Im Februar 2017 gab Keith Jarrett in der berühmten New Yorker Carnegie Hall sein bislang letztes öffentliches Konzert - und wetterte damals von der Bühne aus gegen den kurz zuvor zum ersten Mal zum US-Präsident gewählten Donald Trump. Vom Publikum gab es dafür und für sein Klavierspiel begeisterten Applaus und Jarrett bedankte sich schließlich dafür, dass die Zuschauer und Zuschauerinnen ihn zu Tränen gerührt hätten.
Weitere Konzerte waren geplant, doch mussten aus «gesundheitlichen Gründen» abgesagt werden. Lange war unklar, was das genau bedeutet, bis sich die Jazz-Legende, die heute 80 Jahre alt wird, selbst zu Wort meldete und traurige Nachrichten überbrachte: Nach zwei Schlaganfällen werde er wohl nie wieder öffentliche Konzerte geben können, sagte Jarrett der «New York Times».
Jarrett: Fühle mich nicht mehr wie Pianist
«Ich weiß nicht, was meine Zukunft sein wird. Jetzt gerade fühle ich mich nicht wie ein Pianist. Das ist alles, was ich dazu sagen kann.» Seine linke Körperhälfte sei immer noch teilweise gelähmt, er könne nur mit der rechten Hand ein wenig Klavier spielen.
Mit Schock und Trauer reagierten weltweit die Millionen Fans des Klavier-Virtuosen, der die Szene jahrzehntelang geprägt hat und zu den erfolgreichsten Musikern der Welt gehört. Sein Publikum begeisterte er mit der Interpretation klassischer Komponisten ebenso wie mit seinen Jazz-Interpretationen. Solo war Jarrett ein Meister - aber auch mit seinem Trio, zu dem Bassist Gary Peacock und Schlagzeuger Jack DeJohnette zählen, feierte er große Erfolge. Der britische «Guardian» feierte ihn beispielsweise als «besten Klavierspieler der Welt» und «großartigste lebende Musiker».
Erfolg begann mit legendärem «Köln Concert» vor genau 50 Jahren
Begründet wurde sein Erfolg mit einem legendären Konzert vor genau 50 Jahren in Köln - an das Jarrett allerdings erstmal negative Erinnerungen hat. «Ich denke an das schlechte italienische Essen, das mir serviert wurde, bevor ich anfangen sollte zu spielen», sagte er einmal dem US-Radiosender NPR. «Ich denke daran, dass sie das falsche Klavier gemietet hatten.» Es habe «schrecklich» geklungen, und beinahe sei das frei improvisierte Konzert nicht aufgenommen worden.
Aber dann klappte es doch, und danach habe er sich die Aufnahme gemeinsam mit seinem Produzenten Manfred Eicher im Auto auf Kassette angehört. «Und wir haben uns angeschaut und gesagt: "Oh Mann. Das müssen wir veröffentlichen."» Inzwischen ist «The Köln Concert» von 1975 längst legendär und mit mehr als 3,5 Millionen verkauften Kopien das erfolgreichste Soloalbum der Jazz-Geschichte. Die Aufnahme gilt als Meilenstein, weil sie improvisierte Jazz-Musik bei einem breiten Publikum populär machte.
«Köln Concert» mit Film gefeiert
Regisseur Ido Fluk hat das Konzert mit dem Film «Köln 75» mit Mala Emde in der Hauptrolle gerade noch einmal aufleben lassen - allerdings wollte Jarrett Fluk zufolge «kein Teil davon sein». Der vor wenigen Wochen veröffentlichte Film konzentriert sich nun ganz auf die Geschichte der damals erst 18-jährigen Vera Brandes, die das Konzert organisierte.
Einfach und unkompliziert im Umgang war Jarrett, der zum dritten Mal verheiratet ist, zwei Söhne hat und in dem kleinen Örtchen Oxford im US-Bundesstaat New Jersey lebt, noch nie. Unruhe unter seinen Zuhörern, ein Husten, Handy oder Blitzlicht haben ihn oft aus der Bahn gebracht - dann ist er auch mal ausgerastet, hat geflucht, gemaßregelt und gedroht, das Konzert abzubrechen.
Stimmte aber die «emotionale Farbe» in einer Konzerthalle, wie er einmal sagte, «ist das Publikum bereit, mir zu folgen, ganz gleich, durch welchen Prozess ich gehe», dann kannten seine Kreativität und Fantasie keine Grenzen. Dann improvisierte er vom ersten Anschlag bis zum Applaus, manchmal ohne ein einziges Mal auszusetzen. Da sich Jarrett in seinen Improvisationen nie wiederholt, war jedes Konzert ein neues Werk. «Wofür ich bezahlt werde, ist in die Tiefe zu gehen. Wie im Tauchanzug mit Maske, tief und immer tiefer.»
Erstes Konzert schon mit sieben Jahren
Geboren wurde Jarrett 1945 als ältester von fünf Söhnen in eine streng religiöse Familie im US-Bundesstaat Pennsylvania hinein. Angeblich soll eine Tante den damals Dreijährigen gebeten haben, das Geräusch eines Baches in Musik umzuwandeln - und so seine Leidenschaft für das Klavier entfacht haben. Er bekam Unterricht, gab mit sieben Jahren sein erstes Konzert, mit zwölf ging er auf Tourneen, mit 17 Jahren füllte er ein Abendprogramm ausschließlich mit eigenen Kompositionen, und schon bald spielte er mit Stars wie Charlie Haden und Miles Davis.
Schon in den 90er Jahren durchlief er erstmals eine gesundheitliche Krise und musste sich wegen chronischer Erschöpfung eine Auszeit nehmen. Als die Kraft langsam zurückkehrte, musste er seine Virtuosität neu erlernen. «Alles war anders. Ich habe Musik und ihre Bedeutung anders empfunden.»
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