Dabei braucht der 14 000-Liter-Tank des Milchautos noch nicht einmal eine Kühlung. Der Trick besteht darin, dass die Landwirte die frisch gemolkene Milch auf fünf bis sechs Grad herunterkühlen. Bis der Sammelwagen nach seiner Halbtagstour im Milchwerk ankommt, hat sich die eingesammelte Milch im Tank um höchstens zwei Grad erwärmt. Denn es kommt unterwegs ja immer noch weitere kalte Milch hinzu.
Gemolken wird im Karussell
Morgens um halb neun fährt Bruno Hammer, Fahrer der Spedition Matthias Weidner aus Gauaschach, pünktlich in den Aussiedlerhof von Bruno Adrio. Dessen knapp hundert Milchkühe haben in zwei Tagen den 4 000-Liter-Tank schon gut gefüllt.
Allerdings macht sich die Hitze bei der Milchmenge durchaus bemerkbar. In zwei Tagen geben die 100 Kühe etwa 150 Liter weniger Milch als sonst. Ein Stall in offener Bauweise, Karussell-Melkanlage und die ausgeklügelte Elektronik sind das Modernste, was es zurzeit in der Landwirtschaft gibt. Adrios neuer Hof ist erst wenige Monate alt.
Wenn Hammer seinen Lastwagen abstellt, nimmt er zuerst das Datenkabel der Bordelektronik zur Hand. An dessen Ende befindet sich ein Barcode-Lesekopf, den er an eine an der Stallwand montierte Gegenstelle hält. Im Nu sind alle Daten des Hofes Adrio in die Erfassungselektronik des Sammelwagens übertragen. Erst dann wird der dicke Schlauch an den Milchtank des Hofes angeflanscht. Ein Hebel wird umgelegt und schon schlürft der Wagen die 4000 Liter in sich hinein.
Ein Job mit geregelter Arbeitszeit
Da bleiben Fahrer Hammer nur runde zehn Minuten für einen kleinen Plausch mit dem Landwirt. Zufrieden äußert sich der Fahrer bei einem Schluck Kaffee aus der Thermoskanne über seinen Job. Er schätzt seine geregelte Arbeitszeit. "Das ist besser als die ganze Woche über mit dem Lkw auf Auslandstour", sagt Hammer. Täglich fahre er seine zwei Touren durch den Altlandkreis Hammelburg und habe Freude an seinem stressfreien Beruf.
"Es ist ein wenig vergleichbar mit Heizölfahren", meint Hammer. Nur dass er nichts abliefere sondern einsammle. Und dann komme freilich noch das weite Gebiet der Hygiene hinzu, die im Milchgeschäft unbedingt zu beachten ist.
In regelmäßigen Zeitabständen muss der Sammelfahrer Proben von der eingesammelten Milch ziehen. "Damit alles nachvollziehbar ist", so der Sammelfahrer. Die Befähigung zum Probenziehen und zur Einhaltung der Hygienevorschriften erlangte Hammer durch Fortbildung beim Milchprüfring, einer unabhängigen Institution, die dem TÜV vergleichbar ist.
Die Bordelektronik zeigt an, dass Adrios Tank leer gepumpt ist. Hammer verriegelt den Tank wieder und zieht den Schlauch ab. Daraufhin läuft ein vollautomatisches Reinigungsprogramm ab, das den gesamten Milchtank des Landwirtes reinigt. "Früher musste so was in stundenlanger unbequemer Handarbeit erledigt werden", sagt Adrio und ist stolz auf seine moderne Technik.
Aber auch beim Milchsammelauto läuft alles in höchstem Maße hygienisch ab. Es kann nicht passieren, dass durch den Absaugvorgang Keime von Hof zu Hof verschleppt werden.
Mit rund 150 000 Euro ähnlich teuer wie ein Löschfahrzeug der Feuerwehr, sei so ein Sammelauto ein hoch sensibles Fahrzeug mit viel Elektronik, bestätigt Fritz Baumann, Geschäftsführer des Milchwerkes Fränkische Rhön. Der Fahrer sei zugleich auch ein bisschen Wirt, meint der Milchwerk-Chef hinsichtlich seiner Sorgfaltspflichten im Umgang mit dem Lebensmittel Milch.
Inzwischen ist Hammer in den Ort hinunter gefahren. An der Durchfahrtsstraße steht ein fahrbarer Behälter mit 40 Litern Milch. Auch dieser Milchwagen trägt die Barcodeinformation, die der Sammler per Datenleitung abliest. Schnell hat das Saugrohr die 40 Liter Milch geschlürft. Und weiter geht die Fahrt zum Hof Kühnlein.
Überwachung aus dem Weltall
"Demnächst soll es per GPS die totale Überwachung aus dem Weltall geben", weiß Hammer zu berichten. Dann gehe das Sammelgeschäft noch schneller als jetzt voran und Fehler bei der Datenerfassung seien nahezu ausgeschlossen. Die Barcodeleitung könne man sich ersparen. Das hat aber auch Nachteile: Die Zeit für ein gemütliches Schwätzchen mit den Bauern schrumpft dann vermutlich noch weiter. Von all dem ahnen aber die meisten Verbraucher nichts, wenn er beim Einkauf in das Kühlregal greift und sich Milch, Sahne oder Fruchtquark holt.