Ums Haar wäre alles verloren gewesen. Als die Stadt Lohr vor Jahrzehnten ein altes Abrisshaus kaufte, entdeckte man auf dessen Dachboden einen Schatz: Tausende Aufnahmen des Foto-Pioniers Franz Wilhelm Schäfer (1872-1951). Es handelte sich nicht nur um rund 10.000 Porträts, sondern auch um gut 3000 Aufnahmen von Gebäuden sowie Ort- und Landschaften aus dem Spessart.
Es sind einzigartige Zeitdokumente, die auch die Veränderungen in den Lebensumständen der Menschen über Jahrzehnte widerspiegeln. Die Fotos ermöglichen überdies für ungezählte Straßenzüge und Ortsansichten den direkten Vergleich: Wie sah es früher aus, wie sieht es heute aus?
Für die Heimatforschung ist die Sammlung der Werke des Fotografen Schäfer von unschätzbarem Wert, auch aus volkskundlicher Sicht, beispielsweise durch die Abbildungen von Frisuren, Trachten oder Kleidung der damaligen Zeit.
Fotos auf Glasplatten
Gebannt sind die Aufnahmen der frühen Fotografie-Technik entsprechend auf Glasplatten. Diese waren mit einer lichtempfindlichen Emulsion beschichtet und hielten so nach der Belichtung die Motive fest.
Heute lagert die Sammlung der Glasplatten im Archiv der Stadt Lohr. Rund 1200 Platten zeigen Lohrer Motive, 800 solche aus Städten und Gemeinden der näheren Umgebung. Auf weiteren rund 350 Platten finden sich Abbildungen aus einem größeren Kreis innerhalb Mainfrankens.

Die Lohrer Stadtarchivarin Marina Hanas will die Aufnahmen Zug um Zug digitalisieren. Seit die Stadt für einen fünfstelligen Betrag einen hochwertigen Scanner angeschafft hat, kommen dabei gestochen scharfe Aufnahmen heraus.
Hanas ist fasziniert von der Arbeit mit den Schäfer-Bildern. Die Stadtarchivarin spricht von einer »Reise in die Vergangenheit« und von einem »Zuckerbonbon« der Archivarbeit. Oft sei es aber auch Detektivarbeit. Denn nicht alle Aufnahmen lassen sich sogleich einem Ort zuordnen. Listen, aus denen sich ersehen ließe, welche Glasplatte welches Motiv zeigt, existieren nicht. Noch schwieriger ist es bei den Porträts. Hier könnten allenfalls die erhalten gebliebenen Rechnungen Rückschlüsse auf die Abgebildeten zulassen, sagt Hanas.
Kunden hatte der 1872 in Lohr geborene Schäfer viele. Er war der Erste in weiterer Umgebung, der um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert die „Lichtkunst“, wie die Fotografie damals auch genannt wurde, zu seinem Lebensunterhalt machte.
Fotoreisen bis nach Italien
Der Sohn eines wohlhabenden Lumpensammlers hatte zunächst den Beruf des Posamentiers erlernt, fand in der Herstellung von Borten, Kordeln und Quasten jedoch keine Erfüllung. Es folgte daher eine Ausbildung zum Fotografen.
Bereits 1894 machte sich Schäfer selbstständig - im Alter von nur 22 Jahren. Er muss in der Folge ein guter Geschäftsmann gewesen sein. Sein Aktionsradius umfasste bald den gesamten süddeutschen Raum und reichte mitunter bis nach Italien. Der Schwerpunkt von Schäfers Schaffens waren jedoch Lohr und der Ostspessart.

So finden sich in der Glasplattensammlung Aufnahmen von Mespelbrunn über Rothenbuch, Marktheidenfeld und Neustadt bis Frammersbach. Auch ein Jagdbesuch des Königs Ludwig III im Spessart hielt der Foto-Pionier fest. In einem eigenen Verlag produzierte und vertrieb er auch Post- und Ansichtskarten, die als solche mitunter in die ganze Welt verschickt wurden.
Erstes Auto in Lohr
Dass es Schäfer mit seiner Arbeit nicht nur zu Wohlstand brachte, sondern stets auch technischen Neuerungen gegenüber aufgeschlossen war, zeigt sich auch darin, dass er im Jahr 1901 der Erste war, der in Lohr ein Auto besaß. Mit diesem reiste der Fotograf übers Land.
Tausende Aufnahmen entstanden freilich auch in Schäfers Atelier. Das hatte er eigens bauen lassen, mit großen Glasfronten, um für ausreichende Belichtung zu sorgen. Elektronische Blitzgeräte wurden erst in den 1930er Jahren entwickelt. Bis dahin musste bei Bedarf mit Blitzlichtpulver hantiert werden, also einer Mischung aus Magnesium, Kaliumchlorat und Schwefelantimon. Beim Zünden entstand allerdings nicht nur ein greller Lichtblitz, sondern auch reichlich Rauch mitsamt Brandgefahr. Um seine Kundschaft in Landschaftsaufnahmen in Szene setzen zu können, hatte Schäfer in Lohr aus einem Garten einen kleinen, in Teilen bis heute existierenden Park machen lassen, mitsamt Pavillon und Teich.
Schäfer engagierte sich jedoch nicht nur als Fotograf, sondern auch im kulturellen Bereich. Er inszenierte in Lohr Theaterstücke, Operetten, Faschingsaufzüge und Gesangsabende – die er, wie sollte es anders sein, auch fotografierte.