Eigentlich wollte Andrea Rösser schon immer mit Werkzeug arbeiten. Mit richtigem Werkzeug, also mit Hammer, Säge, Bohrmaschine. Doch es dauerte 25 Jahre, bis sich dieser Wunsch erfüllte. Jetzt hält die Hammelburgerin ihren Gesellenbrief als Goldschmiedin in den Händen. Mit 41 Jahren legte sie mit einer glatten Eins in Theorie und Praxis die beste Prüfung bei der Handwerkskammer in Würzburg ab. Jetzt zieht es die zweifache Mutter in die Ferne. An der portugiesischen Atlantikküste, im schönen Badeort Cascais nahe Lissabon, will sie ihre eigene Goldschmiede eröffnen.
Drei Gesellenbriefe und sogar einen Meistertitel hatte Andrea Rösser schon in der Tasche, als sie vor drei Jahren – mit 38 – noch einmal einen Neuanfang machte. Nicht, dass die gelernte Köchin, Restaurantfachfrau und Konditormeisterin keinen Spaß an ihrer Arbeit gehabt hätte. Im Gegenteil: In ihrer Backstube ließ sie ihrer Kreativität freien Lauf, fertigte die ausgefallensten Torten, regelrechte Kunstwerke aus Marzipan, verziert mit der Airbrushpistole, dekoriert mit Perlen und Swarovskisteinen. Und da wurde der Wunsch aus ihrer Jugendzeit wieder wach: „Ich will Goldschmiedin werden.“
Damals hatte Andrea Rösser keinen Ausbildungsplatz gefunden. Jetzt, 25 Jahre später, war die Lage aber nicht viel besser. Von Fulda bis Schwarzach klapperte die Konditormeisterin die Goldschmieden ab. Vergeblich. Denn nur wenige Betriebe bilden heute noch aus.
Ein absoluter Glückstreffer war es dann, dass die Würzburger Goldschmiede Roso einen Lehrling suchte. Sie zählt zu den renommiertesten Adressen in der Domstadt. Inhaberin Klaudija Roso legte 1997 ihre Meisterprüfung als Beste in ganz Bayern ab. Andrea Rösser bewarb sich und wurde genommen. „Es war eine ganz schöne Umstellung“, sagt die 41-Jährige rückblickend. Damit meint sie nicht nur den Wechsel von der Backstube in die Goldschmiede, sondern auch den Unterricht in der Berufsschule. Hatte sie als Konditormeisterin einst selbst Lehrlinge in der Berufsschule unterrichtet, so saß sie nun wieder auf der Schulbank. „Das war lustig“, meint Andrea Rösser mit Blick auf den Altersunterschied. „Das hätten alles meine Kinder sein können.“ Die jüngste Mitschülerin war gerade mal 16 Jahre alt. Und die Ältesten waren in dem Jahr geboren, als Andrea Rösser in Hammelburg ihren Realschulabschluss machte. Das war 1987.
Der Altersunterschied schien jedoch niemanden gestört zu haben. Denn Andrea Rösser wurde gleich zur Klassensprecherin gewählt. „Anfangs dachte ich, die Schule machst du mit links“, doch da wurde die damals 38-Jährige eines Besseren belehrt. „Ich musste noch einmal alles von Grund auf lernen.“ Im fachkundlichen Unterricht sei das ja nicht so schlimm gewesen, aber auch Deutsch und Sozialkunde musste gebüffelt werden. Das hieß, Erörterungen schreiben, Protokolle verfassen und zuhause fleißig lernen. Auch Sport gab es in der Berufsschule. Meist sei Volleyball- oder Völkerball gespielt worden. „Das war gut für den Geist“, denkt Andrea Rösser gerne an „die schöne Zeit“ zurück. Aber es waren auch harte Jahre, gesteht die zweifache Mutter. Denn schließlich galt es, Haushalt und Familie mit der Lehre unter einen Hut zu bringen. Tochter Mia wurde im Kindergarten und von einer Tagesmutter betreut, die ältere Schwester Lina nach der Schule im Kinderhort. Richtig anstrengend sei die Zeit vor der Prüfung gewesen. „Das war echt hart“, gibt Andrea Rösser zu. Vor allem, weil die Hammelburgerin gleich die schriftliche Prüfung für den Goldschmiedemeister mitmachte. Das war möglich, weil Andrea Rösser bereits eine Meisterprüfung als Konditorin im Handwerk absolviert hatte. So kam es, dass die jetzt 41-Jährige ihren Meisterschein noch vor dem Gesellenbrief in den Händen halten konnte. Was jetzt noch fehlt, ist das Meisterstück. Doch dafür will sich die frisch gebackene Goldschmiedin Zeit lassen und erst einmal praktische Erfahrung sammeln.
In jedem Fall soll das Meisterstück etwas Besonderes werden. So wie ihr Gesellenstück. Dieses ist ein Anhänger, den man zum Ring umbauen kann. Aus 750er Gold hat ihn Andrea Rösser gefertigt. Im Mittelpunkt befindet sich eine Münze, die ihre beiden Töchter im Profil zeigt. Die Münze ist gefasst wie ein Edelstein und sitzt auf einer beweglichen Ringschiene. Diese wird je nach Tragevariante zum Anhänger umgeklappt und mit einer Klappöse für die Kette versehen oder mit einem Verschlussdeckel zum Tragen am Finger stabil gemacht.
„Die Idee hat den Prüfern gefallen“, weiß Andrea Rösser. Und Ideen hat sie noch viele. Ideen, die sie im portugiesischen Cascais in ihrer Goldschmiede umsetzen will.
Und was ist mit der Konditorei? „Nein“, eine Rückkehr in ihren früheren Beruf schließt die 41-Jährige aus. Torten wird sie künftig wohl nur noch für familiäre Feiern backen.