Michael Sell befand sich noch auf der Rückfahrt von dem Gespräch, das Bischof Friedhelm Hofmann umgehend anberaumt hatte, nachdem er unterrichtet worden war, dass der Hammelburger Stadtpfarrer Vater geworden sei (wir berichteten).
Manchem Gläubigen bleibt die Stimme weg, als er Geist am Altar erblickt. Die drei Strophen von „Alles meinem Gott zu Ehren“ singen viele nicht mit. Pastoralreferent Malte Krapf begrüßt den Personalreferenten der Diözese herzlich, der nach dem Eröffnungskreuzzeichen verkündet, dass Pfarrer Sell mit seinem Bekenntnis zu Frau und Kind vom Bischof nach geltendem Kirchenrecht suspendiert worden sei. „Alle und auch ich bedauern sein Ausscheiden aus dem Dienst“, sagt Geist.
Dann beginnt er mit theologischen Ausführungen zum Zölibat. Nach rund sieben Minuten steht der erste Kirchenbesucher demonstrativ auf und verlässt das Gotteshaus. Unbeirrt setzt Geist seine Ansprache fort. Immer mehr Menschen stehen auf und kehren dem Priester den Rücken zu. Ein unruhiges Raunen geht durchs Kirchenschiff und mutig erhebt sich eine Hammelburgerin.
Mit fester Stimme spricht sie von der Betroffenheit unter den Hammelburgern, sagt, dass viele jetzt nicht in der Lage seien, einen Gottesdienst zu feiern. „Geben Sie uns die Chance, mit Ihnen einen Dialog zu führen.“ Zustimmender Beifall brandet auf. Eine weitere Kirchenbesucherin spricht sich den Frust über das Zölibat von der Seele. „Wir akzeptieren das nicht mehr, wir wollen das nicht mehr. Warum verlangen Sie das einem Priester ab?“
Geist reagiert souverän. Er fragt das Kirchenvolk, ob es vor der Diskussion erst den Gottesdienst feiern wolle. „Wir wollten mit Michael Sell eine Messe feiern“, ist die Antwort. In diesem Moment befindet sich Sell bereits in der Sakristei. Er folgt nicht der mehrmaligen Einladung von Geist einzutreten. „Die Emotionen hätten sich überschlagen“, sagt Sell im Nachhinein. Er verfolgt die Diskussion als Zuhörer in der Sakristei.
Auf die Frage, wie viele Austritte die Kirche noch hinnehmen will, bis sie an den Gesetzen etwas ändert, bekennt Geist: „Wir haben einen Reformstau.“ Allein Veränderungen im Zusammenhang mit dem Zölibat seien nicht das Hauptanliegen. „Vielleicht muss die Situation noch strittiger werden, bis die Oberen umdenken“, räumt er ein.
Neben weiteren emotionalen Bekenntnissen zu Michael Sell, die stets mit intensivem Beifall bedacht werden, brandet Kritik am Bischof auf, an der Haltung der Kirche gegenüber Frauen und immer wieder am Zölibat. „Dass Michael Sell der Abschlussgottesdienst verwehrt wurde, ist unchristlich und unmenschlich“, sagt eine Kirchenbesucherin. „Wir haben nach geltendem Kirchenrecht entschieden“, erklärt Geist.
„Wo kein Kläger, da kein Richter“, weist der Domkapitular den Vorwurf zurück, dass die Kirche akzeptiere, wenn Priester heimlich Verhältnisse hätten. Beim Zölibat handle es sich um ein Versprechen, um ein erprobtes Lebensmodell für Priester. „Wir sind doch nicht nur alte vergreiste Männer, die am Zölibat festhalten“, verteidigt er das Kirchenrecht.
Einige Kirchenbesucher kamen nicht wegen Pfarrer Sell, sie wollten einfach einen Gottesdienst besuchen. Ihnen passt die Diskussion nicht, sie fühlen sich vernachlässigt, verlassen die Gesprächsrunde. Nach gut einer Stunde ziehen die Ministranten ab, denn in der Kirche wird es langsam bitter kalt. In der Sakristei stoßen sie auf Michael Sell. Sie umarmen ihren Pfarrer, Tränen fließen. Nach knapp eineinhalb Stunden beendet Pfarrgemeinderatsvorsitzender Reinhard Beichel die Diskussion.
Draußen vor der Kirche drängen sich die Menschen um Pfarrer Michael Sell. Herzlich nimmt er jeden in den Arm. Viele weinen.
„Das Gespräch mit dem Bischof ist gut verlaufen“, erzählt er. Der Bischof habe ihm gedankt für die „ausgezeichnete Arbeit“, die er in Hammelburg geleistet habe. „Er war selbst betroffen und hat mir und meiner Familie alles Gute gewünscht und mich gebeten, mich gelegentlich zu melden.“ Eine ältere Frau weint, umarmt ihn und sagt: „So einen Pfarrer wie dich bekommen wir nie wieder.“