Zwei ganz besondere Hunde waren zu Besuch bei einem ganz besonderen Kind. In der Kitzinger Siedlung soll bald ein tierischer Beschützer einziehen.
Matthias ist drei Jahre alt, aber nur 88 Zentimeter groß. Per Notkaiserschnitt kam er im Oktober 2010 zur Welt, gerade mal 900 Gramm leicht. Bei dem neugeborenen Winzling stellten die Ärzte einen Lungenriss fest. Mit vier Monaten bekam er eine Hirnhautentzündung, obendrein eine Infektion mit RS-Viren, die das angeschlagene Immunsystem des Babys zusätzlich schwächten.
„Matthias ist ein Kämpfer“, sagt seine Mutter Susanne und schaut liebevoll auf den kleinen Blondschopf, der das Leben von Familie Till auf den Kopf gestellt hat. Quicklebendig sieht er aus, wie er da so auf dem Sofa herumtollt. Aber der Schein trügt. 20 stationäre Krankenhausaufenthalte hat er hinter sich. Er ist nicht nur viel kleiner und zarter als Gleichaltrige, sondern hat auch eine schwere Wahrnehmungsstörung.
„Ich bin sehr beeindruckt von so viel Menschlichkeit.“
Astrid Ledwina, Cheftrainerin von Rehahunde e.V.
„Er hat zum Beispiel überhaupt kein Gefahrenbewusstsein“, erzählt Susanne Till. „Er probiert einfach alles aus.“ Es kann vorkommen, dass er plötzlich aufsteht und seiner Familie einfach davonläuft.
In der Nacht muss Matthias mit einem Monitor überwacht werden, denn er hat immer wieder Atemaussetzer. Zudem wird er im Schlaf künstlich ernährt. Ein speziell auf Matthias' Bedürfnisse hin ausgebildeter Reha-Hund könnte eine große Hilfe sein, indem er zum Beispiel Alarm schlägt, wenn die Atmung des Kindes zu flach wird, oder indem er den Kleinen am Wegrennen hindert. Aber so ein Hund ist teuer.
Als Matthias' Geschichte vor einem halben Jahr durch einen Artikel in der „Kitzinger“ publik wurde, passierte etwas, das Familie Till wie ein Wunder vorkommt: Eine Welle der Hilfsbereitschaft rollte an, wildfremde Menschen spendeten Geld oder veranstalteten Aktionen zugunsten eines Rehahundes. Bis heute sind schon fast 20 000 Euro auf einem für Matthias Till eingerichteten Spendenkonto bei Rehahunde e.V. zusammengekommen.
„Ich bin sehr beeindruckt von so viel Menschlichkeit“, zollt Astrid Ledwina allen „Spendern und Ideenverwirklichern“ Respekt. Die Cheftrainerin des gemeinnützigen Vereins Rehahunde e.V., der seinen Sitz in Tessin bei Rostock hat, hat schon im Winter begonnen, nach einem Hund zu suchen, der perfekt zu Matthias und seiner Familie passen würde. Vor ein paar Tagen reiste sie nun schon zum zweiten Mal – diesmal mit ihrem Trainer-Kollegen Ulrich Zander – von der Ostsee an den Main. Diesmal hatten die beiden zwei Rüden dabei, die ihnen vom Charakter und vom Ausbildungsstand her geeignet erschienen.
„Matthias, heute kommt Dein Hund zu Besuch!“ Das erzählten Mama Susanne und Papa Thomas, der sich diesen besonderen Tag frei genommen hatte, ihrem Kleinsten am Morgen. Matthias verstand genau. „Sam!“, rief er und rannte zur Tür. Susanne Till erklärte: „Wir sollten uns einen Namen überlegen, den er gut aussprechen kann: Sam.“
Matthias steht an der Haustür und wartet. Dann kommen sie. Ulrich Zander und Astrid Ledwina öffnen die Hundetransportbox und „Japer“ springt heraus, ein zweijähriger Golden Retriever. Matthias strahlt übers ganze Gesicht und geht gleich auf Tuchfühlung: „Ei!“ Später wird auch „Marley“ sich vorstellen, ein weißer Labrador, ebenfalls sehr gelehrig, ausgeglichen, kinderfreundlich und mit hoher Toleranzgrenze. Auch ihn wird Matthias freudig begrüßen.
Astrid Ledwina beobachtet ganz genau, wie Mensch und Hund aufeinander reagieren. Und sie schaut sich Haus und Umgebung an. „Man muss sehr, sehr ehrlich sein, wenn man einen Hund auswählt. Wir haben eine lebenslange Verantwortung.“ Lebenslang – das bedeutet, dass die Trainer des Rehahunde e.V. auch dann Ansprechpartner für die Familien bleiben, wenn der Vierbeiner längst dort lebt.
Weshalb so teuer?
Die heute 50-Jährige hat sich, als sie ein Kind war, sehnsüchtig einen Hund gewünscht. Ihre Eltern waren dagegen. Astrid Ledwinas Tierliebe konnten sie jedoch nur kurzzeitig ausbremsen. Als sie erwachsen war, wurde Astrid Trainerin auf dem Hundeplatz. Vor 16 Jahren gründete sie den Verein Rehahunde. Heute fragen Menschen aus ganz Deutschland hier nach einem Therapiehund.
Aber muss dessen Ausbildung so viel Geld kosten – alles in allem 25 000 Euro? Astrid Ledwina sagt: „Ich würde mich freuen, wenn unser Verein in der glücklichen Lage wäre, kein Geld verlangen zu müssen – gerade, weil wir bevorzugt Hunde für Kinder und Familien ausbilden. Aber unsere Trainer haben die Hunde zwei Jahre lang rund um die Uhr bei sich, schulen sie tags und nachts. Es entstehen Kosten für den Tierarzt, denn alle Hunde werden genauestens untersucht, für Impfungen, für Futter und für die Anschaffung – schließlich stammen die Welpen von sehr guten Züchtern.“
Die Trainer bringen den Tieren all das bei, was sie in „ihrer“ Familie können müssen. Sie konditionieren sie auf das spezielle Krankheitsbild „ihres“ Menschen. „Wir gehen mit ihnen auch in Schwerbehinderteneinrichtungen, Kinderkliniken, Altenheime, Aufzüge, Kaufhäuser, Bahnhöfe oder auf Marktplätze. Nichts darf sie später von ihrer Schutzaufgabe ablenken“, erklärt Ledwina. „Es dauert Monate, bis Verhaltensweisen gefestigt sind.“
„Sam“ kommt im Spätsommer
Hat der Hund „ausgelernt“, reist er mit seinem Trainer zu der Familie, in der er leben soll. Etwa eine Woche lang hilft der Trainer beim Eingewöhnen und befähigt die Eltern, den Hund zu führen. Dann zieht er sich langsam zurück.
Im (Spät-)Sommer soll Matthias seinen „Sam“ bekommen. Die Entscheidung fiel auf den Labrador, weil er im Notfall auch mal alleine bleiben kann. Matthias' Eltern waren gerührt und dankbar, als sich Trainer und Hunde am Abend verabschiedeten. In Rostock wird „Marley“ nun noch den letzten Schliff als Schutzhund für Matthias erhalten.
Die ganze Familie freut sich schon auf seine Rückkehr. Und ein ganz besonderer, kleiner Bub strahlt übers ganze Gesicht, wenn er von seinem Sam erzählt.
Info: www.rehahunde.de,
info@rehahunde.de; Susanne Till, Tel. (01 70) 3 15 03 60.