Erst wenn man etwas verloren hat, weiß man was man daran hatte“, sagt ein englisches Sprichwort. Ob es auch auf das kleine Spielwarengeschäft Konrad am Marktplatz in Kitzingen zutrifft? Zumindest viele Kinder werden es vermissen. Denn wenn im Sommer die Mütter oder Großeltern nebenan in der Eisdiele saßen, waren sie nicht mehr zu halten, drückten sich die Nasen an den kleinen Schaufenstern platt oder schnappten sich kurzerhand einen Ball, eine der bunten Spielzeugschubkarren oder einen Plastikbagger, die vor dem Laden ausgestellt waren und begannen damit zu spielen. Was sich danach abspielte, endete nicht selten mit einem Sieg der Kleinen. Nämlich dann, wenn Opa oder Oma sich erweichen ließen, dem Drängen der Enkel nachgaben, den Geldbeutel zückten und das Spielzeug kauften.
Es sind Szenen, die sich im vergangenen Jahr zum letzten Mal abspielten, denn das Geschäft hat mit dem Räumungsverkauf begonnen und spätestens Ende März wird Schluss sein, berichten Barbara Konrad und ihre Tante Erika Hofmann, geborene Konrad, die den kleinen Laden nach dem Tod von Barbaras Vater Karl Konrad im Jahr 2004 weiter betrieben haben. Gegründet wurde das Geschäft von Barbaras Urgroßvater Karl Conrad. Warum der sich noch mit C schrieb, weiß Barbara Konrad genauso wenig wie das genaue Gründungsjahr des Familienbetriebs. Sie weiß lediglich dass es 1914 dort zu einem Brand kam.
Der Betrieb am Markt war zunächst eine Drechslerei, später kamen der Verkauf von Spazierstöcken, Regenschirmen, Tabakspfeifen oder Zahnbürsten dazu. Auch „Mousthähnli“, Zapfhähne, mit denen Bauern und Winzer ihre Mostfässer verschlossen, waren im Angebot, ebenso selbsthergestelltes Holzspielzeug, wie Schaukelpferde, erinnert sich Erika Hofmann. Bis in die 80er Jahre konnten die Kitzinger ihre kaputten Schirme zu Karl Konrad zur Reparatur bringen. Nach und nach wurde das Spielzeugangebot erweitert. Wer an Silvester Raketen, Knaller oder Scherzartikel brauchte – bei Konrad wurde er fündig.
Das Geschäft wurde zunächst von Barbaras Großvater Hans Konrad weitergeführt, der es schließlich an seinen Sohn Karl weitergab. Am Anfang befand sich in der linken Hälfte des Hauses noch der Friseurladen Ackermann. Nach dessen Schließung wurde das Geschäft auf seine heutige Fläche von knapp 100 Quadratmetern erweitert.
Von den 100 Quadratmetern sieht man nicht viel. Bis unter die Decke reichen die alten Verkaufsregale. Sie stammen aus den Anfängen des Geschäfts und sind noch echte Schreinerarbeit. Stofftiere, Puppen, Schachteln mit Systembaukästen, Tütchen mit Stickern oder Puzzlespiele wohin das Auge reicht. Wer den Laden betritt, fühlt sich nicht nur in eine andere Zeit versetzt, er versteht auch, warum er für Generationen von Kindern ein kleines Paradies darstellte. Doch nicht für Kinder hatte der Laden seine Bedeutung. Auch für viele alte Kitzinger war er Treffpunkt und Nachrichtenbörse, hier traf man sich auf eine Tasse Kaffee, las Zeitung oder plauderte einfach miteinander, erinnert sich Hofmann. Auf dem Ofen im Nebenraum habe sich ihr Vater das Mittagessen aufgewärmt und ab und zu der „Rödera“, der Marktfrau, etwas abgegeben, sagt Konrad.
Die paradiesischen Zeiten sind vorbei.
Die Liste der Gründe, warum Barbara Konrad und Erika Hofmann schweren Herzens mit der Familientradition brechen, ist lang. Da ist zum einen die Konkurrenz im Internet, sagt Konrad. „Bei uns schauen sich die Leute das Spielzeug an, lassen sich beraten und gekauft wird dann von zu Hause per Mausklick.“ Als einen weiteren Schuldigen haben sie die Stadtplanung in Kitzingen ausgemacht. Immer mehr Großmärkte auf der grünen Wiese wurden genehmigt und machen den kleinen Geschäften in der Innenstadt das Überleben unmöglich. Ob E-Center, Kaufland, Müller, oder Rewe, überall wird Spielzeug verkauft, klagt Hofmann. Dazu komme, dass es in der Innenstadt immer weniger Parkplätze gebe. „Jetzt sind die am Bleichwasen und Mainkai auch noch weg, wo sollen die Kunden parken“, fragen sie. Viele Kunden blickten ständig mit einem Auge auf die Uhr, weil ihre Parkuhren ablaufen und fürchten einen Strafzettel zu bekommen, erzählt Konrad.
Ihrer Meinung nach sei die Entscheidung, in Kitzingen eine Fußgängerzone einzurichten, Anfang der achtziger Jahre eine Fehlentscheidung gewesen. Zumindest aus der Sicht der damals noch zahlreichen kleinen Geschäfte. „Man bekam in der Innenstadt alles was man brauchte, die Leute konnten vor den Geschäften halten und mussten ihre Einkäufe nicht weit tragen“, sind sich beide einig. Dass die große Konkurrenz am Stadtrand auch noch bessere Konditionen beim Einkauf bei Großhändlern bekommt, komme erschwerend dazu. Dass ihr Herz an dem kleinen Laden hängt, merkt man den beiden an. „Sollen wir lachen oder weinen“, fragen sie beim Fototermin für den Zeitungsbericht, obwohl es ihnen gar nicht zum Lachen zumute ist. Die Geschäfte seien immer schlechter gelaufen, die Konkurrenz werde immer größer und „bevor wir Schulden machen, hören wir lieber auf“, sagen sie.
Wie geht es weiter mit dem Geschäft in zentraler Lage, wie sie besser nicht sein könnte? Barbara Konrad ist auf der Suche nach einem zuverlässigen Mieter. Interessenten waren schon da, erzählt sie. Wer die besten Konditionen bietet, bekommt den Zuschlag. Bleibt zu hoffen, dass sich jemand findet, der in den kleinen Laden mit seinen Rundbogenfenstern und Türen hineinpasst, so dass der vielleicht eine neue kleine Attraktion für den Marktplatz wird.