Seit beinahe fünf Wochen ist sie in ihrem Zimmer – und kommt so gut wie gar nicht mehr hinaus. Dennoch ist Inge Bröhl am Telefon guter Dinge. „Mir fehlt ja nichts“, sagt die 98-Jährige. „Das Leben wird schon weitergehen.“
Am 25. Januar ist die erste Mitarbeiterin positiv auf Corona getestet worden. Von da an war nichts mehr wie früher im Seniorenheim St. Elisabeth in Kitzingen.
14 Menschen sind seither verstorben, zwei Drittel der 68 Bewohner waren zwischenzeitlich Corona-positiv. Die Vorsitzende des Heimbeirates ebenfalls. „Ich habe Corona gut überstanden“, sagt sie. „Ohne irgendwelche Schmerzen.“
Ein Arzt habe sie erst neulich wieder untersucht und dabei festgestellt, dass sie „unverschämt jung aussehe“, berichtet die 98-Jährige und muss kurz lachen.
Inge Bröhl, Jahrgang 1923, will die Situation nicht schön reden. Aber sie hat schon ganz andere Dinge erlebt als Corona. Im Zweiten Weltkrieg war sie erst Nachrichtenhelferin bei der Luftwaffe, dann beim Funk. Als Kitzingen bombardiert wurde, saß sie in einem Bunker bei Neustadt/Aisch. „Und keiner hat gewusst, ob die Lieben daheim noch am Leben sind.“ Mit dem Fahrrad ist ein junger Soldat losgeschickt worden, um nachzusehen. „Das war damals alles viel schlimmer“, erzählt sie. „So viele Tote, so viele Verletzte.“
Die letzten Wochen haben sie natürlich auch bewegt – und teilweise irritiert. Die Pfleger, die nur noch in Ganzkörper-Anzügen, mit Handschuhen und Schutzbrillen ins Zimmer kommen. „Die sind alle so vermummt“, sagt sie. „Die erkennt man ja gar nicht mehr.“
Die Unruhe im Haus, das ständige Umräumen, hat sie natürlich auch mitbekommen. Inge Bröhl hatte Glück im Unglück, musste nicht umziehen. Ihr Zimmer liegt nahe an einem Pandemiebereich und wurde darin integriert, als sie selbst positiv getestet wurde.
Dass so viele Bewohner in den letzten Wochen verstorben sind, hat sie gar nicht mitbekommen. „Man hat ja keinen Kontakt mehr“, sagt sie.
Gemeinsam werden nur noch die Mahlzeiten eingenommen. Aber da sitzt man am Tisch weit auseinander. Und die Pfleger, die hätten eh schon genug zu tun.
„Früher“, sagt Inge Bröhl und muss jetzt doch mal kurz seufzen, „haben wir hier alles gemeinsam gemacht.“ Der Kontakt zur Außenwelt geht ihr nach fünf Wochen am meisten ab. Immerhin: Mit ihrem Sohn hat sie regelmäßig telefonischen Kontakt. Aber sonst? „Ich habe so ein Gerät, wo mir Geschichten vorgelesen werden“, erzählt sie. Inge Bröhl ist fast blind, dank einer starken Lupe kann sie wenigstens ein bisschen lesen. „Aber nicht sehr lange.“
Das Leben in ihrem Zimmer sei sehr ruhig, berichtet sie. „Ich sitze hier und warte, dass ich wieder mal raus darf.“ Immerhin liege ihr Zimmer in Richtung Süden. „Also mache ich tagsüber das Fenster auf und lasse mich von der Sonne bescheinen“, erzählt sie.
Geduld müsse man haben, meint die 98-Jährige. Und dürfe die Hoffnung nicht verlieren. Manchmal, so berichtet sie zum Abschluss des Gesprächs, gehe sie abends ins Bett mit dem Gedanken: Hoffentlich wachst Du morgen wieder auf.