Es waren unruhige Zeiten bei Fehrer in Kitzingen. Und am Ende des Jahres weiß Betriebsratsvorsitzender Holger Lenz nicht so recht, ob er von einem der besten oder einem der schwierigsten Jahre reden soll.
Ende gut, alles gut. Kann man das Jahr bei Fehrer so umschreiben?
Inhaltlich war es sicher das schwierigste Jahr in meiner Zeit als Betriebsratsvorsitzender. Das habe ich zwar in den letzten vier, fünf Jahren auch schon gesagt, aber heuer hatten wir tatsächlich eine greifbare Angst vor der Zukunft.
Wie eng war es denn?
Wir standen zweimal kurz vor der Insolvenz.
Wie bitte?
Ich werde das Wochenende nie vergessen. Der Antrag auf Insolvenz war schon formuliert, das Amtsgericht wusste Bescheid, dass wir am Montag kommen würden. Am Samstagabend hat Moritz Fehrer doch noch dem Übernahmevertrag zugestimmt. Die AUNDE-Gruppe wollte Fehrer ja zu 100 Prozent übernehmen. So knapp war es.
Vor fast zwei Jahren war es auch knapp. Da hieß es, dass bis zu 500 Leute entlassen werden müssten. Wie ist aktuell der Stand der Dinge?
Wir haben zum Ende des Jahres 230 Mitarbeiter im Werk, also fast doppelt so viel wie damals in der Mindeststandortsicherung vereinbart war. Im Oktober haben wir 25 Leiharbeitnehmer eingestellt, 15 davon unbefristet. In Wiesentheid sollen im Januar noch einmal Leiharbeiter eingestellt werden. Ein Personalabbau ist derzeit wirklich nicht in Sicht.
Was ist denn dann in Sichtweite? Welche Ziele hat Rolf Königs, Geschäftsführer der AUNDE-Gruppe, bei der Betriebsversammlung Mitte Dezember ausgegeben?
Die Prognose für Kitzingen schaut gut aus. Ab 2015 wird wieder investiert. Ich glaube, seit zehn Jahren ist das erste Mal wieder von Investitionen die Rede.
Was soll denn in Kitzingen entstehen?
Eine neue Produktionstechnologie. Die Zielsetzung lautet: Kitzingen wird zum Technologiestandort ausgebaut. Ähnlich wie es vor vielen Jahren bei Leoni war.
Ist der Vergleich mit Leoni nicht etwas übertrieben?
Das wird die Zukunft zeigen. Vor 30 Jahren ist bei Leoni in Kitzingen auch noch voll produziert worden, jetzt finden dort die Entwicklung und der Protoypenbau statt. Und die Produktion ist über die Welt verteilt. Leoni ist Technologieführer geworden. Das kann bei Fehrer auch passieren. Wenn man hier auch Ideen entwickeln darf.
Was passiert denn mit den alten Anlagen?
Die Zeit der Großanlagen in Kitzingen wird wohl vorbei sein. Stattdessen bekommen wir hochwertige Kleinserienaufträge, beispielsweise für Bentley oder Rolls Royce, für die wir ja jetzt schon produzieren. Gleichzeitig soll die Entwicklung von neuen Technologien und Produktionsverfahren vorangetrieben werden. Von Kitzingen aus werden die Ergebnisse dieser Arbeit in die anderen Standorte ausgerollt.
Wie viel Geld will die Aunde-Gruppe in Kitzingen investieren?
Zirka fünf Millionen Euro.
Und wann geht es los?
Wir stecken schon mitten drin in der Planungsphase. Geplant ist die Fertigstellung der neuen Anlage im dritten Quartal 2015. Dann wollen wir damit in Produktion gehen.
Was passiert mit der alten Technologie und den Aufträgen?
Die große Kaltschaumanlage wird nach Tschechien verlagert. Das tut natürlich weh. Ich gehöre, wie einige Fachleute im Betrieb, zu denen, die an Bewährtem festhalten wollen. Aber wir bekommen dafür auch eine neue und wie ich meine große Chance.
Damit verändern sich doch auch die Arbeitsplätze?
Kurzfristig nicht, wir müssen ja die Restaufträge noch erfüllen. Aber klar: Mittelfristig werden sich die Anforderungen mit der neuen Technik verändern.
Wie sieht diese neue Technologie aus? Was verändert sich im Produktionsablauf?
Die Herstellungstechnologie wird moderner. Wir werden künftig auf einer linearen Anlage fertigen. Damit können wir individueller produzieren, die Vielfalt erhöhen.
Wird das von den Automobilherstellern verlangt?
Klar, gerade von den höherwertigen Marken.
Fehrer war immer stolz auf seine Entwicklungsarbeit. Die ist in den letzten Jahren vernachlässigt worden.
Und das war ein großer Fehler. In den letzten zwei Jahren ist kein Geld in diese Abteilung geflossen, die Kollegen waren blockiert. Dabei ist das eine Forderung der Kunden: Fehrer soll wieder zu einem Know-How-Führer in Sachen Formpolster für Fahrzeugsitze werden.
Und das will der neue Besitzer, Rolf Königs, wirklich erreichen?
