Schweinebraten mit Klößen würde Ayla Öztürk nie essen. Ihren religiösen Bräuchen hat sie auch nach so vielen Jahren in Deutschland die Treue gehalten. Deshalb feiert sie nicht Weihnachten, hält sich an den islamischen Fastenmonat und isst kein Schweinefleisch. Klöße mag sie sehr wohl. Manchmal kocht sie welche, aber nur für sich, denn ihr Mann mag keine Klöße. Er liebt es "herzhaft türkisch". Ayla Öztürk akzeptiert das, genau wie sie akzeptiert, dass ihr Sohn Schweinefleisch isst.
Der Umgang mit den beiden Kulturen ist für die 41-Jährige unkompliziert. Sie spricht fast ebenso gut Deutsch wie Türkisch. Während sie und ihr Mann am Wochenende meist türkische Freunde und Verwandte in Schlüchtern besuchen, haben Emre und seine sechs Jahre jüngere Schwester Gamze fast nur deutsche Freunde. Ein Kopftuch zu tragen, war für Ayla Öztürk nie ein Thema. Schon die Mutter hatte keines.
Auch die restliche Kleidung unterscheidet sich nicht von der einer deutschen Frau: ein ärmelloses T-Shirt mit Blumenmuster, ein knielanger Jeansrock, dazu rotlackierte Zehennägel und rotgeschminkte Lippen. Vielleicht liegt es auch daran, dass sie hier noch nie Fremdenfeindlichkeit gespürt hat, glaubt Ayla Öztürk: "Von Äußerlichkeiten lassen sich die Leute eben doch beeinflussen."
Die Schneiderin stammt aus Düzce, einer Stadt am Schwarzen Meer, in der Mitte zwischen Ankara und Istanbul. "Die Stadt ist so groß wie Fulda aber so ländlich wie Hammelburg", erklärt die Deutsch-Türkin. Es gibt dort auch kleine Fabriken, doch wenn sie sich an Düzce erinnert, erinnert sie sich vor allem an "viel Grün". Als Kind hat sie oft geholfen, Haselnüsse und Tabak zu ernten.
Als die Mutter nach Deutschland ging, um in einer Kleiderfabrik in Schlüchtern zu arbeiten, ließ sie die Familie zunächst in der Türkei. Nach eineinhalb Jahren folgte der Vater seiner Frau nach Deutschland. Ayla und ihr Bruder blieben bei den Großeltern, erst nach einem weiteren Jahr holten die Eltern ihre Kinder nach Deutschland. Der Abschied von der Türkei fiel Ayla nicht schwer. Bei Oma und Opa in Istanbul hatte sie ohnehin wenige Freunde.
Als die Großeltern die Eltern nach einem halben Jahr überredeten, die Kinder doch wieder in die Türkei zu schicken, weigerte sie sich, dort in die Schule zu gehen. Während der Bruder die Schulausbildung in der Türkei abschloss und erst anschließend nach Deutschland kam, zog Ayla schon nach einem weiteren halben Jahr wieder zu ihren Eltern. Mit 15 arbeitete sie dann ebenfalls in der Kleiderfabrik in Schlüchtern.
In der Türkei feierte Ayla 1983 ihre Hochzeit - mit 300 Gästen. Ihren Ehemann Mehmet kannte sie schon als Schulkind. "Eigentlich sollte er nur mal Deutschland sehen, dann wollten wir wieder zurück", erinnert sie sich. Doch dazu kam es dann nie, die wirtschaftliche Lage ließ das Paar in Deutschland bleiben. Die Aussteuer liegt noch immer unangetastet in der Türkei.
Als Emre 1985 geboren wurde, übergab Ayla Öztürk ihre Arbeitserlaubnis an ihren Mann. Er arbeitete für einen Automobilzulieferer. Zweieinhalb Jahre später entschloss sich die Schneiderin, den Schritt in die Selbständigkeit zu wagen - denn dazu brauchte es keine Arbeitserlaubnis. Eine Freundin gab ihr den Tipp, dass in Hammelburg eine Änderungsschneiderei fehlt. Als die Vermieter nach neun Jahren wegen Eigenbedarfs kündigten, zog die Änderungsschneiderei in die Josef-Schultheis-Straße - in einen größeren Laden, denn Ayla Öztürk hatte noch eine weitere Marktlücke in Hammelburg entdeckt.
1997 eröffnete sie gemeinsam mit Ute Gökpekin die Kinderboutique Ayla's Juniorshop. Mit der Geschäftspartnerin war sie schon zuvor jahrelang befreundet. Deren Ehemann Serdar stammt ebenfalls aus der Türkei und war einfach eines Tages in die Änderungsschneiderei gekommen und hatte sich vorgestellt - denn so viele Türken gibt es in Hammelburg nicht.
Zurück in die Türkei zu gehen, kann sich Ayla Öztürk heute nicht mehr vorstellen. Ihr Mann hat inzwischen gemeinsam mit einem Kollegen eine eigene Reinigungs- und Dienstleistungsfirma gegründet, der Sohn Emre macht in Würzburg eine Ausbildung bei der Polizei und Tochter Gamze besucht die sechste Klasse der Hauptschule.
Jedes Jahr im Sommer fliegt Ayla Öztürk zu Besuch in die Türkei. Länger als drei bis vier Wochen kann die Deutsch-Türkin ihr Geschäft nicht zumachen. Und obwohl ihr das Leben in Hammelburg gefällt, schätzt sie die Besuche in der türkischen Heimat und die dortige Lebensart: "In der Türkei ist nicht alles so planmäßig."