Wer seinen ersten Flugschein früher als die Fahrerlaubnis fürs Auto hat, mit 17 Jahren nämlich, für den scheint sehr früh klar zu sein, wohin die Reise gehen soll. „Ich wollte immer Verkehrspilot werden“, sagt denn auch Thomas Hohn, inzwischen 47 Jahre alt. Verkehrspilot zu sein, das heißt, die Airline Transport Pilot Licence (ATPL) zu haben, die Lizenz für das Fliegen von Passagierflugzeugen. Bis es für den gebürtigen Hammelburger so weit war, brauchte es aber einige Umwege. Doch auch Umwege führen zum Ziel. Man darf es nur nicht aus den Augen verlieren.
„Meine Bewerbung nach der Mittleren Reife bei der Lufthansa wurde abgewiesen“, erinnert sich Hohn. „Also blieb mir nur der Weg, die Ausbildung an einer privaten Flugschule zu machen. Zunächst konnte ich mir das finanziell aber gar nicht leisten.“ Der Hammelburger Hobbypilot lernte deshalb Radio- und Fernsehtechniker, machte das Fachabitur nach, verdiente sich Geld mit allerlei Nebenjobs und studierte Elektrotechnik. Das Studium schloss er als Diplom-Ingenieur ab. Als es auch noch eine unterstützende Finanzspritze eines freundlichen Verwandten gab, konnte Hohn seinen Traum an der Flugschule in Nürnberg verwirklichen. Dann ging es schnell: Wegen seiner langjährigen Erfahrung und seines Fachwissens absolvierte Hohn die zweijährige Ausbildung in der Hälfte der Zeit. „Mit 30 hatte ich dann die ATPL endlich in der Tasche.“ Am Ziel war er aber immer noch nicht. „Hat man eine Stelle bei einer Fluggesellschaft bekommen, muss man eine spezielle Ausbildung für deren eigene Flugzeuge machen. Denn jedes Flugzeug ist anders. In einem Simulator werden alle Situationen durchgespielt. Jeder Handgriff muss sitzen. Erst dann darf man tatsächlich eigenverantwortlich ein Passagierflugzeug steuern.“
Hohn strahlt Zufriedenheit aus, während er von seinem Job plaudert. Seit Januar 2000 arbeitet er als einer von mehreren Hundert Piloten bei tuifly. „12 000 PS zu steuern, das ist ein geiles Gefühl.“ Vom Flughafen Frankfurt aus fliegt Hohn mit einer Boeing 737-800 meist südeuropäische Touristengebiete an. Seine weitesten Flugrouten in den Süden sind Ägypten und Dubai. Oder es geht in den hohen Norden nach Skandinavien. „Ich habe zu Hause immer zwei gepackte Koffer. Einen mit warmer Kleidung, einen mit Sommerklamotten.“ Zudem haben auch Piloten Bereitschaftsdienst, müssen mal rasch für einen Kollegen einspringen. „So ein Leben auf ständig gepackten Koffern muss man halt mögen.“ Er mag es, kein Zweifel.
Hat Hohn im Cockpit Platz genommen, „gibt es für mich nur noch totale Konzentration“. Die Start- und Landephasen sind die wichtigsten und verlangen von den Piloten höchstes Verantwortungsbewusstsein. „Wir sind Teil eines komplexen Systems, das nicht aus dem Ruder geraten darf.“ Der zweifache Vater steigt ins Cockpit wie andere ins Büro oder in die Fabrik gehen. „Und wie alle anderen Leute möchten auch Piloten nach der Arbeit wieder wohlbehalten heim zu ihren Familien und Freunden.“
Dass es beim Fliegen wie überall sonst im Leben Situationen gibt, die gefährlich werden können, verhehlt der 47-Jährige nicht. „Aber wir Piloten verstehen unseren Job und gehen keinerlei Risiko ein.“ Hohn erinnert sich an einen Vorfall, als technische Probleme einen Start lange verzögerten und ein Passagier ungehalten wurde. „Er wollte mir tatsächlich befehlen zu starten, mit der Begründung, er sei Vielflieger und wolle jetzt endlich los.“ Aber, lacht der Hammelburger verschmitzt, er sei ja schließlich auch Vielflieger. „Und in dieser Situation war ich entschlossen, eben nicht loszufliegen.“
Persönliche Kontakte zwischen Piloten und Passagieren kommen jedoch seit den Attentaten auf die Zwillingstürme in New York praktisch nicht mehr vor. „Vor 9/11 war die Tür zum Cockpit immer offen. Damit konnte man auch eine Vertrauensbasis schaffen, etwa zu Leuten mit Flugangst.“ Und viele Väter hätten ihre Kinder vorgeschoben so nach dem Motto: Sag doch mal dem Piloten Guten Tag! „Dabei waren doch die Väter viel neugieriger auf die ganze Technik als die Kinder“, sagt Hohn und lächelt. Im nächsten Moment schauen seine Augen ernst. „Mittlerweile ist die Tür zum Cockpit während des Fluges dicht. Für uns Piloten war es vor 9/11 undenkbar, dass jemand ein Flugzeug als Waffe missbraucht. Diese Anschläge haben die Fliegerei komplett verändert. Das ist wirklich sehr schade.“
Hohns Faszination fürs Fliegen an sich ist dennoch ungebrochen. Nicht nur beruflich im Cockpit der Boeing, wo dem Hobbyfotografen immer wieder fantastische Aufnahmen von Wetterphänomen gelingen. Sondern auch in seiner Freizeit, wenn er in seine Piper PA-28 Cherokee steigt und seine Runden beispielsweise wieder einmal über dem heimischen Landkreis Bad Kissingen dreht. Hosenbodengefühl nennt er das. „Das Fliegen in einem kleinen Motorflugzeug ist viel intensiver als in einer Passagiermaschine. Das sind echte Glückshormonschübe.“
Also hat Reinhard Mey doch recht, wenn er in seiner Hymne an die Fliegerei von der grenzenlosen Freiheit über den Wolken schwärmt? Klar doch, nickt der 47-jährige Pilot. „Von oben betrachtet ist tatsächlich alles, was hier unten groß und wichtig erscheint, plötzlich nichtig und klein.“ Das Gefühl, über alles hinwegfliegen zu können, sei immer wieder unbeschreiblich. „Und jedes Mal denke ich mir, wie schön unsere Welt doch ist.“