen, wie kompliziert eine wirkungsvolle Therapie sein könne, betont Vieweg. Dazu kommt der „Teufelskreis Kreuzschmerzen“: Eine mechanische Belastung etwa führt zu einer Nervenreizung mit Schmerz, der löst Muskelverspannungen und seelische Belastungen aus – der Kreislauf beginnt von vorn, der Schmerz schaukelt sich hoch, hat irgendwann nichts mehr mit der Ursache zu tun.
Viel Bewegung, wenig Stress
Als Prävention empfiehlt Vieweg viel Bewegung, rückengerechtes Bewegen, Vermeidung von Übergewicht und Stress. Und er erläutert anschaulich die Biomechanik der Wirbelsäule und die richtige Haltung bei einer Belastung. Nach der Diagnose einer Wirbelsäulen-Erkrankung sollte bei der Therapie nach einem Stufenplan vorgegangen werden, so der Chefarzt.
Je nach Befund komme Ruhe (Stufenbett) oder Krankengymnastik in Frage, der Einsatz von Medikamenten, Injektionen und Katheterverfahren, Physiotherapie, physikalische Therapie und Muskelaufbautraining. Erst am Schluss all dieser Möglichkeiten sollte die Operation stehen, denn „alle Operationen haben ihre Ecken und Kanten“, räumt Vieweg ein.
Wenn sich auch etwa 90 Prozent aller Rückenschmerzen konservativ behandeln lassen – das gilt auch für Bandscheibenvorfälle – irgendwann hilft nur noch die Operation: Bei Instabilität (Frakturen), Lähmungen (neurologische Defizite), Fehlstellungen, zunehmender Deformität, Tumorerkrankungen und bei unerträglichen, therapieresistenten Beschwerden.
Mikrochirurgie und minimal-invasive Techniken seien im Leopoldina selbstverständlich, so Vieweg, doch das bedeute mehr als nur die Verwendung von Mikroskop oder Endoskop. Mikrochirurgie sei vielmehr eine Philosophie mit Kriterien wie geringe Gewebeschädigung, geringer Blutverlust, geringer postoperativer Schmerz, kurze Operationszeit.
Vieweg zeigt einige Schwerpunkte aus der Arbeit seiner Abteilung, beeindruckende Techniken, die ein präzises, millimetergenaues Arbeiten erfordern: Die mikrochirurgische Erweiterung einer Wirbelkanal-Einengung durch ein Implantat, die Implantation einer Bandscheiben-Endoprothese, die Stabilisierung von Wirbeln durch Auffüllen von Knochenzement, minimal-invasive Versteifungs-Operationen.
OP nicht immer möglich
Manchmal sei eine Operation nicht möglich, sagt Vieweg. Hier könne eine Rückenmarksstimulation die chronischen Schmerzen betäuben. Dazu wird der Hinterstrang des Rückenmarks durch geringe elektrische Ströme stimuliert. Bei der sogenannten intrathekalen Arzneimittelinfusion werden die Schmerzmittel durch ein im Bauchraum implantiertes Pumpenreservoir und einen flexiblen Schlauch in den Flüssigkeitsraum entlang des Rückenmarks abgegeben – dorthin, wo die Schmerzsignale verlaufen.
Viewegs Resümee: 1. Prävention, 2. Operation vermeiden, soweit es geht, 3. schonende, minimal-invasive Techniken, 4. gute Risiko-Nutzen-Abwägung, 5. Nutzung moderner OP-Techniken. Das Wichtigste sei allerdings die individuelle Indikationsstellung, das ausführliche Gespräch mit dem Patienten.
Beratungssprechstunde bei Dr. Uwe Vieweg an jedem Freitag (mit stationärem Einweisungsschein) oder privat: Tel. (0 97 21 720-26 56