Jahrzehntelang befand sich die alte Großenbracher Rathausuhr auf Wanderschaft, wurde von wohlmeinenden Liebhabern gehütet, von historisch bewanderten Experten begutachtet und von rechtlich versierten Beamten verwaltet. Fast 15 Jahre lang stritt man sich über den Verbleib des handgeschmiedeten Uhrwerks. Schließlich ging die Sache sogar vor Gericht. Wenn nun bald das neue Bad Bockleter Rathaus eröffnet wird, soll die alte Turmuhr aus dem 18. Jahrhundert im Foyer eine neue Heimat finden.
Rainer Wirth hatte schon als Kind ein besonderes Verhältnis zur Großenbracher Rathausuhr. Damals, nach dem Zweiten Weltkrieg, als die Amerikaner ins Kurviertel einzogen, war er mit Vater und Mutter aus dem Elternhaus ausquartiert worden. Die Familie siedelte vorübergehend nach Großenbrach um, in ein Gebäude gegenüber dem Rathaus.
„Ich sah die Seile schon gespannt und war wie elektrisiert“
Rainer Wirth über die Rettung der Turmuhr
Das mächtige Uhrwerk hoch oben im Giebel des Nachbarhauses beeindruckte den Buben nachhaltig. Auch als er mit 14 Jahren eine Schlosserlehre machte, zog es ihn immer wieder die klapprige Stiege hinauf unters Rathausdach. Dort zog er die Gewichte auf und nahm, wenn nötig, kleine Reparaturen an dem Räderwerk vor. Kein Wunder, dass ihn die Nachricht vom Abriss des Rathauses im Herbst 1971 traf wie der Blitz. Wirth wohnte schon lange wieder in Bad Kissingen. Als er die Hiobsbotschaft in der Zeitung las, machte er sich flugs auf den Weg nach Großenbrach und kam dort gerade noch rechtzeitig an.
„Ich sah die Seile schon gespannt und war wie elektrisiert“, erinnert er sich heute noch mit Schrecken. Zusammen mit drei Arbeitern konnte er jedoch das Uhrwerk aus dem Dachgeschoss retten. Dafür musste er sich wenig später bei Bürgermeister Johann Schlereth verantworten. Doch man wurde sich handelseinig: Wirth zahlte für die Uhr 150 Mark und bekam eine Quittung. Das handwerksgeschichtlich interessante Uhrwerk wurde hergerichtet und erfreute im Haus Collard in Bad Kissingen so manchen Besucher. Einer von ihnen war 1974 Regierungsdirektor Werner Eberth, der im Auftrag von Landrat Magnus Herrmann im Haus am Kurgarten Nummer sechs einer 90-Jährigen zum Geburtstag gratulieren sollte. „Aber die Frau war im Schwimmbad, also wartete ich und sah mich ein bisschen um“, rekonstruiert Eberth heute seinen Amtsbesuch. Die Uhr stand im Treppenhaus, und Wirth schilderte Eberth begeistert die Geschichte seines Fundstücks.
Im Nachhinein sicher ein Fehler, denn jetzt wurde der Behördenapparat in Gang gesetzt. Der Uhr wurde plötzlich ein „wissenschaftlicher, geschichtlicher und künstlerischer Wert“ unterstellt. Laut Gesetz hätte sie die Gemeinde nur mit Genehmigung des Landratsamts veräußern dürfen, hieß es. Wirth musste die Uhr also zurückgeben.
Der Diplom-Ingenieur wollte das nicht so einfach hinnehmen. Er bestand auf einer Erstattung der Kosten, einschließlich der Auslagen für den Rechtsanwalt. Schließlich habe er die Uhr hergerichtet und sachgerecht in einem beheizten Treppenhaus aufbewahrt. Mit der Marktgemeinde Bad Bocklet wurde er jedoch nicht einig. Der Gemeinderat wollte ihm seinerzeit nur 1000 Mark überlassen. So reichte Wirth wegen seiner Ansicht nach ausstehender 465 Mark am 19. Oktober 1979 Zivilklage beim Amtsgericht ein.
Doch die Angelegenheit wurde erst Anfang der 80-er Jahre beigelegt. Nach Angaben von Altbürgermeister Helmut Schuck, der seinerzeit für die Marktgemeinde vor Gericht in Aktion trat, hatten sich beide Parteien bis zu einer Ablösesumme von 1820 Mark angenähert. „Der Spielraum, den ich vom Gemeinderat aus hatte, lag aber nur bei 1800 Mark“, sagt Schuck rückblickend. Schließlich habe es ihm dann gereicht. „Ich machte den Geldbeutel auf und legte dem Richter 20 Mark auf den Tisch.“
„Ich machte den Geldbeutel auf und legte 20 Mark auf den Tisch“
Helmut Schuck über die Gerichtsverhandlung
Damit war die leidige Angelegenheit dann doch erledigt. Die Uhr stand lange Zeit im Bockleter Rathaus, bis Paul Schmitz sie vor zwei Jahren wiederentdeckte und Bürgermeister Wolfgang Back versprach, sie herzurichten.
Der Wahl-Bockleter mit dem Hang für feingliedrige Zeit-Mechanik hat nämlich schon etliche alte Turmuhren restauriert. Zifferblatt und Zeiger waren weg, Pendel und Aufzugschlüssel fehlten und die Gewichte waren unbrauchbar. Da musste der Aschacher Bildhauer Ludwig Bauer ran. Er fertigte eine Pendellinse und zwei Gewichte. Karl-Hans Schüttler aus Nordheim schmiedete Wellen und Zahnräder. Schreiner Peter Göb stellte aus uraltem Eichenholz den Uhrenbock her. Und dann war es an Paul Schmitz, die Uhr zusammenzusetzen und zum Schlagen zu bringen. Im Februar 2010 war das ehrwürdige Uhrwerk fertig. Im Oktober soll die alte Turmuhr aus der Zeit zwischen 1730 und 1750 ins neue Rathaus übersiedeln.