So hat er es in der Betriebsversammlung gesagt. Die konkrete Aussage von Tom Graf, der ja noch der amtierende Geschäftsführer ist, lautete: Der Standort Kitzingen wird Technologieführer. Rolf Königs hat das bestätigt.
Mit Tom Graf hatte zuletzt ein Mann bei Fehrer das Sagen, der als knallharter Sanierer gilt. Wie schätzen Sie seine Arbeit ein?
Am Ende des Tages wird man ihm bestätigen müssen, Fehrer in einen sicheren Hafen geführt zu haben. Und das war seine Aufgabe. Die Mittel und Wege während der zweieinhalb Jahre haben allerdings Narben in der Fehrer-Seele hinterlassen.
Wieso?
Er hat zum Beispiel die Berechtigung des Maschinen- und Formenbaus grundsätzlich in Frage gestellt, wollte diesen Bereich verlagern, beziehungsweise verkaufen. Das ist heute kein Thema mehr. Im Gegenteil, dieser Bereich ist gestärkt worden. Und er wollte vor allem das Produktionswerk Kitzingen schließen.
Wie lief die Zusammenarbeit zwischen Betriebsrat und Geschäftsführung in dieser Zeit?
Sehr aufreibend. Tom Graf ist unwahrscheinlich konsequent, aber nicht falsch. Er hält sich an das, was er sagt, aber es hat auch oft genug gefetzt. Viele seiner Ansichten und Vorgehensweisen kann ich auch heute nicht akzeptieren. Aber er hat sich stets an Abmachungen gehalten.
Für Außenstehende ist es bis heute nur schwer zu verstehen, wieso Fehrer überhaupt in eine solche Lage geraten konnte.
Da möchte ich noch einmal Tom Graf zitieren: Am allerwenigsten war es an den Arbeitnehmern gelegen, ursächlich waren vielmehr Managementfehler. Viele einzelne Faktoren haben letztendlich dazu geführt, dass wir in diese Krise geraten sind.
Nennen Sie doch mal den gröbsten Fehler.
Wir sind zu schnell an zu vielen Standorten gleichzeitig gewachsen. Wir waren in China und in den USA, haben dort neue Hallen gebaut, neue Maschinen eingesetzt, neues Personal eingestellt und neue Produktionsmethoden erprobt. Wir waren vor Ort einfach nicht gut genug vorbereitet. Und dann hat es die Zuliefererindustrie in Deutschland ganz allgemein schwer gehabt in den letzten Jahren. Ich denke, das wird sich mittelfristig ein wenig ändern.
Warum sollten die Automobilhersteller etwas ändern?
Zwischen 60 und 75 Prozent der Wertschöpfung eines Fahrzeugs werden von Zulieferern erwirtschaftet. Es wäre sinnvoll, diese Zulieferer zu pflegen. Ich hoffe, dass sich diese Einstellung auf kurz oder lang durchsetzen wird.
Mit dem Verkauf an die AUNDE-Gruppe ist Fehrer nun selbst Teil einer größeren Unternehmensgruppe, zu der ja auch Isringhausen gehört. Ist schon über die berühmten Synergie-Effekte gesprochen worden?
AUNDE, Isringhausen und Fehrer sollen selbstständig bleiben. Beim Mengeneinkauf kann ich mir Synergie-Effekte vorstellen. Wir haben ja teilweise die gleichen Kunden.
Und beim Personal?
Es gab bislang keine Aussagen über Personalveränderungen. Rolf Königs will sich persönlich einen Überblick verschaffen. Aber noch einmal: Von Personalabbau kann momentan überhaupt nicht die Rede sein. Eher das Gegenteil ist der Fall.
Sie sind richtig optimistisch!
Optimistisch ja, euphorisch nicht. Seit vielen Jahren können wir wieder einmal aufatmen, sind wieder finanziell unabhängig, müssen nicht Kredite aufnehmen und Zinsen zahlen. Wir haben Grund, optimistisch nach vorne zu blicken, weil wir jetzt auch wissen, was hier geplant ist.
Keine Zweifler im Betrieb?
Zweifel gibt es immer. Aber die Kollegen müssen konkret keine Angst mehr um ihren Arbeitsplatz haben. Die Aussagen und die Signale bei der Betriebsversammlung waren eindeutig positiv. Die zentrale Botschaft lautete: Hier in Kitzingen geht es weiter.
Fehrer und Aunde
Fehrer ist 1875 in Kitzingen gegründet worden und stellt Formpolster für Fahrzeugsitze, Systeme für den Fahrzeuginnenraum sowie Verkleidungs- und Strukturteile für Fahrzeuge her. Das Unternehmen beschäftigt rund 3900 Mitarbeiter in Deutschland, Tschechien, Ungarn, USA und China. Jahresumsatz 2013: über 433 Millionen Euro.
Mitarbeiter: Am Standort Kitzingen sind derzeit rund 230 Mitarbeiter in der Produktion tätig. Insgesamt zählt der Standort 950 Mitarbeiter.
Die Aunde-Gruppe ist 1899 gegründet worden und spezialisiert sich auf die Entwicklung und Produktion von Polsterstoffen und Textilien für die Automobilindustrie. Zusammen mit der Isringhausen-Gruppe verfügt das Unternehmen in 26 Ländern über 90 Produktionsstätten und 14 000 Mitarbeiter.