Darf eine Schule Videoüberwachung einsetzen? Wenn ja, wofür? Und wie viel davon ist mit dem Datenschutz in Einklang zu bringen? Solche Fragen stellen sich zurzeit am Kissinger Jack-Steinberger-Gymnasium. Die zeitweilige Praxis, Aufnahmen von Videokameras aus Mensa, Fahrradkeller und Oberstufencafé auf einen Bildschirm im Eingangsbereich zu übertragen, ist dort zwar auf schulinterne Einwände hin eingestellt worden. Grundsätzlich will die Schulleitung aber an Videoüberwachung festhalten.
Videoüberwachung gebe es an der Schule schon seit über 20 Jahren, Jahren, rechtfertigte Schulleiter Frank Kubitza das auf Anfrage. Eingeführt worden sei sie im Fahrradkeller, weil es dort immer wieder zu Diebstählen und Schäden kam. Mit Einrichtung der Kamera seien solche Vorfälle ausgeblieben.
Als die Schule saniert wurde, hätten die Räder ohne Überwachung draußen abgestellt werden müssen, erzählt Kubitza. Und prompt sei ein hochwertiges Rad gestohlen worden. Jetzt würden die Fahrradabstellmöglichkeiten überwacht. Die Aufnahmen würden aufgezeichnet und nur ausgewertet, wenn etwas passiert sei. Erledigt werde das auch nur von ausgewählten Personen.
Im Eingangsbereich gebe es ebenfalls Überwachung. Es sei immer wieder zu Diebstählen gekommen, sagt Kubitza. In die Schulküche sei sogar eingebrochen worden.
Die Videoüberwachung des Oberstufencafés erklärt er mit der besonderen Problematik des Bereichs. Der sei abgelegen. Man könne da nicht dauernd Lehrer patrouillieren lassen. So schlage die Überwachung zwei Fliegen mit einer Klappe. Einmal erfasse sie einen Eingang, durch den wegen Fluchttüren dort „jeder leicht rein kann“. Außerdem könne er die Schüler nicht sich selbst überlassen. Aufsicht müsse „gewährleistet sein“.
Übertragung ins Foyer eingestellt
Als Stimmen aufkamen, welche die Übertragung der Bilder ins Foyer ablehnten, habe er die Übertragung sofort abgestellt, berichtet Kubitza. Die jetzige Lösung dagegen sei „total unbedenklich“. Das hätten der Datenschutzbeauftragte der Schule und des Landratsamtes bestätigt.
Ob Bayerns Landesbeauftragter für den Datenschutz, Thomas Petri, das genauso sieht, ist fraglich. Nach dessen Angaben sind die Vorgaben des Datenschutzgesetzes sowie die Durchführungsverordnung zum Datenschutz in der Schule ziemlich eng. „Eine Videoaufzeichnung auf dem Schulgelände darf im Rahmen des Erforderlichen allein zum Schutz von Leben, Gesundheit, Freiheit und Eigentum von Privatpersonen oder zum Schutz der schulischen Einrichtung vor Sachbeschädigung und Diebstahl erfolgen“, schreibt er. Mit dem Verweis auf den „Rahmen des Erforderlichen“ ist letztlich der Einzelfall gemeint. Automatische und anlassunabhängige Überwachung ist davon nicht gedeckt.
Das, so Petri weiter, sei zudem nicht die einzige Einschränkung. Die Videoaufzeichnung dürfe auch „nur Personen betreffen, die sich im Eingangsbereich der Schule aufhalten oder die sich außerhalb von schulischen beziehungsweise von der Schule zugelassenen Veranstaltungen nachts, an Feiertagen, an Wochenenden oder in den Ferien auf dem Schulgelände befinden“.
Kameras, ja sogar Kameraattrappen, stellten „einen intensiven Eingriff in das Persönlichkeitsrecht“ von Schülern und Lehrern dar. Ihre Installation sei „ein nicht unproblematisches Signal an die Schulgemeinschaft sowie die Öffentlichkeit“. Daher müssten Schulen wegen ihrer pädagogischen Verantwortung „ein hohes Maß an Sensibilität“ zeigen.
Petri tritt auch dem Irrglauben entgegen, es bestehe quasi ein Zwang zur Videoaufzeichnung an Schulen, nur weil dafür in Bayern eine Durchführungsverordnung vorliegt. Es komme im Gegenteil immer auf den konkreten Einzelfall an. Selbst die generelle Überwachung des Eingangsbereichs dürfte aus seiner Sicht „häufig nicht notwendig und damit unzulässig sein“.
Enge Grenzen
Sehr aufschlussreich sind Petris Aussagen über einen konkreten Fall an einer bayerischen Schule. Dort sei die Knabentoilette überwacht worden, die vorher mehrfach absichtlich verstopft, dann benutzt und anschließend gespült worden war. Die Kamera, beziehungsweise eine laut Petri rechtlich genauso zu beurteilende Attrappe sei auch wegen seines Eingreifens wieder entfernt worden. Eine Schule müsse angesichts der engen Grenzen, die der Datenschutz der Videoüberwachung setzt, sorgfältig prüfen, ob nicht bessere Aufsicht oder andere Überwachung und vor allem pädagogische Mittel ausreichen, um das Problem zu lösen.
Dieser Einzelfall hatte Folgen. Nach Petris Beschreibung gab es in der Region weitere Schulen mit nicht notwendiger Videoüberwachung. Er habe die Angelegenheit vom Kulturministerium überprüfen lassen. Das habe schließlich berichtet, „Unregelmäßigkeiten“ seien behoben worden. Es gebe in dem betroffenen Landkreis „keine unzulässigen Videoüberwachungen mehr“.
Frank Kubitza überzeugt das nicht. Die Position des Landesdatenschutzbeauftragten sei „eine Meinungsäußerung“, sagt er: „Der kann ja nicht Recht setzen.“ Wenn sich aber herausstelle, dass die Videoüberwachung datenschutzrechtlich nicht möglich sei, sei er sofort bereit, sie abzuschalten. Doch dann sei auch „das Oberstufencafé weg“. Den Raum könne er einfach nicht unbeaufsichtigt lassen.
Es sei nicht einfach, eine so große Organisation wie das Jack-Steinberger-Gymnasium so zu führen, dass sie nach zivilisierten Regeln funktioniere, erklärt Kubitza. 97 bis 98 Prozent der Schüler sähen ein, dass sie Regeln einhalten müssten. Es gehe um die „zwei bis drei Prozent, die Sie pädagogisch nicht erreichen und die großen Schaden anrichten“.
Vom Elternbeirat war keine Stellungnahme zu erhalten. Dennoch teilt Vorsitzender Marco Vedder offenbar Kubitzas Position. „Diese Frage halten wir für eine schulinterne Angelegenheit“, sagte er. „Wir haben eine Lösung erarbeitet, die jetzt umgesetzt wird,“ erklärte Vedder, ohne aber die Lösung zu beschreiben.
Er bedauere, so der Elternbeiratsvorsitzende, dass die Sache nach außen getragen worden sei. Er wolle „nachdrücklich bitten, von Berichterstattung abzusehen“. Denn das, meint Vedder, „schadet dem Ruf“.