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KITZINGEN: Der tiefste Ton am mainfränkischen Glockenhimmel

KITZINGEN

Der tiefste Ton am mainfränkischen Glockenhimmel

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    Pfarrer Uwe Bernd Ahrens präsentiert Splitter der Vaterunser-Glocke aus dem Jahr 1962.
    Pfarrer Uwe Bernd Ahrens präsentiert Splitter der Vaterunser-Glocke aus dem Jahr 1962. Foto: Foto: n. Grötsch

    „Irgendwo muss es doch sein“, murmelt Pfarrer Uwe Bernd Ahrens und öffnet rasch den nächsten Schrank. Ordner um Ordner steht dort die Geschichte der evangelischen Kirchengemeinde aufgereiht. Dazwischen immer wieder kleine Kartons – und schließlich auch die kleine silberne Dose, die der Kitzinger Pfarrer gesucht hat. „Da müssen sie drin sein“, sagt er hoffnungsvoll – und tatsächlich. Im Inneren liegen drei Splitter. Es sind die Überbleibsel vom Sturz der sechs Tonnen schweren Vater-Unser-Glocke der evangelischen Stadtkirche im Jahr 1962. Und der Anfang einer spannenden Geschichte.

    „Ich halte es für ein Wunder des Herrn, dass damals niemand zu Schaden gekommen ist.“

    Uwe Bernd Ahrens, evangelischer Pfarrer

    Ein aktuelles Buch über Bayerns klangvollste Kirchengeläute hat das damalige Ereignis wieder in Erinnerung gerufen. Als eine von 35 Kirchen hat es Kitzingen in die enge Auswahl geschafft – eine große Leistung, wenn man bedenkt, dass Zehntausende Glocken von den Türmen des Freistaats schellen.

    Das fünfstimmige Geläut in Kitzingen wird von der mehr als sechs Tonnen schweren Vaterunser-Glocke angeführt, der tontiefsten Glocke Mainfrankens. „Die im Würzburger Dom ist einen halben Ton höher und demnach auch ein Stück leichter“, erzählt Pfarrer Ahrens nicht ohne ein bisschen Stolz. Als die Glocke 1962 montiert werden sollte, kam es zu einem schrecklichen Unglück: Das tonnenschwere Geläut stürzte vor Tausenden Zuschauern in die Tiefe. „Ich halte es für ein Wunder des Herrn, dass damals niemand zu Schaden gekommen ist“, sagt Ahrens. Immer wieder wird er auch heute noch von Gemeindemitgliedern angesprochen, die sich an diesen Moment erinnern können. Ein Bürger hat der Kirche nach seinem Tod sogar drei Glockensplitter vermacht, die er einst nach dem Absturz aufgesammelt hatte.

    Weil die Glocke in einen Garten fiel, nahm sie damals zwar keinen großen Schaden; ein Sprung und einige Absplitterungen mussten dennoch nachgegossen werden. „Als die Glocke das zweite Mal hochgezogen wurde, geschah dies ganz ohne Tamtam“, erzählt Ahrens. Leute mit besonders ausgeprägtem Gehör würden heute noch behaupten, dass man die Reparatur am Klang erkennen könne. „Ich scheine kein gutes zu haben“, schmunzelt der Pfarrer.

    Zu hören bekommt man die Glocken der Kitzinger Stadtkirche alle 15 Minuten – so will es die Läuteordnung, die genau vorgibt, wann und wie lange welche Glocke geschlagen wird. Heutzutage geht das automatisch. Drei Elektromotoren bewegen und bremsen die große Vaterunser-Glocke, die früher vier Glockenseile hatte. „Bei den schmächtigen Konfirmanden heutzutage müssten wir da zehn Stück hinhängen, damit sie sie ziehen könnten“, bemerkt Ahrens mit einem Augenzwinkern.

    Die beiden ältesten Glocken der Stadtkirche stammen übrigens aus dem Jahr 1484. Zwei weitere Glocken aus dem Jahr 1754 hingen einst in der St. Michaelskirche, die in Etwashausen stand und heute nur noch an der Sonnenuhr als ehemaliges Gotteshaus zu erkennen ist. Die Vaterunser-Glocke ersetzt seit 1962 die fünfte Glocke, die 1912 vom Ehepaar Deuster gestiftet worden war, 1939 aber als Rohstoff rekrutiert und zu Kanonen eingeschmolzen wurde.

    Das Buch über die bayerischen Glocken wird jedoch nicht nur Lokalpatrioten erfreuen. Im ersten Teil geht es um die umfangreiche Kulturgeschichte der Glocke. So erfährt der Leser, dass deren Ursprung wahrscheinlich in China liegt und dass Glocken in Mitteleuropa spätestens seit dem 6. Jahrhundert in Gebrauch sind. Neben der Geschichte der Glocke geht es außerdem um deren Klang und deren Herstellung. Glockenliebhaber kommen sicherlich auf ihre Kosten. Alle anderen werden mit Erstaunen feststellen, wie viele interessante Aspekte dieses Thema birgt – und vielleicht beim nächsten Zwölfuhrläuten kurz innehalten und dem Klang nachspüren.

    Der reich bebilderte Band zur Kulturgeschichte der Glocke ist aktuell im Verlag Friedrich Pustet erschienen: „Glockenland. Bayerns klangvollste Kirchengeläute“. BR-Redakteur Georg Impler hat die insgesamt 35 Stück in enger Zusammenarbeit mit den Glockenbeauftragten der Bayerischen Diözesen und der Evangelischen Kirche ausgewählt. 232 Seiten plus Audio-CD; ISBN 978-3-7917-2649-6; 39,95 Euro.

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