Mortaza Gholami (23) hat einen unbefristeten Arbeitsvertrag bei der Kitzinger Firma Drykorn Modevertriebs GmbH & Co. Aber er hat auch einen Ablehnungsbescheid für den Asylantrag und für den ersehnten Ausbildungsvertrag. Der als Sohn illegaler Flüchtlinge im Iran geborene Hazara – eine afghanische Minderheit – ist in Deutschland nur geduldet. Angesichts seines Aufenthaltsstatus muss er, trotz seiner Arbeit, – zumindest in Bayern – jederzeit damit rechnen, einen Abschiebungsbescheid zu bekommen.
Die ständige Unsicherheit und die Angst nagen an dem Muslim, der Steuern zahlt, sozialversichert ist und keinerlei Leistungen vom Staat bezieht. Wie sehr ihn die derzeitige Situation psychisch zermürbt, zeigte er erst im Oktober wieder, zum dritten Mal. 19 Tage musste die Firma auf ihn verzichten, weil er wegen akuter Suizidgefahr in einer psychiatrischen Klinik behandelt werden musste.
2015 nach Europa geflüchtet
Geflüchtet sei er 2015 nach Europa, erzählt der junge Mann in nahezu flüssigem Deutsch, weil er als Illegaler im Iran keinerlei Rechte und Zukunftschancen hatte. Das habe ihm das das Schicksal seines älteren Bruders gezeigt. Als dessen älteste Tochter ins schulpflichtige Alter kam, hätten die iranischen Behörden ihn vor die Wahl gestellt: Entweder in Syrien gegen den IS kämpfen oder nach Afghanistan ausgewiesen werden.
Im Juni, als diese Redaktion das erste Mal über ihn berichtete, hoffte Gholami noch, eine Ausbildung absolvieren und die sogenannte Drei-plus-Zwei-Regel nutzen zu können. Die hätte die Duldung für die Ausbildungsdauer und zwei weitere Jahre Arbeiten beim Ausbildungsbetrieb ermöglich. Drykorn, wo er seit 18 Monaten arbeitet, hätte ihm diesen Ausbildungsvertrag sofort geben.
Ein talentierter und engagierter Azubi
Mori, wie ihn seine Arbeitskollegen nennen, arbeitete schon vor seiner Flucht im Iran als Schneider, ohne Ausbildung. Was ihm fehle, seien spezifische Fachkenntnisse, vor allem wichtiges, deutsches Fachvokabular, sagt Gerrit Voss, kaufmännischer Geschäftsführer bei Drykorn. Einen deutschstämmigen Auszubildenden zu finden, der so geeignet und begeistert sei wie Mori, sei fast nicht möglich, erklärte Voss der Zentralen Ausländerbehörde in Schweinfurt im Antrag auf Genehmigung der Ausbildung. Personalsachbearbeiterin Silke Schulz berichtet: „Ohne Mori ist es schwierig. Kürzlich sollten 70 Hosen hier in Kitzingen geändert werden. Da er zu diesem Zeitpunkt gerade keine Arbeitserlaubnis hatte (diese muss bei Änderung des Aufenthaltsstatus ebenso wieder neu beantragt werden, Anmerkung der Redaktion), konnte dies nicht bei uns gemacht werden. Wir mussten die Hosen nach Lahr (Schwarzwald) zu unserer Tochterfirma schicken, damit die dortigen Schneider dies erledigen konnten.“ Dinge, die den Geschäftsbetrieb bei Drykorn ziemlich beeinträchtigen, so Schulz.
„Keine Fehlanreize für Firmen schaffen“
Der Antrag wurde trotzdem abgelehnt, und das aus dreierlei Gründen. Zum einen sei Gholami mit der Ablehnung des Asylantrags grundsätzlich ausreisepflichtig, was eine Berufsausbildung ausschließe. Zum anderen sei seine Identität nicht geklärt und eine Ausbildung angesichts seiner Vorkenntnisse nicht nötig, sondern „rechtsmissbräuchlich“. Eine Genehmigung würde für deutsche Betriebe nur den „Fehlanreiz schaffen“, die Notlage der von Abschiebung bedrohten Menschen auszunutzen. Und mit der Aussicht auf fünf Jahre Duldung, würden Firmen so „Fachkräfte unter den Bedingungen eines Ausbildungsverhältnisses beschäftigten“, musste die Modefirma in dem Amtsbrief lesen.
Über die hartnäckige Weigerung der staatlichen Behörden, dem jungen Mann etwas Sicherheit zu geben, ist Margarete Hemmerich aus Reichenberg, die den Flüchtling gemeinsam mit ihrem Mann Alfred nicht nur bei Behördengängen unterstützt und die Gholami „Oma“ nennt, verzweifelt – und zunehmend ratlos. Alle bisherigen Versuche schlugen fehl.
Abstammungsnachweis fehlt
Politiker können nichts ausrichten – die sogenannte Härtefallregelung bei drohender Abschiebung, greift erst, steht ein konkreter Abschiebetermin fest. Hemmerich mag sich lieber nicht ausmalen, was ein solcher bei ihrem psychisch angeschlagenen Schützling auslösen könnte. Rechtsanwalt Michael Koch, in Asylverfahren sehr erfahren, sieht derzeit wenig Chancen, auf dem Klageweg etwas zu erreichen. Es fehlen amtliche Papiere. Mangels Geburtsbeleg stellt das afghanische Konsulat Gholami keinen Abstammungsnachweis aus. Solange er den nicht vorlegt, geht die Ausländerbehörde davon aus, das er seine Identität verschleiert. Vor der Abschiebung bewahrt ihn die in Augen des Staates ungeklärte Herkunft aber nicht.
Genabgleich soll Klarheit schaffen
Jetzt hoffen alle Beteiligten auf einen Genabgleich mit der hier lebenden älteren Schwester. Sie hat wegen ihrer Kinder eine Aufenthaltsgenehmigung für zwei Jahre. Eventuell klappt es so mit dem Abstammungsnachweis. Eventuell, so die Hoffnung, ändere sich dann rechtlich die persönliche Gefährdungssituation, denn bisher gilt der 23-Jährige als in Afghanistan nicht bedroht. Erst, wenn sich das ändert, sieht der Rechtsanwalt die Möglichkeit einer erfolgreichen Klage.
„Ich möchte sehr gerne in Deutschland leben. Aber ich kann nicht mehr mit dieser ständigen Angst leben“, sagt Mortaza Gholami. „Ich möchte doch einfach nur in Ruhe arbeiten.“