Am 28. Juni hat sich das Attentat auf den österreichischen Thronfolger Erzherzog Franz Ferdinand in Sarajevo zum 100. Mal gejährt. Der Vater des Kitzingers Bruno Walter, Karl Walter, erlebte die Ereignisse in Bosnien-Herzegowina, die der Anlass zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs werden sollten, hautnah mit. Am Tag des Attentats war er in Sarajevo, einen Tag zuvor war er dem Thronfolger zufälligerweise sogar noch begegnet. Der 89-jährige Bruno Walter erinnert sich an Erzählungen seines Vaters und hat obendrein dessen Tagebuch.
Walter stammte aus dem zu Österreich-Ungarn gehörenden Sudetenland, aus Schimberg im Kreis Komotau. Als junger böhmischer Soldat war Karl Walter, Jahrgang 1892, damals mit seinem II. Komotauer Bataillon etwa 60 Kilometer von Sarajevo entfernt in Kalinovik stationiert. Zwei Kilometer außerhalb der Stadt befand sich ein Truppenlager, bestehend aus Steinbaracken und Zelten. Sohn Bruno erzählt, dass er mit seiner Familie sogar einmal dort und auch in Sarajevo war, um sich anzuschauen, wo sein Vater unmittelbar vor dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs stationiert war.
Am 27. Mai 1914 schrieb Walter auf einer Postkarte, die das Truppenlager in Kalinovik zeigt, nach Hause: „Am 15. Juni 1914 werden wir nach Sarajevo kommen.“ Zu diesem großen Manöver, an dem einige zigtausend Soldaten teilnahmen, hatte sich auch Thronfolger Franz Ferdinand als Generalinspekteur der Armee angesagt. Die Übungen, die nach Plan liefen, fanden in einem unwirtlichen Gebiet südwestlich von Sarajevo statt. Franz Ferdinand zeigte sich zufrieden mit der Verfassung seiner Truppe.
Der Thronfolger hatte in dem zehn Kilometer westlich von Sarajevo gelegenen Badeort Illidza in einem Hotel Quartier bezogen. Dort entspringen warme Schwefelquellen. Im Kurbereich mit der langen Pappelalle hatte Walter ein unverhofftes Erlebnis, das er nie mehr vergessen sollte: Einen Tag vor der Ermordung spazierte im Park von Illidza zwanglos der Thronfolger mit einigen Offizieren an den Kameraden vorbei. Freundlich erwiderte Franz Ferdinand den militärischen Gruß der erschrockenen einfachen Soldaten mit den Worten: „Meine braven 92er!“ Am weißen Kragenspiegel des 92. Infanterieregiments aus Komotau hatte der Thronfolger ihre Zugehörigkeit erkannt.
Am nächsten Tag, dem 28. Juni, werden der Erzherzog und seine Gemahlin in Sarajevo erschossen. Karl Walter ahnte, dass an die geplante Entlassung aus dem Militärdienst im Herbst 1914 nicht mehr zu denken war.
Zunächst, so erzählte Walter, wurden die Truppen in Alarmbereitschaft versetzt. In Sarajevo kam es durch dynastietreue Kroaten und bosnische Muslime aus Wut über den Anschlag zu schweren Ausschreitungen gegen Serben. Kroaten und Bosnier zogen mit Bildern des Kaisers und des Thronfolgers durch die Straßen, drangen in Häuser und Geschäfte von Serben ein, plünderten oder zerstörten die Einrichtung.
Feindliche Serben beschützt
Karl Walter und die anderen k.u.k.-Soldaten stellten nach Ausrufung des Standrechts die Ordnung wieder her. Die Soldaten der Donaumonarchie mussten die ihnen feindlich gesinnten Serben beschützen.
Bald begann für Walter und seine Kameraden vom 92. Infanterieregiment der Krieg. Die Soldaten aus Komotau wurden an die Grenze zu Serbien verlegt. Der Krieg begann für sie mit schweren und verlustreichen Kämpfen gegen Serbien. Später kämpfte Walter gegen die Italiener in den Dolomiten, bevor er Ende 1917 als Bergarbeiter zum Schachtbau aus dem Kriegsdienst entlassen wurde. Sohn Bruno hat vor Jahrzehnten gemeinsam mit dem Vater die Schauplätze von dessen Schlachten in den Dolomiten noch einmal besucht. Als Heimatvertriebener kam Karl Walter nach Oberfranken, wo er 1966 in Forchheim starb.